Zahnlose Minka

Unglaublich aufgeregt war ich heute, als ich mit dem Bus zum Zahnarzt fuhr. Ich kann gar nicht sagen, wovor ich mehr Angst hatte, davor das nichts passieren, man mich vertrösten, nach Hause schicken und ich noch nervöser noch einmal wieder kommen würde müssen oder davor, dass man den Zahn tatsächlich zieht.
Eigentlich wollte ich mich um den Termin, den ich vor Wochen ausgemacht hatte drücken. Die letzten Tage der Elternzeit sind so voll gepackt, an Erholung ist kaum zu denken, auch wenn ich den Mann kaum eine Stunde missen mag (leider ist er Stunden wirklich mal weg oder ich), aber genau heute passte es zu gut. Anfang nächster Woche haben wir einen Geburtstag zu feiern, Ende der Woche andere Arzttermine und noch wichtiger ich treffe seit Ewigkeiten, mittlerweile Monaten drei Freundinnen wieder, die das erste Mal Anton sehen werden, da wollte ich keine Wundschmerzen haben. Das Wochenende darauf werde ich selbst Geburtstag haben und erst wieder danach hätte ich Zeit gehabt bis die Ferien wieder anfangen, mich um meine Zähne zu kümmern. Was ja eigentlich auch nur der Startschuss für weitere Termine sein würde. Also jetzt oder nie. Augen zu und durch, versuchte ich mir selbst zu sagen und da saß ich nun und schilderte meine kleine Odyssee auf die Frage: „Und der Zahn hat sich beruhigt?!“

Hatte er leider nicht. Noch im Frühwochenbett hatte meine Zahnärztin sich endlich selbst an den Zahn heran gewagt und beim Entleeren prompt einen Wurzelkanal übersehen, was mich nur wenige Tage später, somit nicht einmal zwei Wochen nach der Geburt an einem Wochenende zum zahnärztlichen Notdienst führte, der mir rückblickend ebenfalls nur temporär half, denn bereits in der ersten Urlaubswoche saß ich zitternd beim nächsten ortsansässigem Zahnarzt, der ein drittes Röntgenbild machen musste und mir im Anschluss hoffnungsvoll die Zähne abschliff, denn mittlerweile litt ich unter Schmerzen bei der Brücke, unter dem angegriffenen und verarzteten Zahn. Und die Alternative, er müsse im Ernstfall die Brücke aufbohren, klang wenig verführerisch. Der Zahnarzt schliff so lange, bis der Biss sich verändert hatte und sich doch tatsächlich die Schmerzen verabschiedet hatten. Davor dachte ich eine Zeit, ich hätte Hals-/Rachenschmerzen und würde krank werden.
Dieser Besuch hatte mich auf ein Problem aufmerksam gemacht, ich muss mir anscheinend nachts auf die Zähne beißen. Und wirklich, als ich darauf achtete bemerkte ich, dass ich nachts wach wurde, weil ich mir in die Backe biss oder die Zähne so sehr aufeinander presste, dass es weh tat. Je mehr Stress ich hatte, umso schlimmer wurde es. Das zeigte mir nun eigentlich erst auf, wie sehr mich vieles in den letzten Wochen mitgenommen hatte… Ganz und gar nicht schön…

Ich zitterte heute wieder, als die Ärztin mir ja eigentlich eine Freude machte, mein Körper signalisierte seit Wochen oder jetzt Monaten, dass er den Zahn nicht behalten würde wollen und dennoch ich hatte beinahe eine Panikattacke, als sie den Hebel in der Hand haltend bat meinen Mund weit auf zu machen und meinen Kopf zu ihr zu drehen. Ich bekam keine Luft, entschuldigte mich für meine Aufregung und erst als ich laut sagte: „Ich habe viele Kinder bekommen!“, um mir selbst gut zuzureden, konnte ich den Mund aufmachen. Ich hatte solche Angst vor den Schmerzen, aber das Ziehen war dann gar nicht so schlimm wie befürchtet.

Danach war mir flau. Ich mag gar nicht wissen wo mein Kreislauf war, ich hab kaum geblutet, vielleicht weil da kaum Blut pumpte, ich war wie benebelt, als ich nach Hause lief und hoffte da ohne Zwischenfälle gut anzukommen.

Kurz huschte der Gedanke „Aller Kummer vorher umsonst, die Ängste, all der Ärger, die Termine- ich hätte mir den Zahn ja noch schwanger ziehen lassen können und hätte wunderbar Ruhe im Wochenbett gehabt!“ durch den Kopf, aber ich wischte ihn weg, den Gedanken, denn er nutzte mir jetzt auch nichts mehr.
Ich dachte auch an all die Wut und Trauer, die in dem Zahn steckte, all das womit ich ihn verband. Die Wurzelspitzenresektion damals 2011 war, als die Spritze zu Hause aufhörte zu wirken, das Schlimmste an Schmerzen, dass ich je erlebt hatte und habe. Vielleicht lag es wirklich am seelisch wundfühlen, aber dieser Zahn, für mich war er immer _der_ Zahn- etwas was mich an die schlimmste Zeit meines Lebens erinnerte. Es konnte doch nichts Gutes sein, dass beide Ereignisse so miteinander verknüpft waren. Es ist bedeutsam, fast befreiend, dass er nun weg ist. Als sie mich fragte, ob ich ihn behalten wolle, sagt ich nur zu gern, nein. Ich werde auch wenn es verheilt ist und wir eine Lösung für die Lücke haben, diesen Zahn immer noch mit unserem verlorenen Kind verbinden. Beides auf ganz unterschiedliche Arzt und Weise schmerzhaft. Für immer Erinnerung.

Ich fühlte mich nach dem Ziehen des Zahns lädiert und verletzt, aber auch verbunden mit meinem Körper, denn mein Gefühl hatte mir eher als ich jeden Zahnarzt davon überzeugen konnte, gesagt dass es nun Zeit ist diesen Zahn loszulassen. Er war durch und durch entzündet und etwas so ungutes Gehen zu lassen, lässt einen wieder mehr atmen.
Der Zahn war porös, vielleicht hatte er einen Riss und die Wurzelfüllung war wie vom Bereitschaftsarzt geahnt über den Rand hinaus getreten, an der Stelle wo die Spitze abgeschnitten worden war und hatte noch einmal zusätzlich Schmerzen bereitet, kein Zahnarzt der Welt wäre da noch heran gekommen. Und für mich steht fest, so eine Wurzelspitze würde ich mir nicht noch einmal entfernen lassen, um zu versuchen einen Zahn zu retten. Es war nicht von Dauer.

Komisch wie man Erinnerungen mit dem Körper verbindet.

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Gestern noch wollte ich diesen Eintrag editieren und veröffentlichen, aber mir war nicht danach, in der Früh war ich noch einmal bei meiner Ärztin zur Wundkontrolle gewesen.
Heute Morgen hatte ich dann mehr Schmerzen, als ich gewollt hatte. Mein Gefühl sagte mir, dass da etwas nicht stimme. Ich erinnerte mich an den Wattebausch, den sie in die Lücke eingelegt hatte mit den Worten, der würde sich von allein auflösen. Kurz waren auf dem Zahnarztstuhl meine Gedanken zu einer Erinnerung geflogen, aber ich war guter Dinge gewesen und dachte, dass würde schon alles gut werden. Jetzt nach dem Aufstehen wollte ich dann nur noch dieses Stück Watte heraus bekommen, schaffte es allein aber nicht. Der nächste zahnärztliche Notdienst war für mich unerreichbar, aber ich hatte großes Glück eine liebste Freundin und ihr Freund waren so toll mich samt Anton eben rüber zu fahren. Dort wurde ich wieder super freundlich, einfühlsam und kompetent behandelt. Auch wurde leider ein viertes Röntgenbild seit Antons Geburt gemacht, aber es ist soweit alles in Ordnung. Die Ärztin dort bestätigte mich in meinem Gefühl, dass der Körper die Watte „angegriffen“ und sie sich vermutlich nicht von allein aufgelöst hätte, wie damals die Nähte, die sich hätten auflösen sollen, aber nicht getan hatten, im Gegenteil es hatten sich richtige Geschwülste darum gebildet, was mir ein Op eingebracht hatte- sie entfernte das Stückchen Watte, tupfte, spülte und brachte noch ein Medikament in die Wunde ein. Außerdem gab es ein Rezept, denn sehr wahrscheinlich ist der Kiefer betroffen, die Entzündung im Knochen und braucht Zeit und Fürsorge. Ich darf selbst entscheiden, ob ich die Antibiotika nehmen möchte oder Montag noch einmal zu meiner Ärztin gehen möchte, damit an Ort und Stelle noch einmal das Medikament wirken kann. Da sind wir jetzt. Die Schmerzen sind weg und ich bin ganz vorsichtig, höre in mich hinein, hoffe nur, dass nun an dieser Stelle das Schlimmste geschafft wäre. Nächste Haltestelle ist dann Weisheitszahn und der von Karies betroffene Zahn davor. Auf geht’s…

„Sie dürfen nicht immer alles aufschieben, Frau Kassiopeia!“, Zitat der Woche.

Ein Kommentar

  • Frau PN

    Du hast so mein Mitgefühl.
    Letztes Jahr musste mir auch ein Zahn gezogen werden. Das ganze Drumherum und vorher war so schlimm…

    Seit ein paar Tagen habe ich Schmerzen. Leichte zwar, aber… Ich muss hin und trau mich nicht. Am Meisten wegen der Scham die da ist, weil ich so lange nicht da war und doch wieder kommen sollte weil wir dringend Kronen machen lassen müssen…

    seufz