Zwischenwelten

Eigentlich waren wir nur in der Gärtnerei, aber die Kinder bestehen darauf auf dem Weg über den Friedhof, der sicherer ist als der andere, eine Kerze anzuzünden. Ich nehme Platz auf der Bank mit einem Baby, das weint und beobachte während dessen zwei kleine Kinder, die Eicheln sammeln für sich und ein paar um sie um die Kerze herum zu legen- ganz vorsichtig, den ich habe ihnen gesagt, sie sei heiss.
Überall liegen Blätter, kleine Stöckchen, Nacktschnecken tummeln sich um Eicheln und allerlei anderem auf der Wiese, das den Wechsel ankündigt. September. Es nieselt und es duftet nach Herbst.
Das Baby sucht und findet Ruhe, Geborgenheit und Liebe, während ich den zwei Kindern zu schaue, die um und über die Spirale laufen.
Unser Stein sieht nicht mehr neu aus, langsam wird er grün wie die anderen, aber im Regen erkennt man die Schrift sehr gut.
Ich denke an mein Kind. Während ich eines in den Armen halte. Aber es sind zwei verschiedene Kinder. Ich möchte nicht undankbar sein, aber Gott er fehlt mir so sehr. Er ist ein Teil von mir, der nicht da ist. Da fehlt ein Glied in der Kette unserer Familie, so empfinde ich das. Ein Kind, das fast ein Jahr sein sollte. Es ist nicht da.
Und während ich meine Gedanken treiben lasse, mein Baby fest halte, es echt ist, seinen Duft in meiner Nase habe, höre ich sie, die Glocken der Kirche, sie läuten.
Es ist nicht alles gut, es ist nicht schlecht oder traurig, es ist nicht unfair oder fair. Es ist nur. Das Leben. Vielleicht ist es auch alles gleichzeitig.

… Dennoch als hätte ich mich durch die Geburt auf die andere Seite begeben. Der Weg der Schwangerschaft war lang und viel symbolischer, als mir je klar war. Emil tut mir so gut. Aber was mir Angst macht, grosse- ist das Wissen, dass das Leben eben tut, was es tut, der Weg auf die andere Seite zurück ist kurz. Deswegen geniesse ich jeden Augenblick.

Ich hatte keine Chance. Und ich merke es nicht mal bewusst. Mein Unterbewusstsein koppelt sich an meinen Körper, ehe ich überhaupt daran denke, dass bald oder schon September ist. Erstmalig hatte ich dieses Gefühl im Urlaub und jetzt hier weinend im Bett, ist es so… so ersichtlich. Deswegen putze ich plötzlich wie verrückt in jeder freien Minute, als könnte ich weglaufen davor, aber das kann ich nicht. Deswegen träume ich wieder. Deswegen träume ich von abstürzenden Flugzeugen. Wie wir Eltern (über) leben, aber unsere Kinder tot sind. Nichts von diesem Traum ergibt einen Sinn, denn plötzlich höre ich die Stimmen meiner Kinder, finde alle wieder, obwohl überall Trümmer liegen, ist doch niemand(?) gestorben. Der Traum heute Nacht liess mich beklommen zurück. Ich hab ihn nicht verstanden. Warum sollte ich träumen, alle wären tot und dann sind alle doch wieder da, weil ich sie an den Stimmen in der Menge erkenne?!
Ich suche mein Kind, das Stück meines Herzens, das nicht ausserhalb des Körpers fliegt, ein Stück das fehlt. Er fehlt und ich muss ihn zulassen den Schmerz, den ich komme nicht um ihn herum. Zwei Zeiten im Jahr: eine Zeit, die mich erinnern lässt, was geschehen ist damals und eine Zeit, in der ich denke, was hätte sein sollen.
Ich sollte noch viel müder sein, hier in unserer aller Mitte sollte ein unbändiger fast Einjähriger umherlaufen, tapsig, wackelig, klein und anhänglich. Und er ist nicht da. Das fühle ich. Und ich kann nicht so tun, als wäre es nicht so. Es tut weh. Und ich halte sie alle fest, die Kinder die ich haben darf.

13 Kommentare

  • wolkenflug

    während ich hier sitze und deine zeilen lese, die mich völlig ergriffen zurücklassen, will mir eines nicht aus dem kopf gehen: wäre damals alles anders gewesen, hättet ihr jetzt ein einjähriges kind zuhause, gäbe es emil nicht. emil, der für mich als außenstehende so wirkt, als sei er schon immer bei euch gewesen, als mache er eure familie noch schöner und als wäre er dazu bestimmt, dir und deiner familie halt zu geben, als wäre er von eurem engelchen geschickt worden, um euch zu bereichern und um euch zu zeigen, dass ihr trotz allem glücklich sein dürft (und auch sollt!). das schicksal geht manchmal undurchsichtige wege, aber ich glaube ganz fest daran, dass ihr alle daran wachst und euch emil eine besondere stütze (und auch aufgabe) sein soll, um diesen schwierigen weg gemeinsam als familie zu bewältigen.

  • kassiopeia

    @Wolkenflug:
    Wie oft sprechen wir mit unseren Kindern über diese „was wäre wenns“ und diese drei kleinen Sterne. Die Kinder wissen genau, dass wir niemals 8 Kinder hätten, nur wenn die Fehlgeburten nicht gewesen wären, sie wissen das sich das zeitlich überschneidet. Aber dieses eine Kind, dieses eine war 14 Wochen bei uns bis es der Unfall aus meinem Bauch und aus unserer Mitte gerissen hat. Und Emil ist entstanden nach diesem errechneten Termin und das hat meine Seele gebraucht. Beide Kinder könnten hier sein. Und ich muss nicht für immer Emil anschauen und denken, wenn nur der Unfall nicht gewesen wäre und das eine Kind gestorben, dann gäbe es dich gar nicht. Es hätte(!) beide geben können(!), so empfinde ich das.

    Sonst gäbe ich dir recht! Bei allen anderen Fehlgeburten fühle ich das genau so. Aber bei diesem Kind ist das anders. Es fehlt. Aber… ich bin so unendlich dankbar für unseren Emil. Aus tiefstem Herzen dankbar, dass diese Schwangerschaft trotz ihrer Tiefen so wunderschön enden durfte! Und ja vielleicht haben ihn die anderen von der Wolke zu uns geschickt. Denn ich wusste er sitzt da, noch bevor er in meinem Bauch wohnte. (Und eigentlich wollte ich darüber schon lange mal geschrieben haben…)

    Danke für deine lieben Worte!

    Danke euch allen für die Umarmungen und Gedanken!

  • kassiopeia

    @Wolkenflug: Der Satz lässt mich nicht mehr los: „emil, der für mich als außenstehende so wirkt, als sei er schon immer bei euch gewesen, als mache er eure familie noch schöner und als wäre er dazu bestimmt, dir und deiner familie halt zu geben..“ Das stimmt so…

  • Wolkenflug

    liebe kassiopeia,
    so genau hatte ich das nicht verinnerlicht. mir war nicht bewusst, dass dieses engelchen tatsächlich fehlt, weil es auch emils geschwisterchen hätte sein können. (ich hoffe sehr, ich habe dich mit meiner aussage nicht verletzt.) so traurig es ist, dass dir diese lücke zwischen deinen kindern immer bewusst ist, so bewunderswert und wichtig finde ich es, dass du ebenso bewusst erlebst, dass emil bei euch ist, weil er bei euch sein darf und kann, dass es ihn gibt, weil es ihn geben sollte und nicht, weil ein anderes kind seinen weg nicht bis in eure arme finden durfte!

    ich hoffe für dich und deine wunderbare familie, dass der halt, den euch emil und ihr euch gegenseitig gebt, euch noch stärker macht, enger zusammenschweißt und ihr gemeinsam glücklich seid. glücklich seid an jedem einzelnen tag, den ihr gemeinsam erleben dürft, und dass ihr das schicksal annehmen könnt, ohne daran zu zerbrechen!

    ich umarme dich.

  • kassiopeia

    Liebe Wolkenflug,

    ich bin nicht verletzt, zugegeben ich war berührt, sonst hätte ich „mich“ nicht so erklärt :) Aber ich dachte mir, dass du mich nicht verletzen wolltest, du wolltest etwas Liebes sagen. Du hast dir Gedanken gemacht!
    Danke für deine wundervollen Worte, mir bedeutet das viel und genauso ist es! Es hat uns verändert und Emil ist ein Geschenk für uns alle <3