Verwurzelung

Woran mag es liegen, dass ich in diesen Urlauben immer so nachdenklich werde? Lange Strandspaziergänge, ein versunkener Blick aufs Wasser und die Gedanken rinnen nur so dahin, kommen gleichmässig ungleichmässig wie die Wellen.
Ich kam hier her, zu einem Zeitpunkt wo ein Umbruch in meinem Leben statt findet. Eigentlich ist es ein kleiner Umbruch oder rationalisiere ich nur wieder vor mich hin, denn eigentlich bringt er soviel Großes mit sich?
Als ich vorhin meine Fotos ansah und bei denen ankam, die nun älter als zwei Wochen sind, war die Klippe so groß.
Natürlich hatte ich an all jene gedacht, die mein Schritt betrifft, aber 14 Tage und die vielen Kilometer brachten soviel Abstand, dass ich erst erschüttert war, als ich die Fotos sah… und mich darin, als ich sie machte und fühlte, was ich fühlte: Beklemmung.
Dann kam ich hier an und tankte Kraft. Ließ mir alle Zeit, die ich brauchte, hatte sacken lassen, was ankommen musste, zu schnell war alles passiert.
Diese Schlüsselmomente sind sicherlich Teil meines Lebens, wenn sich aus einem aktuellen Zustand eine Tür auftut, durch die ich schnell hindurch husche, solange sie auf ist, in diesem Fall: aufhören.
Vieles wirkt aber sicherlich übereilt oder stürmisch von Außen, aber am Ende mit etwas Anstand ergibt alles immer einen Sinn und im Kontext wird alles klarer, sogar sichtbarer.

Vor ein paar Wochen hatte ich auf dem Nachttisch meiner Schwiegermama ein Buch gefunden, die ersten Seiten gelesen und wollte unbedingt, das sie es mir ausleiht. Und nun saß ich hier in den letzten Tage und las.

„… an einem Ort, an dem man sich zu Hause fühlt, ruft unweigerlich ein Gefühl von der Verwurzelung hervor.“

Und genau so fühlt sich das eben an, wenn wir hier sind. Ankommen. Durch atmen. Kraft tanken. Ganz dick wollte ich das Wort „Verwurzelung“ anstreichen.

Mittlerweile und ich bin mir nicht sicher, ob nicht schon doch länger, liegt ganz klar ein Wunsch vor mir, das brachte mir meine Zeit hier. Dieser Wunsch wird Zeit brauchen, aber der Weg ist gezeichnet. Zumindest in meinem Kopf…

In den Tagen hier war aber auch wieder ein Gefühl ganz groß: Fernweh. Ich weiß nicht woher so plötzlich, aber es ist da, dieser Wunsch nach Aufbrechen, losziehen wollen, Neues entdecken. Bisher war das nie Thema in meinem Leben. Fremde Länder, andere Städte all das konnte man in Bildbänden sehen, war mir nicht wichtig. Im Moment ist das ein kraftvolles Wegwollen, ich will etwas sehen, was ich noch nicht gesehen habe mit meinen eigenen Augen.

„All die Orte und Städte, in denen ich zuvor gewohnt hatte, wurden zu vorübergehenden Stationen auf meinem Weg nach Hause.“

Vielleicht etwas das ich nachholen muss. Wo ich doch schon lange weiß, wo ich hingehöre.

Und immer wenn ich mich von meiner Familie fort bewegte und allein den Strand entlang lief und die Farben genoss, das alles einsog, führte ich Selbstgespräche und wenn auch nur in meinem Kopf, weil ich mir eben hier selbst so nahe fühle.

„Wenn du nicht weißt, wo du bist, dann weißt du auch nicht wer du bist.“ Sobald ich dort eintreffe, bin ich mir immer viel sicherer, wer ich bin, vielleicht, weil mir die ausgetretenen Pfade so vertraut sind…“

Ob durch die Ruhe, das Innehalten und das Abgeschottet sein, auch wenn sich das angesichts von immerzu online sein auch relativiert. Unvorstellbar, dass wir früher hier oben kein Internet hatten, was war das immer schön. So ist es auch schön, denn ich dokumentiere mit kleinen Anekdoten und Fotos unsere Zeit, halte meine Erinnerungen fest.
Dennoch frage ich mich immerzu woher so plötzlich diese Stimmung kommt, dieses in sich hinein Horchen. Ist es nun die Ruhe, der Abstand, der Herzensort oder alles zusammen?
Oder aber auch die Zeit, die man hat, wie sonst nie, ihr sonst mühevoll hinterher jagt und sie versucht für sich einzunehmen, festzuhalten.

Hier ist alles im Fluss. Macht alles einen Sinn, sieht man die Zeit, die alles braucht und den Wandel, der einen am Ende immer wieder einholt. Es gibt kein festes Ich. Eigentlich etwas, was ich immer im Kopf habe: Dass die Frage so unnütz ist, wer ich eigentlich bin.

„Geduld ist keiner deiner Stärken, nicht wahr, meine Liebe?“ sagt sie und überbrückt damit das entstandene Schweigen. „Du musst deine innere Unruhe überwinden. Es gibt kein Ankommen. Alles bleibt stehst im Werden begriffen.“

Während ich hier tippe und den letzten Seiten meines eben beendeten Buches nachhänge, sitze ich im Strandkorb oben im Garten und schaue auf das Wasser unten vor mir, genieße das Wellenrauschen, ab und an eine Möwe, die sich blicken lässt und sehe zu, wie es langsam immer dunkler wird. Die Kinder schlafen schon einen Moment, der Mann ist gerade rein, um die letzten umzubetten und ich beende meinen Gedankengang.

„… Betten abziehen, Sand aus den Flickenteppichen klopfen, den Kühlschrank ausleeren, das Auto beladen, immer bemüht, das alles in Rekordzeit zu schaffen, damit ich noch einen letzten Spaziergang am Strand machen konnte.“

Bei diesen Zeilen musste ich schmunzeln, weil alles soweit vorbereitet ist, ein wunderschöner letzter Tag liegt hinter uns und auch ich dachte (wie immer) daran, morgen früh möglichst zeitnahe aufzustehen, um noch soviel Zeit wie möglich am Strand zu verbringen…

In diesem Sinne, ein letztes Mal Korrektur lesen und senden… Vielleicht wagen wir dann noch einen Strandspaziergang zu Zweit…

Zitate aus dem Buch von Joan Anderson „Ein Jahr am Meer“

4 Kommentare

  • frl_mieke

    Meine Liebe,
    ich bin hin und weg.

    Schon so oft hast du hier von etwas geschrieben, das mir nur Tage zuvor fast genau so im Kopf herumgespukt hat … so langsam wird es mir auf sehr angenehme Weise unheimlich ;)
    Ich habe vorgestern endlich den langen Brief an Dich begonnen … und da steht genau das drin, über mich quasi …
    Ich könnte das alles unterschreiben, außer vielleicht mit dem Unterschied, dass ich mein Fernweh schon vor langer Zeit gestillt habe und dafür erst jetzt langsam richtig weiss, wo ich hingehöre …
    Aber die beiden Abschnitte ab ‚Hier ist alles im Fluss ….‘ die bringen mein ganzes Lebensgefühl auf den Punkt.

    Und ich staune. Es gibt wohl doch noch mehr Suchende da draußen …

    Drück Dich, von Herzen … und danke für diese Zeilen.