Vom Vollstillen

Als ich diesen Wunsch verspürte, mein Kind stillen zu wollen, dachte ich nicht, dass ich am Ende
derart anders empfinden würde. Ich zog mit viel Liebe drei Flaschenkinder groß und gefehlt hat
den Kindern nie etwas, nur irgendwann mir. Fläschchen zubereiten war das, was mit Trauer und
kurzer Zeit Erleichterung beim Tochterkind begann, beim großen Sohn einfach nur in Dankbarkeit
fort geführt wurde und in schwerer Zeit großen Halt gab, aber schon beim großen, kleinen
Sohn ein Verzichten wurde.
Stillen wurde mit ihm ein sehnlicher Wunsch, der unerfüllt blieb und brachte eine neue, andere
Trauer. Sehnsucht blieb. Und so wuchs die Kraft, das Vertrauen in mich und die Zuversicht es
dieses Mal versuchen zu wollen- mir meinen Herzenswunsch zu erfüllen: Ich wollte den kleinsten
Sohn stillen.
Seit beinah vier Monaten stille unseren kleinsten Sohn. Voll. Als hätte ich nie etwas anderes getan.
Es klappte zu meiner Verwunderung völlig unkompliziert. Trotzdem war es ein gutes Gefühl eine
Stillberaterin zur Seite zu haben. Alles wofür ich vorher nie die Kraft oder den Mut gehabt hätte,
alles was mir so lange schmerzlich in Erinnerung geblieben war, hatte sich nach den ersten zwei
Tagen schon verflüchtigt, als die Milch einschoss. Vergessen die ersten Wochen mit den Tochterkind-
vergessen der erste Milcheinschuss mit ihr, vergessen die durchgepumpten Nächte, die Tränen,
das Weinen, die Flecken und vergessen der schmerzende Busen. Je mehr Zeit nun verging, desto
mehr konnte ich das Stillen genießen, auch wenn bis heute der Milcheinschuss schmerzt. Stillen ist
mir die Insel, die ich im Alltag brauche um nicht zu ertrinken. Aber auch große Verantwortung. Wenn
der Tag mit Vieren schon soviel Kraft verbraucht und in der Nacht, trotz grösster Mühe und Hilfe von
Papa nur Mama der ersehnte Frieden fürs Kind ist und in all meiner Erschöpfung nur ein „Ich kann
nicht mehr“ hallt, muss ich dennoch können. Ben braucht mich, denn er hatte noch nie dauerhaft
einen Nuckel im Mund, geschweige denn ein Fläschchen mit oder ohne Muttermilch.
Es ist weder besser noch schlechter zu Stillen, sondern anders. Stillen ist eine beidseitige Exklusivität.
Ich kann nicht sagen, aber ich wage es zu bezweifeln, ob es daran liegt, dass Ben keinen Schnuller
mag, doch der Busen ist nicht nur Essen. Busen ist für uns Kuscheln und Nähe. Wie oft hatte ich
schon das Gefühl, er bräuchte jetzt einfach mich, um sich zu beruhigen. Niemals hätte ich meinen
Kindern ein Fläschchen angerührt, weil sie so unruhig waren und von neuen Eindrücken überfordert.
Aber in eben genau diesen Situationen stille ich. Es ist ein bißchen wie ein Zauber. Denn ich kann
Bens Welt wieder heile machen, wenn sie für ihn einmal Kopf steht.
Ich kann nicht sagen, ob es am Stillen nach Bedarf liegt oder an mir, aber im Gegensatz zu den
Erinnerungen an die erste Zeit mit den Großen -und die Erinnerung kann trügen- gibt es hier weniger
feste Zeiten. Und noch stört es mich nicht, weil ich fühle, dass es gut für ihn, für uns ist. Ich bin
noch immer ein Liebhaber der festen Abläufe für Kinder, ich glaube noch immer, dass das ganz
besonderen Kindern Halt gibt, diese Struktur. Und als ich merkte, dass Ben am Abend unruhiger
wurde, während wir einfach weiter lebten und sein Bedürfnis nach Ruhe nicht erfüllt werden konnte,
stillte ich ihn kurze Zeit später am Abend nur noch in unserem Schlafzimmer, damit er Ruhe und
Schlaf finden konnte. Er schläft zwar noch nicht durch, aber er schläft mit Unterbrechungen, in
denen ich für ihn da bin- in Ruhe- in unserem Schlafzimmer ohne uns bis wir zu ihm gehen, um
ebenfalls zu schlafen.
Ich bin so unendlich froh, dass ich diesem Herzenswunsch nach gegeben habe und meine Neugierde
gestillt habe. Für mich ist Stillen einfach anders. Ich habe unter den Blicken gelitten, als ich meine
Tochter nicht stillen konnte, vielleicht fühlte ich mich auch beobachtet, beim großen Sohn war ich
trotzig und frech, weil anderes an dieser Stelle soviel wichtiger war und beim großen kleinen Sohn
war ich schon traurig und brauchte lange Zeit zu akzeptieren, dass ich den Mut einfach nicht gehabt
hatte. Jedes Kind verbrachte viel Zeit an meinem Busen, trotz der Flasche, aber nicht bei jedem Kind
fehlte mir etwas. Jedes Kind hatte ich wahrgenommen. Fläschchen füttern muss man ebenso lernen wie
das Stillen. Auch mit der Flasche lernt man mit der Zeit Tricks und Kniffe, es ist nichts was einem
zufliegt. Auch Flaschenkinder haben Wachstumsschübe, die man wahrnimmt und auf die man eingeht,
auch Flaschenkinder schlafen nicht immer durch. Mütter, die sich gegen das Stillen entscheiden sind
keine schlechten. Und Mütter die sich für das Stillen entscheiden sind nicht automatisch die besseren.
Es ist simpel- für uns grad schöner. Ich bin stolz auf mich, auf ihn, auf uns. 4 Monate schon.
Damals gab es für mich nichts schöneres, als mich am Abend mit den nun Großen zurück zu ziehen,
um ihnen die Flasche zu geben, mit ihnen zu schmusen, in ihre großen Augen zu sehen, die während
des Trinkens immer kleiner wurden und manchmal im Schlaf versanken.
Es ist toll zu sehen, wie ich meinem Kind seit seiner Geburt über vier Kilo geschenkt habe. Und heute
gibt es für mich nichts schöneres als mich mit Ben im dunklem Schlafzimmer zurück zu ziehen, mich
mit ihm unter die kalte Bettdecke zu kuscheln, zu hören wie er versunken trinkt, wenn er sich an mich
schmiegt, zu fühlen wie er einschläft, sich seine kleinen Hände auf meinen Busen legen, sich seine
kleinen Finger um meine schließen, wir einander zugwandt im inzwischen warmen Bett liegen, ich
seinen kleinen Kopf streichle und ich dabei diesen zauberhaften Duft von Baby in der Nase habe.

18 Kommentare

  • Jinlys

    Es ist schön, dass Du diese Zeit so entspannt und gelassen angehen konntest. Stillen ist etwas Wundervolles und Du hast diese besonderen Momente wunderschön beschrieben. Ich wünsche Dir, dass es so weitergeht und dass Dein Sohn sich auch weiter so gut entwickelt.

  • CooKie

    “ Mütter, die sich gegen das Stillen entscheiden sind
    keine schlechten. Und Mütter die sich für das Stillen entscheiden sind nicht automatisch die besseren.“

    Danke das du das schreibst. Ich habe mich gegen das stillen entschieden, und muss mir immer wieder von allen Seiten anhören, das ich meinem Kind das beste was es gibt genommen habe. Es ist nicht leicht, auch wenn ich das nicht so empfinde. Es war einfach für mich nicht das richtige!

    Dein Artikel is so wunderbar geschrieben… Danke fürs teilhaben lassen!

  • Klabauter

    Hach ja… Und wie geht es Eurem Göttergatten? Der erlebt ja nun die Kehrseite der Medaille, oder? Meiner war jedenfalls vom Stillen nicht so angetan, sondern vermisste seine Fläschchenzeit…

  • kassiopeia

    @Klabauter: Wie damals schon geschrieben hatte der Mann das Stillen bei Tom quasi boykottiert und darüber
    sprachen wir später in Ruhe. Ich glaube vorher hatte er Bedenken. Bedenken, dass ihm Zeit fehlen würde und
    das Gebrauchtwerden und ob ich damit klar käme, denn wie Sie wissen hat der Gatte das Füttern in der Nacht
    bei den drei Großen übernommen. Plötzlich war ich also gefragt und auf der einen Seite war der Gatte sicherlich
    froh um ein bißchen mehr Schlaf also zuvor- auf der anderen Seite bleibt davon auch nicht viel übrig, weil ich
    Ben bei Unruhe auch nachts gern mal abgebe. Obwohl ich sagen muss, dass das immer weniger gut klappt in
    der Nacht. Noch vor ein paar Wochen lag der Gatte nachts mit Ben da und steckte ihm den kleinen Finger zum
    Nuckeln in den Mund. Und er merkte schnell, dass er was bewirken kann. In den ersten Wochen war es ja sogar
    so, dass Ben nur abends bei ihm schlief, und nie bei mir, da trank er gut, aber er schlief nicht. :) Ich war schon
    ein paar Mal aus und der Gatte ist ein Superheld hier, wird gebraucht zum Tragen und Trösten und vermisst
    im Augenblick würde ich jetzt sagen, aber ich frag ihn gleich mal sicherheitshalber und weil es mich interessiert,
    gar nichts.

  • Frische Brise

    Danke! Das hast Du schön geschrieben!
    Ich bewundere Dich, daß Du das beim vierten Kind durchgezogen hast. Toll!
    Schön zu lesen, daß es Euch so gut tut.
    Ein schlechtes Gewissen hatte ich nur beim ersten Kind, danach ging es mir mit dem Flaschegeben sehr gut.
    Fürchterlich, wenn man deswegen in irgendeine Ecke gestellt wird.

  • eva

    hey, das hört sich toll an. ne schwangerschaft, nö nicht mehr. aber stillen, das vermisse ich schon, obwohl ich sie alle 3 lang gestillt hab.
    davon wirst du lange profitieren, dass du diesen weg gegangen bist.
    und diese entwicklung erkannt hast, diesen wunsch.
    ich find`s toll!
    lg eva

  • 5kidsmami

    Diese besondere Beziehung beim Stillen hast du gut beschrieben.
    Mich macht es immer noch traurig, dass ich unsere Kleine nicht stillen kann. Noch immer habe ich Milch, obwohl ich komplett abgestillt habe und oft denke ich daran, sie nicht wenigstens ab und zu noch zu stillen, einfach so, auch wenn sie nicht davon satt wird.
    Andererseits hat sie auch ohne Stillen jetzt gut zugenommen und meine Nächte werden wieder ruhiger. Trotzdem werde ich dieses „Stillen“ wohl immer vermissen und mich etwas traurig stimmen. Ich hätte unser letztes Kind so gerne ganz lange gestillt, um es ausgiebig zu genießen. Hat nicht sollen sein!

    Freut mich sehr, dass du nach drei Flaschenkindern doch noch in diesen Genuss gekommen bist :-)