Mutter sein

Als ich letztes Jahr im Sommerurlaub hochschwanger abends im Bett lag, nicht schlafen konnte,
aber statt der Wellen nur das Pfeifen des Windes und das Niederprasseln des Regens hörte, dachte
ich daran, dass ich unbedingt darüber schreiben sollte, wie es ist Mutter von vielen Kindern zu
sein, darüber wie ich mich fühle mit bald fünf Jahren Mutterschaft… Es wurde nichts daraus. Ich
fand keinen Punkt zu beginnen… Ich hatte keine Worte. Zoe wurde fünf und wir alle wurden sechs,
aber noch immer waren da keine Worte…

Wissen Sie, auch wenn man mit einem frisch geschlüpften Baby die Welt verändern möchte, Dinge
anders machen möchte und nie und nimmer verstehen kann wie man jemals wütend auf dieses
kleine Wesen sein könnte, die Zeit zeigt, dass es Dinge gibt die tatsächlich wichtig sind und
bleiben, Dinge gibt, die man nicht besser machen kann und sehr wohl mehr als einen Moment
gibt, der einen hilflos da stehen lässt. Welche Kraft, welche Wut hatte ich früher und was ging mich
alles etwas an… Doch Fakt ist, nach über fünf Jahren, dass es egal ist in welcher Tragehilfe mein
Kind liegt, egal ist wie und wo und wann mein Kind schläft, egal ob es Brei isst oder mit den
Fingern… es scheint der liebende Versuch zu sein, etwas zu kontrollieren, was wir nicht
kontrollieren können- unsere Kinder. Also konzentriert man sich auf die Dinge, die man in der
Hand hat: die Farbe der Wiege, die Wahl des Krankenhauses, die Anzahl der Strampler. Schnell
stellt man fest, dass das kleine Menschenkind eigene Bedürfnisse hat, die Wegwerfwindel womöglich
gar nicht verträgt, den Busen verschmäht oder gar nie mehr hergeben möchte… Wir finden einen
Weg ins Leben mit unserem Kind und weil wir soviel gelernt haben, soviel gewachsen sind, suchen
wir rasch Abgrenzung zu anderen Müttern und Kindern, wir vertreten unseren Standpunkt. Wir suchen
einen Platz. Wir streiten und finden dabei heraus, wer wir sind. Über unserer Meinung zu aktuell
gewichtigen Dingen. Dabei ist es völlig egal, für welche Matratze und welchen Nuckel wir uns
entscheiden, ob man sich es leicht macht, wenn man schreibt, dass es gar keine große Rolle spielt,
es geht darum, was es in entscheidenen Momenten wirklich bringt. Ob wir da sind, wenn wir
gebraucht werden, ob wir dann präsent sind, entscheidet doch nicht mehr das Schlafverhalten im
ersten Jahr. Es ist soviel mehr. Immer öfter musste ich mir eingestehen, dass ich einfach genauer hin
sehen sollte. Wenn ich jetzt schon nicht verstehe, warum es so gemein ist, wenn der kleinere
Bruder die letzte Schlüpferwindel bekommt, wenn ich jetzt schon kein Verständnis habe, dafür
das es eben wohl doch eine Katastrophe ist, dass die zweite Hello Kitty Haarspange weg ist und
das innig geliebte Dinosaurier Tshirt nass geworden ist und deswegen Weltuntergansstimmung
herrscht, wie soll ich erst in der Pubertät dasein können? Ein ganzes Leben? Versteht meine Tochter,
dass es einfach stressig ist mir vier Kinder umzuziehen? Lebe ich ihr Respekt und Verständis vor?
Verständnis und Grenzen, Liebe und Distanz. Ein Drahtseilakt. Es gibt kein Patentrezept. Für
niemanden. Und schon gar nicht für immer. Das Leben ist Bewegung, wir entwickeln uns weiter.
Die Mutter, die ich vor fünf Jahren war, die bin ich nicht mehr. Die Mutter, die ich meiner Tochter
bin, bin ich nicht meinen Söhnen. Nicht nur weil sie anders sind, sondern weil ich es auch bin.
Vor fünf Jahren brauchte ich Schlaf und der Gatte übernahm die Nachtschicht, heute stille ich
seit über 8 Monaten und werde munter aus dem Schlaf gerissen. Früher gab es Fläschen, bei diesem
Kind eben die Brust. Früher war mir der Schlaf der Kinder in ihren Betten wichtig, heute wird das
Kind noch immer ins Bett geholt, wenn es nachts weint. Bei jedem Kind machte ich etwas komplett
anders. Einfach so. Es ergab sich einfach. Und ich denke darüber nicht nach. Ich kann nicht
sagen, welchem Kind ist die beste Mutter bin. Vermutlich keinem. Denn wenn ich eines gelernt
habe in den letzten Jahren, dass man es zwar gut machen will, aber nicht immer tut. Es gibt
unzählige Momente, in denen ich für mein Verständnis komplett versage. Momente, die ich im
Nachhinein gerne ungeschehen machen möchte… Aber ich kann nur hoffen, dass meine Liebe
und mein Respekt, -auch wenn ich oft genug Grenzen überschreite- ankommt, wo er hingehört.
Und mir in menschlichem Versagen meine Kinder weiterhin trotzig das Kinn entgegen recken,
in dem sicherem Wissen, dass sie wirklich im Recht sind und ich das nicht hätte tun oder sagen
dürfen. Solange ich sehe, dass meine Kinder meine Fehlbarkeit als solche wahrnehmen, ohne
sich Verloren zu fühlen, ihre Rolle als Kind aber dennoch Mensch mit Würde einnehmen und mir
in diesem Punkt auf gleicher Augenhöhe gegegnen, weiß ich dass ich mein Ziel bisher erreicht
habe und ich mich nicht immer zu fragen muss, was ich denn jetzt genau anders machen wollte.
Ich bin nicht perfekt, ich tu was ich kann, weil ich liebe und wenn ich mal falle, stehe ich nach
dem Wunden versorgen wieder auf und mach weiter, dass ist mein Job. Jeden Tag- immer weiter
geht die Reise…

13 Kommentare

  • jo

    Amen.
    Mit jedem Kind drehte sich bei mir die Welt ein bisschen schneller. Schöne Momente wurden wichtiger und intensiver gelebt und unpassende Kleinigkeiten oder „Erziehungsfehlerchen“ immer unwichtiger, weil alles an mir einfach nur vorbei rast. Das mit dem Schlafverhalten kann ich genauso unterschreiben: wen scherts, was heute ist? Alles wird relativ, solange wir nur mit dem Herzen dabei sind und versuchen, das Beste draus zu machen.
    (und nein, Töchter verstehen nicht wie schwer es ist, mit Kindern umzuziehen ;-))
    Danke!

  • Karin

    Exakt getroffen! Hier auch, Töchterchen 1 nie und nimmer zum Schlafen in unser Bett als sie ein Baby war. Babytöchterchen liegt nun fast jede Nacht ab der Hälfte bei uns!

  • Katrin

    Wie wahr, wie wahr …
    Genauso empfinde ich es auch. Man kann gar nicht die gleiche Mutter bleiben, weil einen jedes Kind auf seine eigene Art und Weise verändert. Weil man geduldiger, sicherer und in sich ruhender wird (zumindest empfinde ich es so). Und weil man vieles einfach nicht mehr für so wichtig nimmt …
    Liebe Grüße,

    Katrin, die sich schon auf die erste Zeit als Dreifachmama freut :-)

  • die_schottin

    Das hast Du sehr treffend formuliert. Genau darüber habe ich viele Male mit meiner Mutter gesprochen. Man kann nicht immer alles richtig machen. Solange man sich aber immer hinterfragt und den Kindern genügend Selbstbewußtsein mit auf den Weg gibt, dass die einem auch zeigen können, wenn sie meinen es liefe total schief, dann hat man doch alles soweit richtig gemacht. Wenn Du verstehst, was ich meine.

  • PaulaQ

    Uff, welch (wort-)gewaltiger Text! Ich denke auch, daß wir uns als Mutter mit jedem Kind ein Stück verändern, jedem Kind ein bißchen eine andere Mutter sind, jedes Kind seine eigene Persönlichkeit mitbringt, und mit dem einen kann man besser und mit dem anderen nicht so gut, und manchmal auch umgekehrt….und ich habe auch so meine Momente, die ich hinterher gerne ungeschehen machen würde (wenn ich mal wieder extrem müde und somit extrem gereizt bin und dann in meinen Äußerungen etwas unwirscher bin….), aber schlußendlich sind wir Mütter auch nur Menschen…Und ich kann nur wieder mal betonen, daß ich es fantastisch finde, wie Sie das alles mit vier so kleinen Kinder alles managen! Liebe Grüße von der heute sonnigen Alb und einer momentan entspannten Mutter (die Kindelein waren heute den ganzen Tag im Garten, das ist nervenschonend!).

  • Wolfram

    Vier Tage, vier Nächte. Acht Tagschicht- und vier Nachtschicht-Hebammen, ebensoviele Kinderpflegerinnen, von den Krankenschwestern geschwiegen.
    Und entsprechend viele verschiedene Ansichten über dies und jenes. Legen Sie mal so an. Machen Sie doch mal anders. Sie machen das schon sehr gut. Das klappt aber nicht richtig.
    Und das geht jetzt noch mindestens bis Montag so weiter… Ich verordne der Pfarrfrau demnächst Coffein C60, das beruhigt…