Wer den Schaden hat…

Weil ich will, bin ich stark und gebe nicht auf. Weil ich will, liege ich nicht dort oben in meinem
Bett und weine. Weil ich will, mache ich weiter. Weil ich will, spreche ich darüber. Weil ich will,
gehe ich auf meine Freunde zu und möchte wissen wie es ihnen geht. Weil ich will, lache ich
wenn meine Kinder lachen. Nicht weil ich muss, weil mich jemand zwingt, sondern weil ich das
so will. Kein Mensch der Welt hat dennoch das recht mir zu sagen, ich solle mich mal nicht so
haben und das Glück sehen, was uns bleibt. Das ist dummdreist, kurzsichtig, unverschämt und
überhaupt nicht angemessen, wenn man mal einfach gar keine Ahnung hat, von dem was hinter
einem Blog passiert. Das steht niemanden zu. Und wenn ich wollen würde und mir die Augen
aus dem Kopf weinen, dann würde ich das tun, weil es mir gut tut! Und niemand muss sich
schämen dafür. Niemand. Trauer hat nichts, aber auch überhaupt nichts mit den ganzen anderen
Gefühlen zu tun, die wir erleben. Sie findet parallel statt. Und deswegen sollte man einfach mal
still sein und nicht so dermaßen anmaßend.
Erhobenen Hauptes höre ich seit unseren Verlust die dollsten Sachen. Ich wahre mir meine
Gefühle, ich wahre mir meine Trauer tief drinnen und versuche mit aller Kraft die Worte einfach
so abprallen zu lassen, denn wir vermissen:

Nein, es ist kein Glück, dass unser Kind so früh gehen musste! Ich hätte gern, wie wohl jede
Mutter einfach noch mehr Zeit mit meinem Kind erleben wollen.
Nein, ich brauche keine Hinweise von Außen um das vorhandene Glück zu sehen, ich seh das
schon selber. Und natürlich bin ich froh, dass meine vier Kinder gesund sind (, ich einen
wundervollen Mann habe,) aber es ändert rein gar nichts daran, dass unser jüngstes Kind
scheinbar nicht gesund genug war, es ist verstorben. Diese zwei Tatsachen sind einfach
unabhängig von einander.
Es ist mir egal, ob ich noch jung genug bin und mein Körper bewiesen hat, dass er es kann.
Es ändert nichts an unserer Sehnsucht und an unserer Trauer. Und vor allem unserer Angst,
es könnte wieder passieren und unser Kinderwunsch bliebe unerfüllt. Bin ich doch selbst der
beste Beweis dafür, dass es viermal wie am Schnürchen klappen kann und dann nicht mehr.
Und nein ich werde mich nicht zusammen reißen, weil ich „so viele tolle Kinder habe, da kommt
es auf eines mehr oder weniger doch gar nicht mehr drauf an“, denn unser Kind war kurz da
und nun ist es fort. Es kommt sehr wohl darauf an. Es macht sehr wohl einen Unterschied.
Nein, ich möchte nichts hören von Entzündungen, die zu Fehlgeburten führen können, nein ich
möchte nicht daran erinnert werden, dass ich es wohlmöglich mit verschuldet haben könnte.
Nein, ich möchte nichts von ungünstigen Magnetfeldern und Wasserlinien hören, die mein Kind
haben nicht bleiben lassen.
Und doch, es ist schlimm, auch wenn wir schon vier Kinder haben, denn der Kinderwunsch ist
der gleiche, seit einem Jahr. Unser Kind war bei uns. Und nun nicht mehr.

Die meisten meinen es wohl gut, sie wollen trösten. Viele wissen auch nicht wie damit umgehen
und natürlich geht jede Frau, jede Familie damit anders um, aber reicht nicht ein simples:
Es tut mir leid für euch. Reicht das nicht? Dann kann immer noch jede Frau sagen, es würde schon
gehen und wäre halb so wild, oder aber das sie sehr leidet. Aber was niemand braucht ist wohl
eine Analyse der Situation.
Es ist auch nicht unser einziges Gesprächsthema. Das Leben rollt einfach weiter und wir lassen
uns treiben, hier verarbeite ich nur in Worte, was mich bewegt. So wie ich das auch mit meinen
Freunden tue. Im Vordergrund steht hier gerade der Verlust. Auch wenn zu Hause die Gedanken
auch im Januar sind, hin und wieder bei Schulbewerbungen und Schuleingangsuntersuchungen.
Gestern war genau so ein Moment, wie ich meine Gefühle, auf und ab beschreiben würde. Wir
hatten seitens des Kindergarten einen wunderschönen Abend dank der Aufführung der tollen
Vorschulkinder, wir strahlten, grinsten grenzdebil, hatten Freudentränen in den Augen, schmachteten
unser tolles, wohl auf immer einziges unglaubliches Tochterkind an, alles war einfach großartig bis
dann zum Ende, als wir „Stille Nacht“ singen sollten, da sank ich zusammen in mir, denn es sollte
doch anders sein, eigentlich war da jemand und der hätte dabei sein müssen… wie wir immer
scherzten, das arme Kind, was denkt das nur angesichts des Rambazambas in dem es wächst…

Ich lese so gern die schöne Geschichten, dass aus verwaisten Frauen doch noch Mütter wurden,
aber soweit bin ich noch nicht. Ich sehe noch nicht den Sinn. Es ist gerade erst passiert. Und ich
finde wir gehen ganz großartig damit um. Das wäre doch etwas das man annehmen könnte, oder?
Etwas worüber man reden könnte? Wo ist die gute alte Unterstützung? Ein simples „Ihr macht das
toll!“ oder das gute alte Mutmachen: „Ihr seid stark! Ihr schafft das!“ Nur weil man einmal sagt man
wäre traurig, muss man dann schon die „hab dich nicht so“ Keule rausholen?

Ich bin froh ja, dass ich keine Ausschabung brauche. Dankbar, dass mir eine Vollnarkose erspart
geblieben ist, ein Tag ohne meine Lieben. Aber das ist auch alles, alles, alles was an unserem
Verlust positiv zu sehen ist. Wenigstens das musste nicht auch noch sein.

Der Rest ist mein Leben und findet auch weiterhin parallel statt, ich bin weder erblindet noch
brauche ich eine Brille, ich sehe mein Glück auch weiterhin, aber es ist blanker Hohn allein darauf
zu verweisen. Als würde, als könnte das eine das andere wieder gut machen. Das kann es nicht,
und das sollte es auch nicht.

Ich vermisse.

Ich denke wir machen das gut, nicht weil wir stark sind und einfach weiter machen, sondern
weil wir auf uns aufpassen und das machen wonach uns ist, denn die Betroffenen, völlig gleich
wie sie die Fehlgeburt erleben müssen ein Leben lang damit klar kommen und das hoffentlich
ohne Rückschläge, weil man im ersten Anlauf zuviel verdrängt hat.

Die Damen im Club, da draußen ihr seid unglaublich toll, mutig und stark! Ich denke an euch!
Und ich danke euch!

14 Kommentare

  • simetra

    liebe kassiopeia,

    erst schweige ich jahrelang und jetzt kommentiere ich schon zum zweiten mal an diesem tag… ;)

    ich muss ganz ehrlich zugeben, dass auch ich nicht immer frei von anmaßenden gedanken war, während ich deine einträge hier im blog verfolgte. so dachte ich anfangs, als du von deinem unerfüllten kinderwunsch geschrieben hast „ein jahr? das ist doch gar nix! und sie hat doch schon vier?! was soll ich denn da sagen?“ …. aber dann geriet ich ins grübeln. wer sagt denn, dass die sehnsucht nicht genauso groß sein darf, nur weil man schon nachwuchs hat? ist es nicht umso schöner, je mehr ein kind herbeigesehnt wird? wieso soll man als x-fache mutter nicht genauso viel über einen verlust trauern, wie jemand, der noch kein kind hat? ein herzenswunsch ist ein herzenswunsch, egal unter welchen voraussetzungen oder mit welcher vorgeschichte.

    du und deine familie, ihr seid stark und findet euren weg auch damit umzugehen.
    egal was andere sagen.

    alles liebe!
    s.

  • kassiopeia

    Ach Du Liebe! Eben lese ich noch voller Gefühl den letzten Kommentar und möchte soviel sagen, da kommt schon der zweite! Danke! Bleib doch ein bißchen hier. Ich war ja auch bei dir stöbern… :)

    Ich verstehe die Gedanken, bin ich selbst nicht frei davon. Ist doch nur natürlich. Aber das ist auch der Grund warum ich mit meinem Kinderwunsch und den Gedanken und Texten dazu an einen anderen Ort gegangen bin, weil mich genau das schon damals nicht reizte, wie man sich vorstellen kann.

    Wie sagte gestern eine wundervolle Freundin von mir… „Ach sei doch froh… Ach Quatsch schlimmer geht immer!“ Und so ist es. So wie du alles recht der Welt hast wütend zu sein, weil es schon solange nicht geklappt hat und du trauerst um zwei Kinder, hat eben auch dir gegenüber niemand irgendein Recht zu sagen, aber er könnte ja gar nicht schwanger werden und du sollst froh sein, dass du überhaupt im Besitz einer Gebärmutter wärst oder man probiere schon ein Jahrzehnt.

    Du hast ja keine Ahnung wie sehr ich dir die Daumen drücke, dein Wunsch möge in Erfüllung gehen und damit meine ich keine Schwangerschaft, sondern ein Kind! Damit der Sinn, endlich endlich zu erkennen ist…

    Hoffen wir zu Zweit eben, es möge alles am Ende einen haben! Alles Liebe dir!

  • isabella

    du darfst trauern so viel du willst und lachen so viel du willst! dir steht alles zu! ihr macht das toll wie ihr auf euch alle aufpasst! mit so vbiel iebe für jeden! auch für das kind, die seele die ging!

  • seenia

    wunderschön. du bringst es wie immer wunderschön auf den punkt. dieser erste abschnitt nehme ich für mich mit und halte ihn jedem unter die nase, der sich anmassend verhält. egal um was man trauert.

    ich denke an dich! auch ohne mich hier gross zu äussern.

  • Janine

    (((((♥)))))

    Ihr tut gut daran, auf Euch aufzupassen! Es ist für Euch, für Eure Kinder und für Euer Sternchen die einzige, gesunde Art damit umzugehen. Zu lachen, wenn Euch nach lachen ist und zu weinen, wenn Euch nach weinen ist. Du hast alles Recht der Welt dazu! Lass Dir das nie von jemandem ausreden! Es ist der Verlust Eures Herzkindes, den ihr betrauert und das hat kein Mensch dieser Erde irgendwie zu bewerten. Ich denke ganz viel an Dich, an Euch. Ich seid eine tolle Familie und wie Du weißt, wünsche ich Euch von Herzen nur das Beste!

    Ich drück Dich!

  • Frau Muschel

    Liebe Kassiopeia…

    ich kann nicht mitreden, ich bin nicht im Club, ich kann Dir nur hier beistehen, Dich spüren lassen, dass ich eine virtuelle Schulter zum Anlehnen geben kann, Dich in den virtuellen Arm nehmen und Dir Trost spenden kann. Ich möchte das Du weisst, ich denke an Dich, ich zünde jeden Morgen ein Kerzlein für euch an.

    Ängste, die hatte ich auch, beim Letzten unglaublich viel.
    Glück, ja das hatte ich, 3 mal.
    Glück werdet auch ihr, Du, wieder haben, ganz bestimmt.

    (((((♥)))))

  • kerstin

    Recht hast du.
    Geht euren Weg. Das ist dann der Richtige.

    Geschichten, Ratschläge, Tipps… wirst du immer wieder hören. Nimm dir immer das beste davon heraus für dich! Und versuche immer mehr an dir abprallen zu lassen.

    Meine Schwiegermutter sagte am Tag nach meiner ersten Fehlgeburt (10 SSW) zu mir, das ihre beiden FG ja wesentlich schlimmer waren und außerdem hatte sie zwei! Das habe ich nun übertroffen mit zwei Fehlgeburten und einer stillen Geburt. Seltsamer Wettstreit, den sie da anregte… aber noch immer hatte sie mehr Leid…

    Immer wird es Leute geben, die etwa schlaues zu reden haben…

    Herzliche Grüße…

  • PaulaQ

    Liebe Frau Kassiopeia,
    ich bin einfach froh, hier weiterhin von Ihnen und dem, was Sie bewegt, zu lesen! Und Menschen, die es besser wissen, oder die immer gute Ratschläge oder vermeintlich gute Wünsche parat haben, gibt es ja immer und überall, egal um was es im Leben geht. Ich werde Sie lesender Weise des Weges beleiten und gerne hier Ihre niedergeschriebenen Gedanken lesen.
    Liebe Grüße von Frau Q.

  • nane

    Endschuldige mal…aber: Scheiß doch auf die selbstgerechten Weiber, die Fehlgeburten als Leidenswettstreit brauchen!!!!!
    Ich zitter richtig, weil ich in den langen Jahren mit unerfülltem Kinderwunsch und 2 Sternchen immer wieder solchen Mist hören musste. Und es KOTZT mich an.
    und einen SINN, habe ich in dem Ganzen bis heute übrigens NICHT finden können.
    und
    Und ich stehe neben Dir und boxe jeder blöden Pute mal gewaltig auf die Nase, denn Du solltest deine Kräfte schonen dürfen und nicht auch noch mit solchen Sprüchen verletzt werden.
    Ich bin sauer und schreibe gerade völlig wirr……..ich geh erst mal Schnee schippen
    Liebe Grüße un ein :Ihrmachtestoll!!!!! mit vielen Ausrufezeichen!!!

  • Martina

    Ihr geht Euren Weg, was genau richtig so ist.

    Und um solch eine Geschichte zu verarbeiten, gibt es kein Patentrezept – weil einfach jeder anders ist, anders fühlt, anders damit umgeht. Punkt.
    (zur Ausschabung – das waren in dieser turbulenten Zeit die besten 15 Minuten Schlaf, die ich kriegen konnte)

    Alles Gute, Du Liebe.

  • fraumuemmel

    Ich kann dir einfach nur zustimmen.
    Natürlich kommt einem der ein oder andere Gedanke in den Kopf, der nicht gerade passend ist.
    Aber man muss manchmal vll wirklich erst mal nachdenken über seine Gedanken, um zu erkennen, dass sie nicht richtig sind.
    Und wenn man doch der Meinung ist, dass ein Mensch kein Grund zur Trauer hat, nur weil er schon eine Familie hat, dann sollte man vll einfach mal die Klappe halten.

    Ich meine, wie anmaßend kann man denn sein, anderen Menschen vorzuschreiben, wie sie sich zu fühlen haben?
    Und überhaupt ist manchmal eben einfach Feingefühl gefragt.

    Oder gar keine großen Worte. Nur ein schlichtes: Es tut mir sehr leid für euch!

  • Frau Bruellen

    Ich bin (Gottseidank) kein Mitglied des Clubs und auch wenn, würde ich hoffentlich nicht meine Art, damit umzugehen, als die einzig richtige ansehen und jemandem aufdrücken wollen. Und so: halte ich einfach den Mund, weil ich nicht weiss, was ich sagen soll. Ausser: es tut mir sehr, sehr leid für dich/euch.

  • Petra

    Liebe Kassiopeia,
    die Worte spiegeln so gut wider, was ich vor zwei Jahren empfunden habe, aber nicht ausdrücken konnte. Wie kann man sich erdreisten zu sagen, eine Fehlgeburt sei weniger schlimm, wenn schon ein (zwei, drei, vier…) Kind(er) in der Familie sind? Wir hatten uns ein zweites Kind genauso sehr gewünscht wie das erste auch. Da gibt es kein „weniger schlimm“.
    Viele Kommentare werden wohl unüberlegt und aus Unsicherheit, was nun zu tun oder zu sagen sei, ausgesprochen. Das macht es für uns Eltern aber nicht besser.
    Ich stimme voll zu und hoffe, dass weder Sie noch wir uns diese Gedanken noch ein weiteres Mal machen müssen.
    Alles Gute für Sie und Ihre Lieben
    Petra