Ben Minos Geburt

Ich kann mich noch sehr genau an die Wange der Ärztin erinnern, die auf meinem Knie lag voller Mitgefühl. Um Dienstag um 18.30Uhr hatte sie mich untersucht mit nach wie vor alle zwei Minuten Wehen, aber der Muttermund öffnete sich nicht. Es lag an niemanden. Aus Angst bei dem Gewehe könnte die Blase platzen, hatten wir sanft versucht einzuleiten, da Ben sich im Bauch immerzu drehte.
Man äußerte die Vermutung einer Wehenschwäsche bei der raschen Schwangerschaftsabfolge. Eine Tablette sollte das Gewebe weicher machen und muttermundswirksame Wehen anschieben, aber das war bisher nicht passiert, zwei weitere waren nicht erfolgreicher. Als eine junge Hebamme mich ein paar Stunden zuvor mit nur 2cm so motiviert in den Kreisssaal gebracht hatte, war ich verunsichert worden. Ich wollte diesen Schrecken wie bei Noah nicht noch einmal erleben. Ich hatte Angst und mich gefragt, ob das alles richtig gewesen war. Es zog sich schon so lange. Am Morgen hatten wir gesagt, wir stubsen und sollte sich nichts tun, würden wir eben wieder gehen. Es war das richtige, weil er sich so drehte: ein sogenanntes Propellerkind und mit den Wehen hätte die Blase springen können. Aber das Gefühl blieb das Gleiche. Hart im Nehmen sei ich, hatte die Hebamme gesagt, aber so langsam brauchte ich ein Zeichen. Also war ich mehr als erleichtert, als die Ärztin dort auf meiner Wange lag, es stellte sich ein Gefühl ein von „Dann eben nicht! Das sollte es nicht sein!“
Ich sah in die traurigen Augen meines Mannes, der sich die ganze Zeit so voller Vorfreude auf Ben tapfer und wach gehalten hatte. Es gab nur eine Alternative: Noch mal ich allein im Kreisssaal eine Nacht ausruhen, am Morgen die Blase öffnen und den Wehentropf anhängen. Das Klang nach Holzhammer. Für alle. Das kam für uns nicht in Frage. Eine Hebamme kam hinzu, fragte mich ob ich mit den Wehen überhaupt schlafen könnte, gab mir zwei Buscopanzäpfchen, klärte uns auf über die Gefahr eines Blasensprungs erneut auf und den dann benötigten Krankenwagen. „Gehen Sie heim! Ruhen Sie sich aus. Nehmen Sie ein Bad. Schlafen Sie sich aus. Trinken Sie ein Glas Wein!“ Und dann gingen wir Heim…

Wehen 1Wehen 2

KreisssaalKreisssaal 2

Zu Hause angekommen gegen 19.30Uhr, fuhr Nils ein paar Snacks einkaufen und ich nahm mein erstes Zäpfchen, schlenderte am Kalender vorbei und zählte die Tage. Nur noch ein paar Tage bis zum Sonntag. Keine Ahnung wie es weiter gehen soll, aber wir schaffen das. Ich zwitscherte noch ein bißchen im Netz und wunderte mich über das Ziehen oder die Wehen. Ich hatte von den wirklich vielen Untersuchungen ziemliche Schmerzen gehabt, die weg zwar weg waren, aber seitdem Ankommen daheim zog es hier und dort unangenehmer- nach diesem Tag kein Wunder. Irgendwann gegen 21.30Uhr legte ich mich halbherzig in die Wanne und sprang abwesend nach 10 Minuten wieder raus. Das war heute so gar nicht das Richtige und dann diese Krämpfe im Rücken- unglaublich. Ich entschloss mich das zweite Zäpfchen schon etwas eher zu nehmen als von der Hebamme im Kreisssaal empfohlen. Nils sah schrecklich müde aus, kaputt, zermürbt. Ich schickte ihn rüber und freute mich auch nach einem Glas Wein auf unser Bett, dass ich schon seit Montag um 22Uhr nicht mehr gesehen hatte. Ich wollte nur noch schlafen gegen 22Uhr, nickte weg und dann kam wieder dieser Krampf. Einfach ein fieser Schmerz, der mir für Wehen viel zu stark war. Ich machte mir nach den letzten Stunden Wehen gar nicht mehr die Mühe zu atmen, zuckte zusammen, streckte mich gegen, mal mit dem Schmerz, nickte wieder weg, ging zur Toilette, wieder ins Bett. Aber durch diese Medikamente: zwei Spritzen, zwei Zäpfchen, nochmal zwei Zäpfchen, mehrere Tabletten war ich einfach ein bißchen neben mir. Ich registrierte nur noch diese Schmerzen und dann wieder Ben der sich erneut drehte nach meinem Gefühl.
Irgendwann setzte sich in meinem Kopf die Idee fest, dass ich einfach nur mal zur Toilette müsste. Ich schluckte Magnesium, trank Magen-Darm-Tee, saß geduldig um wieder dieses Schießen in den Po zu fühlen, diesen Druck, aber nichts geschah. Ich verzweifelte immer mehr. Ich war einfach nicht mehr richtig wach, hatte seit Montag nicht mehr gescheit geschlafen, jetzt war es Mittwoch fast 1Uhr.
Ich nahm Oukubaka Tropfen, Wärme, googelte. Ich war müde und diese Krämpfe hielten mich vom Schlafen ab. Um 2.30Uhr war sie fort meine Contenance. Ich stand am Ende meiner Kräfte im Flur als ich rüber gehen wollte um mich erneut schlafen zu legen und wieder dieser Schmerz, dieser Krampf durch mich durch schoss: „Nils, Nils! Ich kann nicht mehr!“ und war in Tränen ausgebrochen. Ein verpennter, erschreckter Mann kam in den Flur gelaufen: „Warum hast du mich nicht eher gerufen?!“. „Es tut so weh. Diese Krämpfe. Ich muss zur Toilette, aber kann nicht. Ich kann nicht mehr! Ich kann nicht mehr!“ Irgendwas an dem wie ich es sagte, veränderte den Blick des Mannes: „Ich ruf den Krankenwagen.“ Ich lehnte ab, das ist so mein grösster Albtraum, umsonst einen Krankenwagen zu bestellen. Ich wollte zurück ins Bett, dort schrie oder weinte ich so laut, dass der Mann sagte, er glaube ich habe Presswehen und er hole jetzt einen Krankenwagen. Wieder Protest meinerseits: „Was sollen die denn tun?! Ich muss doch nur mal zu Toilette.“ Aber der Gatte glaubte an sowas gar nicht: „Willst du etwa laufen?“ Erneuter Krampf, erinnerte mich daran, dass das kaum ne gute Idee sein konnte. Aber der Krankenwagen braucht zu lange, lieber ein Taxi sollen wir nehmen. Das steht zwei Minuten später in der Einfahrt. Ich überlege noch allen ernstes, ob ich den Koffer wirklich brauche (den Maxi Cosi hatten wir ja da lassen dürfen). Aber im Koffer war nunmal alles drinnen und wir fuhren ja, also könnten wir ihn ja einfach mal mitnehmen. Der Taxifahrer war sehr nett, fuhr sicher aber schnell bis zum Krankenhaus, setzte extra zurück damit wir weniger laufen mussten, fuhr fast zwei Passanten um und rammte einen riesigen Stein: „Zahlt die Versicherung!“, meinte er noch und zu den nöhlenden Leuten: „Egal, was gibt es wichtigeres als ein Baby?!“ Also schnell hoch klingeln, rein, eine Hebamme schüttelt meine Hand und ab gleich in den Kreisssaal. Der Muttermund ist fast eröffnet.
Boing. Kennen Sie das?! Diese Filme, wo man fast die eigene Geburt verpasst?! So kam ich mir vor. So blöd irgendwie. Nur so ein bißchen. Kein Magen-Darm-Problem- das war nur Ben. Ben schwimmt aber so rum, dass man die Blase aufmacht. Es ergießt sich eine Menge Fruchtwasser, nur das Köpfen sinkt nicht tiefer. Ein Infusion mit Überraschung Buscopan soll das letzte Stück ebnen, aber es tut sich nichts. Ich hatte immer weniger Kraft und versuchte der Hebamme zu erklären, dass ich seit nun Montag Abend Wehen gehabt hätte und einfach nicht mehr kann. Ich war zu Hause um genau für das hier Kraft zu sammeln. Schlechtes Timing. Sie sagt, ich müsse jetzt erstmal im Kreisssaal ankommen, dass würde sie sehen: Das Überrumpeltsein. Ben rumort in meinem Bauch und verwirrt Hebamme und Ärztin. Irgendwann war der Muttermund eröffnet, nur Ben schwimmte rum. Alles was ich wollte war Pressen! Einfach nur Pressen. Aber es half nichts. Bitte in den Vierfüssler, bitte zur Toilette, was ja wirklich gar nicht ging. Irgendwann gegen 4.30Uhr ruft die Hebamme der Ärztin zu, sie bräuchte jenes Schmerzmittel: „Jetzt noch?!“, antwortet die. „Ja, sonst wird das hier nichts.“, sagt die Hebamme. Na danke auch. An mir liegt das ja nun nicht! Währendessen sauen wir den ganzen Kreisssaal mit Fruchtwasser ein, weil einfach viel zu viel davon da ist. „Merken Sie wie das die Spitzen der Wehen nimmt?!“ Nein. Nicht wirklich. Plötzlich ein bekanntes Gefühl: Bens Kopf im Becken. Juhu. Pressen jetzt sofort. Das Gewebe dehnt sich, spannt. Ich schiebe und schiebe. Hebamme und Ärztin rufen sich was zu, rudern mit meinen Beinen erst so dann so und ich schiebe mit. Und schon in der ersten Presswehe ist er da: Geschlüpft. Einfach endlich da. Mittwoch 4.40Uhr. Ich war kraftlos, konnte ihn nicht selber nehmen, überrumpelt aber überglücklich und dem Gatten liefen die Tränen nur so übers Gesicht… Und was tut Ben?! Er macht erst das eine und dann das andere Auge auf, verzückt uns mit diesen Hübschen und seinen langen, schmalen Händen und Fingern, den vielen Haaren, hebt den Kopf und begibt sich auf Nahrungssuche…

Ben darf gehen

Kreisssaal am MorgenTschüss KreisssaalMaxiCosi

28 Kommentare

  • Giftzwerg

    Mir fehlen einfach die Worte… mein Gott, war das eine Odyssee! Der „Vorspann“ hat mich hier schon im Twitter erbleichen lassen und ich hab so gehofft, dass Dir der „Holzhammer“ erspart bliebe!

    Du warst so tapfer, hast so lang durchgehalten, das so gut geschafft! Und das, wo es nun wirklich keine einfache Geburt war. ich glaub Dir sofort, dass Du völlig überrumpelt warst und hab grad sehr mitgelitten…
    (Als Du getwittert hast, da hab ich noch überlegt, Dir zu mailen, übrigens *lach* )

    Aber ihr habt es geschafft! DU hast es geschafft, Ben hat es geschafft, Dein tapferer Mann hat durchgehalten. Ihr seid so klasse und ich wünsch Euch von Herzen alles Liebe!

    *knieper*

  • jo

    Oh schnief, so schön! Da muss ich 1-2 Tränchen verdücken, das glaube ich dass Ihr da überrumpelt wart. Und wenn ich mich erinnere WIE weh das tut… wow da hast Du wirklich ganz schön was mitgemacht! Erholt Euch gut! Alles Liebe!

  • Karin

    Ich bin einfach sprachlos. So viel musstest du die lezte Zeit auf dich nehmen, in deiner 4. Schwangerschaft. Jetzt ist Ben da und es liest sich so unheimlich schön und mir läufts kalt den Rücken runter. Das habt ihr, DU, ganz wunderbar gemacht und geschafft. Ich wünsch euch ein schönes ruhiges Wochenende und ich denk ganz viel an dich, besonders in dieser ersten Zeit. Alles, alles Liebe Karin.

  • Lisa

    Ach herrjeh, was für eine Tortur, aber was mich wirklich sprachlos macht, ist deine Kraft, dein Durchhaltevermögen. Unglaublich! Das hast du toll gemeistert! Herzlichen Glückwunsch nochmal!

  • Pampersfront

    Wie hast du so schön geschrieben….einfach endlich da! Hach, ich hab da grad mit offenen Mund deinen Eintrag gelesen. Du bist eine furchtbar starke Frau, ich wünsche Dir alles Liebe, genieß die Zeit mit Deinen Kindern!!!

  • nane

    wow!!!
    ich ziehe jeden Hut den ich nur finden kann vor Dir/Euch!!

    und wenn der Kleine DAS schon mit einer solchen „nonchalance“ hinnimmt, wird er das entspannteste Baby der Welt ;-)

    Herzlich Willkommen Ben Mino, der schon soooo „groß“ aussieht!!!

    Alles Liebe und ein Hoch auf den Taxifahrer

  • Patricia

    Oh, mir kullern die Tränen herunter. Supertapfer bist du und enorm stark! Ich hoffe, dass euch die kommende Zeit für diese Plackerei mehr als entschädigen kann!

  • Frische Brise

    Du hast es geschafft!
    Gut gemacht!

    Ehrlich gesagt, als Du geschrieben hast, daß Du doch nur zur Toilette wolltest…
    da habe ich mir schon gedacht, daß das nur die Geburt sein kann ;-)

    Erholt Euch gut!

  • phaenomene

    uiuiui, das Kinderkriegen ist schon sooo alt und doch immer wieder ne neue Überraschung. Wow.
    Herzlich Glückwunsch auch an dieser Stelle nochmals – sehr süß das Küken!
    Aber eine Frage, das mittlere Bild in diesem Post – DAS ist ein Kreissaal?? Also ich hatte das Vergnügen ja noch nicht, deshalb entschuldigung für die doofe Frage, aber so nen Kreissaal hab ich mir doch etwas anders vorgestellt….

  • Schussel

    Wahnsinn. Wirklich ein Geburtskrimi! Und Du kannst so stolz auf Dich sein, Du hast es geschafft, trotz aller Hindernisse – super, wirklich, Hut ab!
    (Ein bisschen beeindruckend finde ich ja, dass man offenbar auch bei der 4. Geburt nicht unbedingt sagen kann, ob’s nun endgültige Wehen sind oder nicht.)
    Ach, und der Taxifahrer, der war auch toll!
    Danke für den Bericht. Sorgte für Tränchen hier und sehr lebhafte Vorstellungen.
    Macht euch ein schönes Wochenbett. Alle miteinander. Liebe Grüße.

  • Frau Ährenwort

    Meine Güte, wenn man selbst hochschwanger ist, dann sollte man solche Berichte nicht mehr lesen. Jetzt sitze ich hier und heule wie ein Häufchen Elend.

    Aber dennoch gratuliere ich Ihnen für diesen langen und schweren Weg. Sie haben das toll gemacht. Ich wäre wahrscheinlich wahnsinnig geworden oder hätte den Gatten erwürgt :-)

  • 123Moni

    …oh, herzlichen Glückwunsch, das war ja wirklich kein Spaziergang, diese Geburt – und es erinnerte mich so sehr an meine zweite Geburt (…das mit dem „..sie riefen sich was zu…“ – war es vielleicht ein Mc Roberts Manöver, mit den Beinen…?? – bei mir war es das , und hieß, was mich erst im Nachhinein erschaudern ließ, dass die Kleine mit der Schulter festhing, Schulterdystokie – bei uns war es recht ernst, leider, es war auch der dritte Tag, nach vorzeitigem Blasensprung, viele Tabletten, Tröpfe etc., die die Wehen wirksamer machen sollten später, Madame noch fast 4 Wochen zu früh, und stellte sich nicht richtig ins Becken ein…boah, Gänsehaut, immer noch, immer wieder…unsere Hebamme und Ärztin haben sich nach der Geburt spontan das „DU “ angeboten – das Stichwort „Mc Roberts“ kam gerade noch rechtzeitig, unsere Kleine hätte das „Steckenbleiben“ nicht mehr lange durchgehalten, sagten sie uns dann einige Zeit später…)

    Schön, wenn dann am Ende alles gut ist !!!

    Alles Gute, Moni

  • Jacqueline

    Heute früh beim Lesen liefen die Tränen und die Gänsehaut stand 1a.Ich verschob das Kommentieren auf „später“, da mir die Worte fehlten.
    Und auch jetzt stellt sich nix schreibbares ein, von daher einfach : Hut ab!!!

  • Eva

    Ist das schöööööön! Ein so wunderbarer Geburtsbericht!
    Herzlichen Glückwunsch zur Geburt von Ben und eine ganz schöne Kennenlernzeit wünsche ich.

  • bauchherzklopfen

    Ich hab nuuuuur gekuckt, nicht gelesen, wie befohlen ;)
    Aber der sieht echt nett aus der Kreißsaal. Ich werd unsern auch mal knippsen (wenn ich dann noch in Laune bin…)