Vom großen Kleinen

Am Montag ist Tom das erste Mal eine Treppe ohne stolpern runter gegangen. Wir standen
beide im Hausflur, ich mit Ben auf dem Arm und sagte: „Komm mal hier rüber, halt dich da
fest und die andere Hand gibst du mir.“ Und er tat es doch tatsächlich. Er hatte mich verstanden,
hielt sich fest, gab mir die andere Hand und ging mit mir so das erste Mal die Treppe runter.
Er ist 21 Monate alt. Er versteht, er kann sich ausdrücken und benutzt Sprache auch. Heute
nach dem Mittagsschlaf holte ich ihn wieder aus seinem Bett, nahm ihn wie so oft samt Nuckel
und Decke auf den Schoß zum Kuscheln. Er legte seinen Kopf wieder auf meine Brust und
schmiegte sich an mich. Weil er noch ganz schön müde aussah, fragte ich ihn ob er vielleicht
doch lieber wieder ins Bett will, aber er sagte: „Nein, Kuscheln!“
Im Augenblick spricht er größtenteils nur noch Dreiwort-Sätze. Verständigung ist seit langem
mehr als bloß nur noch ein Ja oder Nein. Er sagt, was er will. Ein paar Dinge bringt er noch
durcheinander, zum Beispiel die verschiedenen Getränke, da ist Milch machmal Sprudelwasser
oder Tee die gute alte Milch. Er ruft aber am Tisch nicht Milch, sondern „Mama, Papa, Milch
einschenken.“
Als wir am Dienstag bei der Weihnachtsfeier der Löwen waren, ließ er sich problemlos durch
die Elternmenge von seiner Schwester an die Hand nehmen und in den Bewegungsraum bringen,
wo er ganz zurückhaltend allein mit ihr und ihm fremden anderen Kindern auf einer
Matte Platz nahm, um der Vorstellung der Löwenkinder folgen zu können, während alle Eltern
weit hinter den Kindern Platz nahmen. Während der ganzen Vorführung hatte er keinen Blickkontakt,
es war laut und voll und eine vollkommen neue und vorallem ungewohnte Situation und er blieb
einfach sitzen.
Am Sonntag lief er mit Papa bis zum Weihnachtsmarkt (wo er das erste Mal in seinem Leben
unglaublich mutig mit seiner Schwester Eisenbahn fuhr) und zurück, umgeben von großen,
drängelnden Erwachsenen ohne Probleme- an der Hand. Und als wir am Montag gehen wollten,
gab er sie mir völlig selbstverständlich, obwohl er noch vor ein paar Wochen auf gar keinen Fall
an meine Hand wollte. Trotzdem setzte ich ihn erstmal lieber in den Wagen, da wir spät dran waren.
Wenn er merkt, dass einer gehen will, schreit er sofort, dass er seine Schuhe und Jacke
anziehen will. Er hilft sogar beim Anziehen. Und am Abend zieht er sich schon oft zu großen
Teilen allein aus. Er ist in der Lage kleine Aufgaben zu erledigen: „Bringst du mir mal bitte…!?
Holst du mal bitte…?!“ Er ist aber genauso in der Lage bewusst ganz viel Mist zu machen, nur
um negative Aufmerksamkeit zu bekommen, wenn sich für ihn gefühlt längere Zeit niemand
interessiert.
Tom streitet sich immer öfter mit Noah. Um Spielsachen. Die Klassiker eigentlich: Playmobil-
Polizeiauto und Motorrad. Dabei können die beiden fauchen wie Kampfhähne. Obwohl beide
problemlos teilen, wenn sie höflich gefragt werden. Nur auf die Idee kommen sie zu selten, da
wird lieber aus der Hand geklaubt und dann geht der Ärger los.
Wenn ihm langweilig ist bringt er meist einen Haufen Bücher und möchte das wir sie vorlesen,
das sagt er natürlich laut und deutlich. Seine Leidenschaft ist Zoes Schublade voller Schätze, die
er unerlaubt und ohne ihr Wissen gerne ausräumt, wenn sie im Kindergarten ist.
Feste Regeln akzeptiert er ohne Umschweife. Seitdem es den Nuckel nur noch im Bett bei Auszeit
oder zum Schlafen gibt, will er ihn sonst auch gar nicht mehr. Er verlangt nicht danach. Und
gibt ihn sogar ab, wenn er aus seinem Bett möchte. Selbst wenn ein Nuckel auf dem Boden
liegt, nimmt er ihn nicht in den Mund.
Mit Ben ist er meist sehr liebevoll, auch wenn er sich mal mit voller Kraft aus seinen Bauch
lehnt, dann um ihn zu küssen oder seinen Kopf an Bens zu legen. Ab und an muss er testen,
was passiert wenn man sich mit dem Fuß an Bens Bauch nähert. Dabei ist er doch mittlerweile
sehr beherrscht. Wut, Frust und Ärger kann er ausdrücken in dem er die Augen weit aufreißt und
laut brüllt wie ein Äffchen, in der Hoffnung die geliebte Beute zu bekommen und dem Gegenüber
Angst einzujagen und zu verscheuchen. Klappt das nicht, will er beißen. Das hat er bisher ein
oder zwei Mal bei Noah geschafft. Ich kann mich erinnern, dass Noah immer haute. Nachdem
wir einmal sehr verärgert darüber waren und das auch kund taten, versucht er sich doch
wirklich zu beherrschen. Vorhin so sauer, näherte er sich Noahs Hand mit dem Mund und hielt
dann inne. Er weiß, dass das nicht in Ordnung ist. Aber wohin mit dem Frust? Genau. Da war
noch was. Wie seine Mutter, wirft Tom im Ärger mit Dingen. Da fliegt das Spielzeug im hohen
Bogen, wenn Mama es nicht gleich nimmt. Wenn er Glück hat, bleibt es ganz und er trifft
niemanden.
Seinen Platz hat er gefunden. Einen Bruder zum Spielen und Messen, einen Papa zum Raufen
und Blödsinn machen, eine Mama zum Kuscheln, einen kleinen Bruder zum Betüddeln und
Beschützen und eine große Schwester, die ihn liebevoll wortwörtlich an die Hand nimmt und
ihm die Welt zeigt: „Komm mal mit, Tom!“

Tom

10 Kommentare

  • tonni

    Wahnsinn. Und weisst du was? jdesmal wenn ich herkomme, komme ich über die seite des blogs in der du weisst, dass tom ein junge ist. weil ich dich damals als lesezeichen abspeicherte. und nun? nun ist er schon so gross. wahnsinn.

  • eva

    ich finds immer so schön, wenn du den ist-zustand beschreibst, was die kinder schon können und was sie so besonders macht. das hilft mir unglaublich, weil ich grad -trotz entschleunigens- total angestrengt bin. und oft so ungerecht mit den kindern. dann merke ich wieder: es ist schön, kinder zu haben. immer schön den blick aufs wesentliche nicht vergessen :) danke dafür.
    lg eva

  • Feuervogel

    Was für ein hübscher Junge – wie ein kleiner englischer Lord. ;o)
    Und ein toller Text. Wie soll man seinen Kindern nicht gerecht werden, wenn man jedes so bewusst wahrnimmt? Du machst das schon. PS: Gibt’s sowas auch mal von Zoe? Deine Große „kenne“ ich irgendwie am wenigsten …

  • Lorelei

    Lustig: Da klicke ich auf die Kommentare, um zu schreiben, daß Tom wie ein englischer Lord aussieht, und sehe, daß Feuervogel schon denselben Gedanken hatte. Dann muss es ja stimmen! :-)