Pupsegal

Ich weiß, wir wollen immer alles richtig machen als Eltern, gut informiert sein und unseren Kindern was Gutes tun. Aber jetzt, nach fast 8 Jahren, meinen Sie es würde meine Tochter interessieren, dass ich sie als Baby im Babybjörn trug? Ich habe sie nicht Stunden umher getragen. Und ich kannte nur dieses Ding, was mir im Laden verkauft wurde, weil es zu diesem Zeitpunkt gut beworben wurde, nehme ich an und weil ich es für eine gute Idee hielt so ein Ding zu besitzen. Diese Tragetücher waren ein Buch mit sieben Siegeln, das war die einzige Alternative, die ich kannte. Das Ding mit den Schnallen machte einfach mehr Sinn. Aber zurück zu dem Sinn des Posts. Ja und nun? Warum müssen sich immer alle kollektiv darüber aufregen, wenn jemand ein Babybjörn trägt und dann noch nach Vorne? Das ist ja dann noch viel schlimmer! Wen geht es was an? Ich höre dann immer: „Aber sind die denn nicht richtig informiert?“ Ja und wenn? Wo ist das scheiß Handbuch für unsere Kinder? Es gibt keinen universal Leitfaden und es geht uns verdammt noch mal nichts an. Wir dürfen gerne alle bei uns bleiben, aber dieses Finger rausholen und ich weiß es aber besser, geht mir so auf die Nerven, weil es keinen Preis geben wird für die beste Mutti!
Wir orientieren uns an anderen, manchmal an Studien und finden so unseren Weg- das ist wichtig. Aber es ist nicht wichtig wie andere Babies schlafen, worin und mit was solange es nichts lebensbedrohliches ist. Es geht uns nichts an und wir sollten uns doch fragen, warum es uns so aufregt und was es uns bringt? Dem Kind, das wir da schützen wollen sicherlich gar nichts.
Meine Tochter wurde mit Einschlaftraining zum Schlafen gebracht, das ist kein Geheimnis. Und ich schäme mich dafür auch nicht. Warum ich das tat? Weil ich beim ersten Kind auf den Tipp unseres Kinderarzt gehört habe und er es damals empfahl und ich es für eine gute Idee hielt, was ich da las machte für mich Sinn. Alle Schreckensnachrichten, die Folgen, von denen ich so hörte: keine Empathie, Bindungsstörung- alles was es so gibt, worauf wir Mütter heute besseren Wissens nach unser Urteil stützen, trat nicht ein. Im Gegenteil damals hatte ich das Gefühl, dass das unheimlich wichtig für sie ist.
Ich fuhr meinen Sohn Noah im Maxi Cosi durch die Welt auf einem Buggyaufsatz, ja und warum, weil ich mir nichts dabei dachte. Nicht um ihm vorsätzlich zu schaden. Nicht weil ich zu blöde war mich zu informieren, ich machte das einfach. Und ich war ihm deswegen keine schlechte Mutter. Ich las in einem Buch darüber, dass man Kinder viel auf einer Decke auf dem Boden liegen lassen soll, damit sie teilhaben und sie bewegen können nicht immer auf dem Arm durch die Gegend getragen werden, was ich tat und es war prima- diese Physiotherapeutin hatte gute Argumente.
Ich stillte meine ersten drei Kinder nicht, das Erste weil klassisch alles schief ging, was schief gehen hätte können, das zweite aus Überzeugung nicht und das dritte schon mit einem leider nicht, der Rest ist Geschichte.
Heute trage ich mein Kind, soviel wie keines zuvor. Mein Kind schläft Teile der Nacht im Bett, mein Zweitkleinster jede Nacht, man nennt das Familienbett, ich würde keinen Babybjörn mehr kaufen, meine letzten zwei Kinder bekamen keinen Schnuller, weil ich weiß wie furchtbar die Entwöhnung von den Dingern ist. Und nein, ich habe keine Kinder, die besonders wenig nuckelten sondern ich tat das, weil es für uns gut ist. Sie nuckelten eben an mir. Der eine mehr, der andere weniger.
Ich sagte schon immer, nicht nur jedes Kind ist anders, sondern ich war auch jedem Kind eine andere Mutter. Ich bin heute keine bessere Mutter, als damals. Ich bin nicht informierter. Woran ich das festmache? Wenn das Pucken so lange propagiert wird und plötzlich schlagen Kinderärzte Alarm, weil die Kinder zu fest gepuckt werden, dass ihnen Organe abgedrückt werden oder minder schlimmes. Plötzlich gibt es also einen Umschwung. Heute gibt es immer wieder leise Kritik, ob das Tragen wirklich so gut ist und ganz ehrlich wenn man es nicht richtig gebunden bekommt, vermutlich nicht, aber was macht das schon? Das sind kurzweilige Geschichten. Und am Ende, falls es unsere Kinder jemals interessiert, stehen wir Rede und Antwort, warum wieso weshalb, da hilft weder ein, dass hat man halt so gemacht, noch ein ja aber ich hatte das gelesen. Es muss sich gut anfühlen, im Sinne von in dem Moment richtig, finde ich.
Nach fast 8 Jahren sehe ich mein Tochterkind an und meine Söhne und fühle, dass es darauf an kommt im richtigen Moment da zu sein, ein offenes Ohr zu haben, Probleme von Kindern ebenso ernst zu nehmen wie die eines Erwachsenen, sie auffangen, nicht gestresst vom Alltag gar keinen Kopf dafür haben, manchmal Opfer bringen, Dinge machen auf die man vielleicht nicht mal immer Lust hat, wie im Schulbus mitfahren, damit das kleine Kind nicht aus seiner Kindergarteneingewöhnungsroutine heraus gerissen wird oder sich umdrehen und gehen, weil das Kind nicht noch einmal kommen wird um sich ein Küsschen abzuholen, nicht noch einmal winken, loslassen. Fehler machen, sich blöd verhalten, mal kein offenes Ohr haben und sich und dem Kind gegenüber eingestehen: JA, ich bin nicht perfekt. Kleine große Dinge, die viel mehr wert sind, viel wichtiger sind, als ein blöder dummer Babybjörn.
Es ist kein Verbrechen sich Gedanken zu machen, um das richtige Bett, die richtige Trage, die richtige Kleidung, aber es sollte richtig sein für einen selbst und das eigene Kind, nicht ob es anderen gefällt und nicht darum gehen, ob der andere es anders, schlechter macht als wir. Wir sind doch dann nicht besser, wir sitzen doch im gleichen Boot, meist das gleiche Ziel vor Augen. Es ist einfach nicht wichtig. Andere Dinge sind wichtig, da warten kleine Menschen, die uns brauchen. Uns. Mehr braucht es gar nicht.

23 Kommentare

  • frl_mieke

    liebe frau kassiopeia,
    treffender hätten Sie es nicht formulieren können … ich habs gleich zweimal gelesen, weil ich Wort für Wort aufgesogen habe ;)
    … nach ebenfalls 8 Jahren „Erfahrung“ und vielen verschiedenen Ansätzen, von denen jeder zu seiner Zeit richtig und passend war, ist für mich heute der einzige Maßstab der, dass es sich richtig anfühlen muss, für jedes Kind, zu seiner Zeit.
    (war es eigentlich schon immer, aber früher habe ich mich oft irritieren lassen von dem, was die anderen so tun und für richtig halten)
    Und Recht haben Sie,
    nicht alles so hoch hängen, diese ganze „Wissenschaft“ und all die selbsternannten Experten …
    Da zu sein, mit all seiner Kraft & Liebe und mit dem was man zu geben vermag, das ist wichtig ….

    Danke, dass Sie es wieder einmal so wunderbar formuliert haben, Sie sind wirklich begnadet – mit Gedanken und Worten und damit, das eine zum anderen zu bringen …

    Einen wunderbaren Tag noch, trotz Regenwetters

  • morgan

    DANKE!!!
    Nachdem ich mich in den letzten Wochen und Monaten so viel habe rechtfertigen müssen, warum ich um alles in der Welt meine erst 1-jährige Tochter denn auch schon in die Kita geben will (zusammen mit meinem 2-jährigen Sohn), weil „das geht doch nicht, denen fehlt doch die ganze mütterliche bindung, wenn man sie unter 3 schon weggibt“…
    SPRICHST DU MIR AUS DER SEELE!!!

  • Frische Brise

    Aaaahhhhh, Deine Worte sind Balsam für mich! So treffend geschrieben!

    Schon lange will ich etwas ähnliches schreiben.
    Als ich vor 14 Jahren schwanger mit meinem Großen war, war vieles noch anders. Die Empfehlungen, was ein Baby braucht oder nicht, ändern sich alle paar Jahre.
    Diese Fütter- und Breidiskussionen! Dabei geht es höchstens um ein paar lumpige Monate, bis das Kind eh am Familientisch mitisst. Und die Zeit geht ja soooo schnell vorbei.

    Und immer diese Besserwisserei und Missionierung in Mütterkreisen. Seufz.

    Danke! Danke! Danke!

  • Martina

    JA!!!!

    ich habe manchmal zwar schon ein schlechtes Gewissen, weil ich heute einiges besser weiß – aber hey, jedes Kind ist anders, wir verändern uns – und vielleicht wäre das Besser-Wissen, das wir mit jedem neuen Kind erwerben, für das/die anderen eben nicht „richtig“ gewesen.
    Solange wir (geistig) gesund sind und entsprechend handeln – …. – die Lütten halten mehr aus, als man denkt! :-)

  • Anja

    Ooooh, ich habe seit Monaten ähnliche Gedanken gewälzt, gestern ausformuliert und gerade eben gepostet :-) Darf ich diesen Post dazu verlinken? Das wäre toll :-)
    Ganz liebi grüäss, anja

  • blumenpost

    Hach. Du bist so toll!
    Manchmal ist es echt schwierig in diesem ganzen Wust von Empfehlungen und Meinung irgendwie seinen Weg zu finden. Dabei merke ich doch am besten was für mich und mein Kind passt.

  • Frau Traumspiel

    Hm, ich bin grad ein wenig überrascht dass es Menschen gibt die an dir was auszusetzen haben, wo ich doch selten das Gefühl hab dass das jemand toller macht wie ihr/du.
    Nicht weil alles perfekt läuft sondern genau aus dem Grund dass du auf dich und deine Kinder hörst und dir das beste für sie wünscht..
    Großes Kompliment, bewahrt euch das.. das ist was unbezahlbares!

  • alex

    Sehr schöner Eintrag.

    Besonders gefällt mir die Botschaft dass wir alle anders sind. Zu jeder Zeit. Ich muss mich oftmals dafür rechtfertigen, warum ich heute meinen kleinen Sohn „anders“ groß ziehen, als unseren großen. Aber so wie ich mit der Zeit anders reagiere. So ist einfach auch jedes unserer Kinder unterschiedlich. Und am Ende kommt es nur darauf an, dass alle wissen dass sie jederzeit zu uns kommen können und wir sie nie wegschupsen werden. Oftmals geben wir Dingen im Leben unserer Kinder eine Bedeutung was für unsere Kinder total unwichtig ist. Unwichtig nun im heutigen Leben oder in ihrem späteren Leben.

    Bestes Beispiel (wenn auch ein etwas krasseres). Freundin unterbricht ihre Ausbildung, weil sie zu Hause sein möchte, wenn ihre Tochter bzw. Sohn aus Kita bzw. Schule kommen. Wir hatten einen Gespräch darüber und dabei sagte ihre Mutter, wie sie es denn in der Wochenkrippe (zur Erklärung http://de.wikipedia.org/wiki/Wochenkrippe) denn ausgehalten hätte? Und was für Sie dabei hängen geblieben ist. Freundin wusste noch nicht mal dass sie je in so einer Krippe war :)

    D.h. jetzt aber bitte nicht, dass ich eine Wochenkrippe beführworte, aber es zeigt einfach wie relativ unsere Wahrnehmung ist und das manche Sachen ebend für uns als Eltern wichtig erscheinen (ebend dieses zu Hause sein oder Beikost oder Töpfchen/Toilette-Frage oder Wagen/Tragetuch oder …) aber für die kleinen Knöpfe ist es vollkommen egal. Meine Freundin übrigens kann sich nur noch an die tollen Wochenenden mit ihrer Familie erinnern. An Erlebnisse und dass sie zu jederzeit zu ihren Eltern gehen konnte wenn mal was war.

  • agi

    ja, das hast du schön gesagt. und wenn du selbst wirklich danach leben kannst, dann ist das großartig! weil es gesünder für uns alle wäre. denn ich verliere ebenso viele nerven, wenn ich mich über die „fehler“ der anderen aufrege wie wenn ich mich darüber ärgere, dass jemand meine „fehler“ anprangert. besser also es einfach sein zu lassen. in beide richtungen.

    aber beim lesen der kommentare musste ich dann doch schmunzeln. alle finden es großartig. aber quasi alle, mit denen ich auch gelegentlich zu tun habe, handeln genau entgegengesetzt. nicht weil sie böse menschen sind, nein und ich will das auch niemandem vorwerfen, zumal ich selbst nicht einen hauch besser bin, ich denk mir nur: es ist so leicht zu sagen „großartig! ja, genau so!“, ein ganz anderes aber ist es das wirklich verinnerlicht zu haben und danach zu leben.

  • kassiopeia

    Keiner hat glaube ich eine Ahnung, wie viel Überwindung mich dieser Post gekostet hat, weil ich Menschen, die ich mag nicht vor den Kopf stoßen wollte. Und das habe ich damit. Aber ich wollte es mal los sein. Weil ich genau so empfinde…

    @agi: Ich hab „lange“ darüber nachgedacht, aber ja… aus tiefstem Herzen kann ich sagen, dass es mir total Wurstbrot ist, was andere Mütter machen. So richtig. Ich habe viele Freundinnen, die alles mögliche anders machen untereinander und mir gegenüber, quer Beet durch alles Altersschichten… und sie bedeuten mir so viel. Jede Frau hat das Recht es zu machen wie sie will ohne „guck mal, die da…“ und vielleicht kann ich das ebenso sagen, weil ich schon in vielen Boten gesessen habe, viel „guck mal, die da“ gehört habe, viel „guck, mal die da“ praktiziert hatte und plötzlich genau an der selben Stelle stand und für mich jetzt selbst weiß, was mir wirklich wichtig ist, nämlich alles andere als diese nutzlosen „Diskussionen“. Das hab ich gelernt. Also ja, ich kann danach leben. Sehr gut sogar. Sehr empfehlenswert. :)

  • Judy

    @agi: Mir war’s eigentlich schon immer egal, was Andere gemacht haben. Außer natürlich sie schaden ihrer Umwelt (und dazu gehören natürlich auch ihre Kinder) tatsächlich in „krimineller“ Form. Da darf man natürlich nicht weggucken. Aber das war hier ja auch nicht gemeint. Von daher – nichts liegt mir ferner als „Missionierungen“ und „gute Ratschläge“. Sollen doch alle Mütter so machen, wie es für sie gut ist ;)

  • Jule

    Wunderbar treffend geschrieben!!
    Viele Mütter sollten deine Worte mal lesen, dann wärs für manche weniger anstregend ;)

    Viele Grüße
    Jule

  • jule

    ich möchte diesen post ausdrucken und allen bloggenden und nicht bloggenden müttern zum lesen geben. DAS ist die haltung die eltern brauchen, genau diese. zur entspannung in der kindererziehung, zur eigenen entkrampfung, für eine schöne müttersolidarität und vorallem für eine neue leichtigkeit in der erziehung!

    klasse! :)

  • iren

    Ich war mal so eine frischgebackene Mutter, die kritisch nach links und rechts geguckt hat. Ich habe und hätte aber nie was gesagt, muss ich anfügen, denn dass es mich letztendlich überhaupt nichts angeht, was die anderen machen, dass wusste ich schon immer.

    Und heute bin ich ganz überzeugt deiner Meinung – danke fürs treffende Ausformulieren!

    Wir Eltern diskutieren auf sehr, sehr hohem Niveau, mal ganz ehrlich. Wir diskutieren, ob man mit Karottenbrei oder doch lieber Pastinaken anfangen soll. Mit vier oder mit sechs Monaten – mein Gott – und in vielen Ländern hungern die Kinder oder haben eh keine Wahl! Es gibt Reis, oder Kartoffeln. Schluss. Es ist schon fast elitär, dieses Gehabe mit dem „fine tuning“ in der Erziehung.

    Ich bin auch überzeugt, dass es auf das Gefühl ankommt, das man als Mutter bei einer Sache hat. Denn das ist es, was das Kind aufsaugt. Wenn Du stillst weil es heute von Dir erwartet wird, doch du magst es nicht und musst dich dazu überwinden, so bin ich überzeugt, dass es für das Kind gesünder ist, mit der Flasche aufzuwachsen. Als Mutter authentisch zu sein und zu sich zu stehen und nichts zu tun, was sich falsch anfühlt, das ist der beste Mix.

    Sei unbekannterweise herzlich gegrüsst
    iren