Schmeiß weg!

Wenn ich gut bin, habe ich für den Weg zum Kindergarten und zurück um die großen Jungs abzuholen mit Ben im Schlepptau unter der Woche eine Tüte Gummibärchen für die gute Stimmung dabei.
Im Bus kann ich sehen, wie Ben doch schon um kurz vor 12Uhr langsam müde wird, er ist ganz still und seine Augen werden schwerer und schwerer. Kurz vorm Aussteigen, greife ich also in meine Zaubertüte gebe ihm ein Bärchen und bekomme ihn so dazu den Bus zu verlassen. Wir laufen gemütlich zum Kindergarten runter und sacken die Jungs ein. An der Haltestelle vorm Kindergarten müssen wir warten, weil er zu müde ist, um den Weg hoch zu gehen. Er bleibt nicht mehr an der Hand und es fällt ihm schwer sich zu konzentrieren. Wir spielen am Wegesrand mit den Pusteblumen, ich verteile an alle ein oder zwei Gummibärchen, um die Wartezeit zu verkürzen, dann kommt auch schon der Bus und wir fahren hoch. Der Bus ist klein, aber voll, doch irgendwie bekommen wir noch alle einen Sitzplatz, Ben muss seinen leider mit einer halben Pobacke von mir und seinem Bruder teilen. Ich gebe kurz vorm Ausstieg beiden Kleinen ein Bärchen und gerade als wir aussteigen wollen, fällt Toms runter. Er weint nicht, denn ich sage ihm, er bekäme gleich ein neues und er möchte es nicht aufheben. Doch Ben sieht es und möchte es haben. Als ich Ben sage, ich hätte doch noch genug dabei, fängt er an zu weinen und will nicht aussteigen. So liebevoll wie möglich ziehe ich das Kind aus diesem Bus und es bleibt wie angewurzelt auf dem schmalen Gehweg sitzen und weintschreit. Er möchte jetzt sofort dieses Gummibärchen. Ich bleibe ruhig und hoffe, dass ich irgendwie das müde Kind erreiche, biete ihm ein frisches Gummitier an, aber er beruhigt sich nicht. Im Gegenteil, der nächste Bus kommt und ich gebe alles um mit allen drei Jungs herein zu kommen. Ben schmeißt sich aber sofort auf den Boden. Ängstlich flüchtet eine Frau von den vorderen Sitzplätzen. Der Moment, in dem alle Augen auf einen gerichtet sind. Das Kind schreit und stört die mittägliche Busfahrt, sitzt dabei noch im Weg auf dem schmutzigen Boden. Was tut die Mutter des Störenfrieds jetzt und zwei andere Kinder hat sie auch noch!? Ich versuche ruhig zu bleiben. Es ist auch nicht das erste Mal. Ich weiß aus Erfahrung meine eigene Unruhe und diese unangenehmen Blicke, die ich jetzt spüre, setzen mich unter Druck und am Ende verschwindet nur mein Verständnis für mein Kind, ich würde saurer und saurer werden und mich beim Aussteigen gern selbst zur Adoption freigeben. Heute ist aber ein guter Tag. Ich bleibe ganz bei meinem Kind, ziehe es auf den Beinen liebevoll hoch zu meinem Schoß, halte es ganz fest, rede mit ihm und versuche irgendwie eine Lösung zu finden. Kurz sage ich etwas lauter das Schlüsselwort „müde“ und signalisiere hoffentlich mir und allen Anwesenden, dass das Kind niemanden was tun wird :) Es ist keine lange Fahrt, aber ich versuche das Problem noch zu lösen, bevor wir aussteigen müssen. Unter dem Schreien und Weinen hören ich etwas raus über dreckige Gummibärchen. HA! „Du möchtest ein dreckiges Gummibärchen und kein Neues?!“- „JA!“ Ich schlage allen ernstes meinem Kind vor, das neue Bärchen auf den Boden zu schmeißen nach dem Aussteigen. Er beruhigt sich. Endlich hab ich ihn verstanden. Wir können den Bus ohne Ziehen, Bitten oder Flehen und ohne Gedanken an Adoption von Mutter oder Kind verlassen. Ich greife in meine Zaubertüte, gebe Noah ein Bärchen in die Hand, Tom ebenso und dann gucke ich Ben an. Soll ich das jetzt wirklich tun? Ich schmeiße mit all meiner Liebe das Gummibärchen zu Boden, Ben hebt es auf und ist glücklich. Ich auch. Nur der Bus steht noch und ich muss mich selber mit einem Schmunzeln fragen, was die Businsassen jetzt wohl denken…

Als wäre nie etwas gewesen laufen wir beinah schwerelos Hand an Hand nach Hause… Muttersein ist toll! :)

17 Kommentare

  • Frische Brise

    Ach Du! Ruhig zu bleiben in so einer Situation ist schon schwer. Aber am Ende musste ich echt lachen, wie Du mit aller Liebe das Gummibärchen zu Boden wirfst :-)
    Wenn die Kleinen sich mal etwas in den Kopf gesetzt haben…

  • kassiopeia

    @Frau Landgeflüster ♥

    @Frische Brise: Ich musste auch lachen am Ende :) Und ja du hast recht, das ruhig bleiben klappt leider nicht immer…

  • Katharina

    Ist schön, wenn es gelingt genau die Mama zu sein, die man sein will. Ich finde es auch immer sehr mühsam auf engstem Raum, im Bus oder so. Und Ende gut – alles gut. Zum Glück gehen auch die schlimmsten Wutanfälle mal vorbei. Gut gemacht. meine Liebe.

  • blumenpost

    Das ist irgendwie eine herrliche Situation, weil es so mitten aus dem Leben ist.
    Wobei ich in dem Moment wohl kurz verzweifeln würde. Und am Ende musste ich dann doch lachen, weil du das Gummibärchen wirklich auf den Boden geschmissen hast. Das ist genial!

  • alexxblume

    „….ich würde saurer und saurer werden und mich beim Aussteigen gern selbst zur Adoption freigeben.“
    Wow, danke für diese Umschreibung! Die ist perfekt, dieses Gefühl kenne ich sehr gut! Und wie schön, wenn es anders läuft – so wie beim dreckigen Gummibärchen! Ich habe so richtig schmunzeln müssen. :-)

  • Ulli

    Liebe Frau Kassiopeia! Nun lese ich die ganze Zeit stumm mit und habe in den letzten Wochen immer, wenn es irgendwie ging, den kompletten Block verschlungen – dabei oft so manches „vernachlässigt“, weil ich doch weiter lesen musste – und wirklich am Tag des letzten Aprileintrages schaffe ich es, „auf der Höhe der Zeit“ zu sein. Dann schreiben Sie so lange nichts, dass ich mich frage, ob ich einen Kommentar überlesen habe, in dem Sie ankündigen, dass eine Veränderung stattfindet.
    In den letzten Wochen war ich in Gedanken so oft bei Ihnen, wie ich es bei lieben Freundinnen bin. Sie schreiben so herzenswarm und Ihre Art und Weise zu schreiben lässt einen so mitfühlen, dass es mir schwerfiel, mich zu entziehen. Dabei ist dies mein erster Blog, den ich lese…
    Nun schreibe ich einfach drauflos, weil ich hoffe, eine Antwort auf meine Sorge zu bekommen, dass es Ihnen nicht gut geht und die lange Schreibpause daher kam. Denn leider konnte ich auch aus den Kommentaren nichts entnehmen, was darauf hindeutet.
    Bitte entschuldigen Sie mein Interesse, das hoffentlich bei Ihnen nicht als Neugierde ankommt. Doch wie schon gesagt, hatte ich in der letzten Zeit das Gefühl, dass Sie und Ihre Erlebnisse auch mein Leben bereichern, wie dies bei lieben Freundinnen der Fall ist. Dank Ihrer Schilderungen und Ihrer Sicht auf die Dinge fange ich an, manches an mir und meinem Alltag anders zu sehen.
    Nochmals Entschuldigung für das Herunterschreiben meiner Gedanken, die hoffentlich nicht falsch aufgefasst werden. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie von Herzen alles Gute und hoffe aufrichtig, dass es Ihnen gut geht.

  • kassiopeia

    @katharina: Ja, es tut unheimlich gut, wenn man es schafft, die Mama zu sein, die man gerne sein möchte. Gelingt nicht immer, obwohl man meist ganz genau weiß, dass sauer werden so überhaupt gar nichts bringt, dem Kind nicht und einem selber schon mal sowieso nicht…

    @blumenpost: Du hast ja keine Ahnung wie blöd ich mir vor kam. Jetzt im Nachhinein würde ich es immer wieder werfen, aber warum hadert man nur so? :)

    @alexxblume: Dieses blöde Gummibärchen! :) Aber so ist es doch, man fühlt sich unter Druck gesetzt, ist peinlich berührt, möchte nicht auffallen und es geht nur noch darum ganz schnell, ganz leise zu sein, obwohl man doch am Besten weiß, dass die Reaktion kurzweilig und verständlich ist… Memmo.

    Liebe Ulli,

    das Bloggen fällt mir im Moment nicht so leicht. Und heute dachte ich noch, wie schade, dass die ganzen schönen Artikel so verloren gehen im Laufe der Zeit, einer nach dem anderen nach hinten geschoben wird, sie niemand mehr liest. Und dann schreiben Sie hier so einen wunderschönen Kommentar, lesen mein ganzes Blog und ich bin so so berührt. Von Herzen. Vielen Dank für so warme Worte, für so viel Anteilnahme! Vielen Dank für die Wünsche und ich wünsche Ihnen ebenso alles, alles Liebe und ganz viel Freude in der Welt da draußen und hier in der der Blogs!

  • Eva

    Du Liebe, ich weiss ganz genau, wovon Du schreibst! Diesen Weg gehe ich auch gerade und bin so unsagbar stolz, dass es immer öfter gelingt! Ein wunderbar erfüllendes Gefühl. Ich schicke Dir viele liebe Gedanken.

  • Fraunashorn

    Chapeau für Sie!
    Ich würde mich gern mindestens einmal täglich „selbst zur Adoption freigeben“ wegen falscher Ungeduld (so schwer zu unterdrücken!) mit den Kindern. Aber bisher wusste ich nie, wie ich das nennen soll ;-)

  • kassiopeia

    @Eva: Ja, ist es. Und es ist umso ärgerlicher, wenn man sich mal aus dem Konzept bringen lässt… Vielen Dank für so liebe Gedanken! Da schick ich gleich welche zurück! :)

    @FrauNashorn: Ja, hin und wieder möchte ich mich gern weggeben :) Gibt so Tage oder Situationen.

  • mariliese

    wie toll geschrieben und wie großartig reagiert!
    ja, ich kenne all diese situationen und gefühle auch! und ich möchte mich auch leider viel zu oft zur adoption frei geben ;-) danke für diesen wirklich herzlichen und amüsanten einblick!

  • Nathalie

    Wow super reagiert!
    Solche Anfälle kenne ich auch.
    Wenn man das Kind dann nicht erreicht, fühlt man sich so hilflos, besonders wenn dann noch fremde Augen zuschauen. Mir kommt es dann oft vor als würde ich mir selber zuschauen und das macht mich dann noch nervöser, weil ich innerlich kritisiere und mit mir hadere.
    Und manchmal bin ich dann auch die Mutter die ich sein will, dann läuft alles wie am Schnürchen, ich bin ganz bei meinem Kind, wie du so schön schreibst!
    Schön dass es auch solche Tage gibt, “ Gummibärchen-mit-Liebe-auf-den-Boden-schmeiss-Tage sozusagen…
    Liebe Grüsse
    Nathalie

  • Ines

    Oh wie schön wiedermal etwas von dir zu lesen, du fehlst hier, deine lieben Worte sind so schön.
    Ach ja diese Situationen kennt jeder der Kinder hat oder? Allerdings kennt nicht jeder, zumindest nicht jedesmal, diese Ruhe. Ich hatte letzte Woche irgendwie nicht den Draht zu meinem völlig übermüdetet Kindergarten gefunden. 2 Stunden Gebrüll, Geschrei…ich weiß bis heute nicht so richtig was der Auslöser war. Erst im Bettchen wurde es ruhiger und ich konnte ihr lieb über den Kopf streicheln.

    Liebe Grüße
    Ines

  • kassiopeia

    @Nathalie: Eben. Es ist wunderschön, dass es solche Tage gibt, du beschreibst das so gut selber, wie man sich fühlt. Und das doofe ist doch, wenn man anders reagiert, mag man sich überhaupt nicht… Gar nicht… Aber man ist und bleibt halt ein Mensch, gibt solche und solche Tage.

    @Ines: Danke, total lieb von dir. Schön euch alle hier zu lesen! Und schon zermarter ich mir mein Hirn, worüber ich nur schreiben soll. Gehts dir auch so? Alles schon mal erzählt?
    Wegen dem keinen Draht: Eine ganz liebe Freundin erzählte mir dann von ihrer Tochter, die schrie, weil Mama aus Versehen(!) die Klospülung gedrückt hatte und das kostbare Kacka einfach weg war. Da hilft dann nix mehr :) Leben mit kleinen Menschen halt :)