Ein Wunder

Dieses Kind ist ein Wunder. Sie werden denken, dass jedes Kind ein kleines Wunder ist und Sie haben
recht. Aber unser Kind ist wirklich ein Wunder. Anders kann ich mir das alles nicht erklären.
Ich hatte am 5. Dezember die Fehlgeburt. Da begann die Blutung, die unser Leben wieder veränderte.
Ausbremste. Wir bangten noch drei Tage es möge alles ein Irrtum sein, aber der Bluttest bestätigte nur,
was ich tief im Herzen schon wusste. Körperlich eine Ausnahmesituation. Jeder Gang zur Toilette für
mich persönlich ein Albtraum. Als würde ich mein Kind ins Klo runterspülen. Ich weinte so viel. Ich
hätte mein Kind gern begraben, nicht gewischt, gespült, geblutet. Es war furchtbar. Und ich muss
sagen, ich wartete, sehnte mich einfach nach Ruhe, danach dass ich endlich zur Ruhe kommen könnte
und nicht so oft am Tag, ob ich wollte oder nicht zwangsläufig daran erinnert zu werden. Ich konnte
irgendwann einfach nicht mehr. Und wartete. Auf diese Ruhe. Es dauerte acht lange Tage. Und dann
konnte ich endlich zur Ruhe kommen. Ich hasste meinen Körper. Da war einfach soviel Wut. Ich war
so wütend. Traurig. Wütend. Traurig. Und wieder wütend. Es wurde auch ruhiger, jeden Tag ein bißchen
mehr. Ich hatte ein paar Tage zuvor einen Gedenkgottesdienst besucht. Eine Kerze angezündet und
ins Fenster gestellt. Ich bekam liebe Emails, die mich sehr bewegten und mir im Kopf herum geisterten.
Ich fragte mich, was die Zukunft für uns bereit halten würde. Wie lange es nur so sehr wehtun würde.
Dann fuhr der Mann schon weg. Mit der Firma. Und ich hatte unendlich viel Angst vor dieser Zeit.
Es war ja kurz vor Weihnachten und ich hatte Angst einfach zusammen zu brechen allein hier mit
den Kindern. Ich hatte Angst vor mir und meinen Gefühlen. Meine Schwiegermama nahm die Kinder
einen Nachmittag, die Großen und ich fuhr mit Ben einkaufen. Weihnachtspräsente für die liebsten
Erzieherinnen, für die liebsten Kindergarten-Freunde der Kinder, Einwickelpapier. Ich nahm Bäder.
Ich versuchte meinen Frieden zu machen. Ich schrieb alles auf. Jedes Gefühl. Ich hielt alles fest. Für
mich. Ich sah mir die schlimmsten Filme an wie „PS. Ich liebe dich“ und „Familie Stone“. Ich weinte.
Ich verwöhnte mich mit Ölen, Pralinen, Tee der so herrlich nach gebrannten Mandeln schmeckte. Nie
im Leben hätte ich gedacht, dass dieses „Alleinsein“ mir „helfen“ könnte. Ich hatte an meinem Abend
allein mit Ben, die Präsente für die Erzieher gemacht und das war auch irgendwie heilsam. Etwas
geben trotz all der Trauer. Meine Schwägerin kam noch am vorletzten Abend und betreute mit mir die
Kinder, es war ganz lieb einfach. Wir bastelten zusammen die Schokopräsente für die Freunde der
Kinder. Ich schrieb dazu ein paar Zeilen. Ich wickelte Geschenke ein. Ich wickelte gern Geschenke ein.
Dann kam Nils wieder und es fiel wieder eine Last von mir ab. Er war wieder da. Hatte schon Urlaub
diese drei Tage vor dem Fest. Wir waren einfach zusammen. Das war schön. Ich konnte mich auch
endlich fallen lassen, die Verantwortung abgeben. Ich hatte bis dahin keinen richtigen Urlaub, keine
Auszeit. Ich musste ganz normal jeden Tag aufstehen, die Kinder versorgen und abends ins Bett bringen,
endlich war Zeit für sich mal ausklinken aus dem Alltag. Es war trotzdem seltsamer Weise als würde
alles zur richtigen Zeit geschehen. Wie das entwickelte Foto, dass bei uns im Flur oben hängt und
mich auf immer an unser Kind erinnern wird. Dann plötzlich am 21. Dezember hatte ich wieder ganz
ganz leichte Blutungen. Ich war wieder wütend. Ich hatte doch so meine Ruhe gebraucht.
Mich machte das ganz verrückt. Dieses hin und her. Ich verstand einfach meinen Körper nicht mehr.
Seine Sprache, ich verstand nichts von dem was er sagte. Ich war mir so fremd geworden. Ich hätte auch
meinen Frieden damit gemacht, 6 Monate zu pausieren. Egal. Es wäre einfach egal gewesen. Dann nach
zwei Tagen war alles schon wieder vorüber und so leicht gewesen. Ich war verwirrter als zuvor. Mir kam
nur in den Sinn, dass da noch etwas gewesen sein muss von der Fehlgeburt. Dann kam das Weihnachtsfest.
Ich machte am Morgen des Heiligen Abend einen Schwangerschaftstest, der positiv war. Und natürlich
war er das, weil noch HCG in meinem Körper war. Die Frage, die ich mir stellte war: Wieviel noch? Es war
ein bißchen grausam. Es war so wie kurz vor dem positiven Test im November. Diese leichte Übelkeit
war wieder da. Als würde alles wieder rückwärts ablaufen. Es war also der 24. Dezember. Ich zündete in
der Kirche unter Tränen zwei Kerzen an und hätte niemals im Leben gedacht wie Symbolträchtig das im
Nachhinein sein würde. Der Mann zündete erst eine für das verstorbene Herzkind an und aus diesem
Licht, dieser Trauer, zündete ich eine weitere Kerze an für die Hoffnung. Es war schrecklich. Das wohl
schlimmste Weihnachtsfest, es war alles so falsch.
Zwei Tage später am Morgen des 26. Dezember machte ich noch einen Schwangerschaftstest von derselben
Firma und es war nichts mehr zu sehen. Nur noch eine wirkliche Ahnung. Einfach weg. Frieden. Endlich
Frieden. Ich kann das Gefühl nicht gut beschreiben. Ich hatte mich so sogar noch einmal so verabschieden
können, das war schön. Und nun schaute ich, ich versuchte nach vorn zu sehen. Wir feierten Silvester. Wir
machten uns eine schöne Zeit, soweit das ging. Aber noch immer rechnete ich. Noch immer ging ich abends
nach oben zum Weinen.
Dann im neuen Jahr. Schmerzen. Ich meinte mich zu erinnern. Aber war verwirrt. Soviel stärker. Soviel
Schmerz. Fruchtbare Tage? Jetzt? Körper- ist das dein ernst? Ich kann mich an diesen Abend erinnern. An
all meine Angst. An das Weinen. Das Loslassen. Und die Zärtlichkeit. Es war der 5. Januar. Ein Monat danach.
Einen Monat. Genau.
Warum dieses Kind ein Wunder ist? Ein so unfassbares Wunder an Mutter Natur? Ich hatte meinen Zyklusstart
schon während in meinem Körper noch HCG vom Herzkind war. Fünf lange Tage bevor langsam endlich keine
Schwangerschaftshormone in meinem Körper mehr waren, hatte mein Körper entschieden, für mich, für uns,
es wäre Zeit. Und nicht nur das. Ich kann es immer noch nicht glauben.

Es ist, wie es ist, sagt die Liebe.

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