Ohne dich.

Am Muttertag haben wir das letzte Mal mit einander telefoniert. Ich habe eine Verzweiflung in deiner Stimme gehört, die ich nicht von dir kannte. Ich habe dich angefleht in ein Krankenhaus zu gehen, wenn es dir so schlecht geht an diesem Sonntag und einen Tag später, nach einem weiteren Telefonat mit deiner Cousine bist du wirklich gegangen, wie ich erst durch Papa ein paar Tage später erfuhr.
Die Pfingstferien kamen heran gerollt und ich hatte einfach Angst um dich. Wir fuhren also nach Berlin, die Reise, die ich sofort gebucht hatte, nachdem ich mit einiger großer Verspätung erfahren hatte, dass der Krebs wieder da war. Jetzt warst du noch immer im Krankenhaus. Papa sammelte eine Hälfte der Familie am Bahnhof im Auto ein und die andere fuhr mit dem Taxi. Im Auto schon auf dem Weg Heim fiel das Wort „Hospiz“. Die Pflegedienstleitung des Krankenhauses hatte es zur Sprache gebracht und ich war froh und dankbar, dass ich nicht diejenige sein musste, die davon begann zu erzählen. Auch war allein das Wort schon endlich. Ein Weg ohne Wiederkehr. Das Hospiz ist für alle Angehörigen der letzte gemeinsame Gang. Aber ein so wichtiger…
Bereits am Sonntag fuhren wir dich dann besuchen, Papa, Nils, Zoe, Noah und ich. Niemals hätte ich dieses Bild vergessen können. Das Zimmer im Krankenhaus war zwar hell und freundlich, aber du lagst da allein, hast aus dem Fenster geguckt, sahst so unendlich schwach aus und hast gewartet, so schien es, dass der Tag herum ging. Es kam zwar täglich Besuch, doch der blieb gar nicht lange, zum Teil weil du gar nicht mehr lange konntest, aber auch weil man gar nicht wusste, was dir noch alles erzählen. Ich hatte nach diesem Treffen, dass Gefühl die Kleinen würden dir auch fehlen. Also sind wir nach einem Tag Pause, in der ich meine kranke, frisch geschlüpfte Nichte auf der Neo besuchen war, wieder zu dir gefahren. Papa, Tom, Ben und ich. Ich hatte das Gefühl, dass dir das viel gegeben hat. Mir hat es das. Du hast geweint. Du hast gefragt, ob das jetzt das Ende ist und wir haben so gut es ging mit dir über den Tod gesprochen. Ausgerechnet ich. Wir wissen nie wann es zu Ende ist. Der eine hat ein erfülltes langes Leben, der andere ein kurzes oder keines. Wenn du nun dort oben bist… hast du deine Urenkel gefunden? Passt du auch auf sie auf? Für mich? Ich konnte es dir einfach nicht vorher sagen… Als wir später wieder im Haus von Papa und Mama ankamen, rochen meine Hände noch lange nach deinen und den ganzen Nachmittag hatte ich an ihnen geschnuppert…
Als wir nach fünf Tagen aus Berlin wieder wegfuhren ging es mir schlecht. Ich glaube, der Körper hatte nach der Ankunft hier mal kurz die Notbremse gezogen. Ich weiß nicht, was ich gedacht habe, aber still und heimlich hatte ich bestimmt gehofft, dich im August noch einmal zu sehen. Ein paar Tage später erfuhr ich von Mama und Papa wieder etwas verzögert, dass du montags ins Hospiz kämst. Endlich. Denn auch wenn es ein schwerer Weg ist, weiß man doch wie gut diese Häuser sind, dort hätte man Zeit für dich. „Gäste“ nennt man euch dort. Die Zimmer sind wohnlich. Es kommt ein Seelsorger, man darf essen, wenn man mag. Und auch den Angehörigen wird eine Art und Weise zu Teil, die seines Gleichen sucht. Nach deiner Ankunft dort hast du mit Hilfe von jemand anderen Papa angerufen und gesagt, du wärst gut angekommen. Am morgen danach hast du wohl nach Frühstück gefragt. Wo du vorher nichts mehr essen wolltest.
Papa und Onkel N. sind dann seit Jahren das erste Mal zusammen ins Hospiz gefahren, um alles zu besprechen, dich aufzunehmen. Ich weiß noch genau, wie ich abends dann mit Papa darüber sprach und mir war sofort klar, wie viel dir bedeutet haben muss, deine beiden Söhne zusammen in deinem Zimmer zu sehen. Ich wollte dir noch schreiben, um so bei dir zu sein, wenn du schon kaum noch Kraft hattest zu telefonieren. Die Karte lag schon auf meinem Schreibtisch. Ich wollte dir erzählen, wie der Besuch von Noahs Kindergartengruppe war, dass wir gut angekommen sind. Eigentlich wollte ich dir noch soviel mehr sagen. Wie schrecklich es eigentlich ist, nicht bei dir sein zu können. Deine Hand nicht halten zu können, dir nichts vorlesen zu können. Einfach hier so im Alltag gefangen zu sein. Zu weit weg. Und immer wieder kamen die Bilder aus dem Krankenhaus hoch, wie du da nur noch lagst… Es war einfach so ganz anders als letztes Jahr. Du wolltest nicht mehr, dass hast du deinem ältesten Sohn gesagt.
Keine zwei Tage später nach dem Besuch deiner Söhne, klingelte mein Handy. Eigentlich wusste ich sofort, dass du eingeschlafen bist. Anscheinend wolltest du nicht mehr länger warten. Ich war geschockt. Weil es so schnell gegangen war. Ich war dankbar, weil wir dich alle noch mal gesehen hatten. Ich war froh, weil es für dich endlich vorbei war. Und du Gott sein Dank keine großen Schmerzen erleiden musstest. Aber ich war so unendlich traurig und bin es noch, weil du nicht mehr da bist. Ich habe soviele wunderschöne Erinnerungen an dich. Ich weiß wie ich dir von meiner ersten Liebe erzählt habe. Mit dir Sauerkirschen entsteinte, Erdbeeren im Garten pflückte, Kräuter holen durfte, stundenlang schaukelte, den Männern beim Spargelstechen zu sah, immer den Rand deines Kuchens liegen ließ, weil der Teil mit dem Obst und den Streuseln meist viel leckerer war, wie ich dir irgendwann voller Stolz Nils vorstellte und du bei unserer Hochzeit dabei warst, dir deinen ersten Urenkel in den Arm legen durfte, wir so zusammen das erste Weihnachten mit Zoe feierten, du hier mit mir standest und Kartoffelsuppe gekocht hast, mit mir den Tom von seiner Gruppe im Bus abgeholt hast, bei der ersten Einschulung noch dabei warst… Wir hatten schon großes Glück… Aber was hätte ich dir gern noch mehr gezeigt, mit dir erlebt… Weil ich dich so liebe.

Jetzt bist du nicht mehr bei uns. Seit 9 Tagen. Deine Söhne klebten im Hospiz einen Stern für dich an die Wand. Und jedes Jahr im Juni gibt es einen Gottesdienst für die Gäste, die im vergangenen Jahr verstorben sind. Erst jetzt war Papa das große Glas mit den vielen, vielen Sternen aufgefallen. Auch bekamen deine Söhne ein Stück des Tuchs, dass man dir überreicht hatte bei deiner Ankunft. Eine Hälfte nimmst du mit ins Grab und die zweite Hälfte teilten sich deine Söhne. Soviel liegt still seitdem du fort bist, soviel fließt einfach weiter… aber sei dir sicher ohne dich, fehlt so unglaublich viel.


Daisy.

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