Leben mit Ben

Du bist du. Schon seitdem du dir Platz unter meinem Herzen gemacht hast.
Was mit Pünktchen in meinem Bauch begann, wurde zu einer Art
beweglichem Medizinball. Und ja ich weiß, das sagen so viele Mütter.
Aber was du da in meinem Bauch geturnt hast war unglaublich. Selbst
unter der Geburt, die ich nach wie vor so wunderschön finde, hat es
dich nicht wirklich interessiert, dass die Hebamme zu mir meinte, wir
wären beim Ankommen in der Klinik schon bei 9cm und es fehle nicht mehr
viel.Ein paar Minuten später hättest du auf die Welt gekonnt, aber du
hattest einfach keine Lust. Du hattest auch die Tage zuvor keine Lust.
Du hast uns ganz schön auf Trab gehalten. Mit deinem Wechsel zwischen
Quer- Beckenend- und Kopflage. Sogar auf diesem Gebärbett, hattest du
keine Lust dich festzulegen. Die Hebamme und Ärztin waren einfach baff,
du hast dich gedreht und gewendet. Irgendwann warst du dir dann ganz
sicher und schwupps warst du da, mit einer Presswehe. Du bist kein
Dickkopf, du weißt nur was du willst, wenn es deine Zeit dafür ist.

Du wolltest stillen, ganz unbedingt und das taten wir bis nach deinem
ersten Geburtstag zu unseren Bedingungen. Selbst nachdem du mit
10 Monaten einfach so beschlossen hattest laufen zu wollen. Erst hast
du ohne Scheu die Treppenstufen erklommen und alle Besucher waren
erstaunt, dass ich dich da allein hoch und runter krabbeln ließ, aber
du warst so sicher darin, ich hatte keine Minute einen Zweifel. Mit
10 Monaten hast du das Laufen dann am Strand perfektioniert. Und nie
hörte es auf. Du kletterst. Überall rauf. Man hört von unten nur die
Fieberthermometer und weiß, dass du wieder einfach einen Kinderstuhl
geholt hast und auf den Wickeltisch geklettert bist, du schiebst
deinen Hochstuhl vom Esstisch überall hin nur damit du auch ja nichts
verpasst.
Gestern hast du einfach mal eben so in Sekundenschnelle ein
unbekanntes Baumhaus erklommen, obwohl das Geschwisterkind des
Besitzers gerade 3 Jahre es erst in dieser Woche das erste Mal
schaffte. Dafür bist du mir dann wie immer in die Arme gesprungen.
Ein Spiel, was wir eigentlich auf der Treppe perfektioniert haben.
Du stehst ein paar Stufen über mir, wir breiten unsere Arme aus und
du springst voll Vertrauen in meine Arme. Gestern schaute ich kurz
weg, fing dich zwar auf, aber seitdem ziert eine Beule unterm Auge
mein Gesicht.
Du warst schon immer mit deinem Körper so im Einklang. Du beherrscht
ihn so gut,das war immer das was dir lag. Und so dachte ich, wir
hätten noch ein bißchen mehr Zeit für deine Sprache. Aber schon im
Urlaub am Meer löste sich da was und seitdem konntest du mehr sagen
als nur dein Repertoire. Auf einmal sagtest du wirklich „Ja“, wenn man
dich etwas fragte. Du warst noch mal so viel wacher und präsenter.

Nach diesem Urlaub, hast du nur noch „Bappi“ zu mir gesagt, obwohl du
Mami oder Mama sagen konntest. Es machte Sinn, wir verbrachten
gemeinsam soviel Zeit, da waren dein Papa und ich eben beide „Bappi“.
Und immer noch, nach all der Zeit brachtest du den Namen deines Bruders
Tom nicht einmal über die Lippen. Aber plötzlich seit dieser Woche wurde
nicht nur aus dem Wunsch nach Trinken (ich versuch es mal mit
Buchstaben, aber das kann man nicht schreiben) nicht mehr „Kokoina“,
sondern wirklich und echt „Trinken“, nein du nennst nun zu deinen
anderen zwei Geschwistern, auch „Tonn“ beim Namen.
Aber du hast noch so viel mehr zu bieten, denn du bist ein Schwamm. Ein
echter Schwamm. Ich höre „blöde Mama, blöder Papa“ oder auch „blöder
Igel“ (woher deine Geschwister den Mist auch immer haben) aus deinem
Mund. Oder „Doofe Mama, doofer Papa“. Es fehlt eigentlich nur, dass du
wie dein Bruder vor mir stehst und fluchst „Das ist ein verdammter,
scheißer Tag!“ Ja scheißer, nicht scheiße.
Ich finde es für dein Alter ein beachtlichen Wortschatz, denn du dir
da innerhalb kürzester Zeit zugelegt hast. Auch das Fluchen finde ich
nicht schlimm, du kannst einfach nur schon jetzt in Worte packen, was
du fühlst, sogar „Angst“ kannst du schon sagen. Und ein Leben ohne dein
teilweise wirklich sehr tiefes Stimmchen kann ich mir nicht mehr
vorstellen, drei oder vier Wörter pro Satz sind kein Problem mehr. Und
du wirkst so sicher in der Wahl deiner Worte.
Auch wenn gerade deine direkte, lebensfrohe Art das schöne an deiner
Sprache bisher war und ist: „Tschüss, Ciao“ auf dem Weg nach oben zum
Händewaschen oder zu wildfremden Menschen. Du sagst das in einem Ton,
der ist einfach so voller positiver Energie und Lebensfreude.
Unglaublich.

Seit zwei Tagen weißt du nun wie du dich aus deinem Gitterbett befreien
kannst. Aber so leise, dass man wirklich einen Schreck bekommt, weil
man deine Stimme plötzlich im Treppenhaus hört. Tom sprang immer wie
ein nasser Sack aus seinem Bett, zugebener Maßen voller Wut und Säuernis,
ich nannte ihn ja nicht umsonst „Kamikaze Tom“, aber du bist dabei so
leise und elegant, das ist unheimlich.

Vor ein paar Wochen sind wir beide allein, das erste Mal Bus ohne
Geschwister oder Kinderwagen oder Tragehilfe gefahren, wir saßen
beide mit Schuhen (das ist hier wichtig zu erwähnen, denn du magst
keine Schuhe) hinterm Fahrer und du wirktest so groß wie du da saßst
und darauf wartetest, bist du endlich auf den Knopf drücken durfest.

Du bist einfach lieb. Du holst Tom seine Kuscheltiere, obwohl du doch
selbst nicht mal zwei Jahre alt bist, wenn er traurig ist oder sich
verletzt hat und streichelst ihm über den Kopf. Du hast ein großes
Herz. Du fühlst mit. Und auch wenn du einen ebenso großen Willen hast
wie deine Geschwister, ich kann nicht sagen woran das liegt, aber du
bist weicher in der Durchsetzung, zumindest erlebe ich es so. Ich
genieße die Zeit mit dir, sogar abends auf der Couch, weil du nicht
einschlafen kannst oder noch mal hoch geschreckt bist. Ich weiß nicht,
ob es an mir oder an dir liegt, aber mir macht das nichts mehr aus,
aber ich weiß bei deinen Geschwistern hätte mir es sehr wohl etwas
ausgemacht. Dabei bin ich mir fast sicher, dass es nicht nur dein
Nesthäkchenstatus ist. Du bist einfach nicht so aggressiv in deinem
Fordern. Damit möchte ich nicht sagen, dass deine Geschwister es alle
wären, aber zum Teil gehört es bei zweien zu ihrem Wesen dazu mit dem
Kopf sofort durch die Wand zu wollen und das kann man ihnen bei uns
Elternleider nicht mal verübeln, denn wir waren zuverlässigen Quellen
nach genauso.
Vor ein paar Wochen, ich glaube als wir drei sogar allein waren,
konntest du irgendwie nicht in den Schlaf finden, also haben wir mit
dir zusammen ferngesehen,erst du auf Papas Brust, dann lagst du auf
mir. Und irgendwann, dich lenkte das ab und schienst dennoch müde,
fragte ich dich nur mal so zur Sicherheit, ob du ins Bett möchtest
und du hast tatsächlich „Ja“ gesagt. Ich hab dann verblüfft noch mal
nach gefragt, aber es war dein ernst. Und auf der Treppe sagtest du
dann was von „Bett“. Ich hab dich dann noch verblüffter in dein Bett
gelegt und du bist dann wirklich eingeschlafen. Einfach so. Niemals
zuvor habe ich so etwas hier erlebt.

Ach Ben, du bist so etwas besonderes. Das denke ich jeden Tag (wenn
ich jeden einzelnen von euch anschaue), ein kleines Wunder das wir
erleben- unser letztes. Und vielleicht hatte ich damals das richtige
Gefühl, als ich diese ganz besonderen Zeilen niederschrieb. Umso
größer ist das Glück dich zu haben und umso dankbarer sind wir für
deine Liebe, dein Lachen, dein Leben.

Ben ist 22 Monate alt.

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