Der Sommerwahnsinn

Als ich mich am Freitag Abend mit Zelda in den Sessel plumpsen ließ, dachte ich nach vier Arztterminen dank meiner Augenentzündung, der Bronchitis und dem Schwindel, die mich zusätzlich zu drei Sommerfesten forderten und dem Gefühl kein Ende von nichts zu sehen, wären mein einziges Problem, gedanklich verfasste ich einen Blogpost zu diesen irren letzten Wochen kurz vor den Sommerferien. Es war der erste Vormittag in dieser Woche gewesen, an dem ich keine Termine gehabt hatte und nun am Abend, schrieb ich mit dem Mann, der auf seinem Firmen- Sommerfest in München weilte. Die Kinder dürften nach einem Nachmittag draußen, einen Pokémon Film gucken und nach Broten und Gemüseteller ein paar Chips knabbern, während ich stillte und mein Smartphone in den Händen hielt. Ich kann mich noch erinnern, dass Nils schrieb, er käme bald nach Hause, seine Bronchitis und die Wärme würden dann reichen, in einer Stunde würde er wohl aufbrechen und ich schrieb noch zurück: „Oh, schon!“, denn so früh hatte ich gar nicht mit ihm gerechnet, also stünde uns nach dem Einschlafen der Kinder gegen 21 Uhr ein schöner gemeinsamer Abend bevor, dachte ich…
Dann wechselte ich zu Facebook und wollte in meinen Tuchgruppen vorbei schauen, als ich als Statusmeldung bei einer alten Bekannten sowas las wie „München :(“ Ich brauchte dann auch nur „München“ googeln, als mich schon die Worte „Schießerei und OEZ“ ansprangen… Dann war alles nur noch wie im Fernsehen, ich war mittendrin und ganz irgendwie weit weg. Wie in Trance schrieb ich dem Mann, ob er das schon gelesen hätte und las die ersten Infos, denn in der Vergangenheit war es nicht unüblich das Familienmitglieder andere schützen wollten und daher nichts erzählten, aber er wusste noch von nichts… Er meinte im Nachhinein, wenn man es bildlich hätte darstellen können als rote Punkte, wie sich die Information als Lauffeuer ausbreitete, wäre es in Windeseile nach und nach rot geworden, weil jeder wieder jedem schrieb und immer so weiter… Bei ihnen wurden die Türen geschlossen und das Gesprächsthema hatte sich schlagartig geändert, bis nach kurzer Zeit die Raucher wohl wieder das Freie suchten…
Ich schaute auf meine Kinder und ließ mich weiterhin in Schockstarre von Anton mit Chips füttern, der sichtlich Freude daran hatte und in dem Moment kein Interesse an irgendeinem Weltgeschehen hatte. Ich kämpfte mit den Tränen und ging hoch um meinem Gefühlen freien Lauf zu lassen und die Energie zu haben, mich irgendwie zu sammeln. Ich wollte das der Mann sofort nach Hause kommt und sich ein Taxi nimmt, denn irgendwie war mir klar, dass alle öffentlichen Verkehrsmittel ihren Dienst einstellen würden, was aber erst eine Stunde später passieren sollte. Als ich dann las, dass angeblich am Stachus weitere Schüsse gefallen wären, wars vorbei mit meiner Contenance, ich rief den Mann schluchzend an und er meinte nur auf seine übliche ruhige besonnene Art und Weise: „Hier ist alles gut!“ und ich schluchzte ins Telefon, dass es gerade alles wäre, aber ganz bestimmt nicht gut! Der Film der Kinder war zu Ende und ich hatte keine Ahnung wie ich den Abend bewältigen sollte. Auch wenn der Mann gerade okay war, machte ich mir Sorgen um ihn. Wann er wohl hier sein würde, vermeintlich sicher bei uns zu Hause? Nach einem inneren Kampf und wegen der neuen Nachrichten war mein hin und her, was wohl gefährlicher wäre, ob es sicherer wäre, da zu bleiben wo er ist oder tatsächlich versuchen sollte, nachhause zu kommen, in dem Gefühl gemündet, er sollte bleiben wo er war.
Der Film der Kinder war zu Ende und sie fingen an zu streiten und sich zu verletzten vor Müdigkeit und Geschwisterliebe und es fielen die Worte „schießen und explodieren“ und das war wohl der Moment, in dem es mit meiner Ruhe und Fassung vorbei war und ich den Kindern die Lage erklärte… Das war definitiv nicht pädagogisch wertvoll, aber menschlich.
Es war das Einkaufszentrum, das für mich, meine Familie und meine Freunde der Anlaufpunkt Nummer Eins war, der Ort, an dem ich selber schon mal abends schnell mit einer Freundin gewesen war, nachdem der Mann von der Arbeit nach Hause gekommen war… Es war zu nahe, 20 Autominuten von hier. Die Polizei uns schräg gegenüber nur wenige hundert Meter entfernt schicke immerzu Bereitschaftspolizei los und wir hörten die Sirenen alle paar Minuten… Es war gespenstisch. Während noch immer nicht klar war, was passiert ist, hieß es doch noch das Geschehen am Stachus wäre falscher Alarm gewesen- kein Wunder, die Menschen in der Innenstadt müssen wie die Polizei in Habtacht gewesen sein und wir Familien und Freundinnen tauschten uns derweil aus, ob alle unsere Lieben zu Hause wären, das waren sie, bis auf mein Mann und den einer Freundin, der auch auf einem Firmensommerfest war, ausgerechnet heute… Ich schrieb mit meiner Schwester, denn ich machte mir auch Sorgen um sie als Muslima, ob ihr nicht eine Welle des Hasses entgegen kommen könnte, aber sie war ganz ruhig und entspannt…Menschen auf Twitter fragen, ob es uns und anderen aus München gut ginge. Ich putzte den Kindern, die Zähne dachte an all die Menschen, die verletzt in Krankenhäusern lagen, die Polizei die versuchte das Gebäude zu sichern, all die Menschen die voller Panik nur ihren Instinkten folgend geflüchtet waren…
Mit verstohlenen Blicken verfolgte ich auf meinem Handy die Nachrichten, Ärzte und Pflegepersonal wurden in die Krankenhäuser gerufen, während ich den Kindern in unserem Bett ein Lager bereitet hatte für Sechs und sie eine weitere DVD gucken durften. Zu dem Zeitpunkt war nicht klar, ob der Mann heute noch nach Hause kommen könnte, wann die Lage klarer wäre, es sicherer wäre, wenn wir wüssten, was da passiert war.
Es war ein furchtbarer Schwebezustand und beklemmend, den Mann nicht sicher im Arm zu wissen, dieses Ungewissheit, diese Unwissenheit war schlicht schrecklich… Es war da ganz nebensächlich, ob es ein Akt des Terrors gewesen war oder ein Amoklauf. Es war schlicht zu nahe und nach dem Putschversuch in der Türkei, dem LKW in Nizza, dem Angriff in Würzburg, die Schießerei in Orlando, den Anschlägen in Brüssel und Paris, die aggressiven Menschen ins Clausnitz war unsere „westliche“ Welt erschüttert, dass es anderswo auch viel zu viele Tote gab, liest man, es es kommt einem weiter weg vor… Das ist die schmerzliche Wahrheit. Dieses Gefühl, dass das alles aufhören soll und was Menschen bewegt andere aus dem Leben zu reißen…
Aber auf der anderen Seite war da auch wieder soviel Mitgefühl, so viele tolle Menschen, die ihre Türen geöffnet haben für Menschen ohne Bleibe für diese Nacht, andere die Gestrandete mit dem Auto abholten, als die Autobahnen wieder befahrbar waren…
In der Nacht als der Mann mit zwei Mitfahrern nach Hause gefunden hatte, (danke dafür!) war die Stimmung immer noch gedrückt, am Morgen las ich wieder Nachrichten und wartete darauf, dass der Freiarbeitssamstag samt Sommerfest in der Schule abgesagt werden würde oder die Geburtstagsfeier am Nachmittag, aber nichts davon passierte… Es war beinahe unheimlich wie normal dieser Samstag war und dieser heutige Sonntag, als wäre nie etwas gewesen, als hätte nicht eine Stadt den Atem angehalten, aber all das war real, all das ist passiert, es sind Menschen gestorben, vor allem junge Menschen, Kinder… Und als ich vom Schnellrestaurant las, wurde mir übel, ich hatte erst nach einem der zu vielen Sommerfeste in dieser Woche in einem solchen gesessen mit zwei Kindern und Baby vorm Bauch ein Eis gegessen und mich gewundert, wie unterschiedlich das Klientel dort wäre… Morgen werden wie die Polizei schrieb, einige Kinder nicht in die Schule gehen, nie mehr, für uns dreht sich die Welt weiter, aber es bleibt diese dumpfe Gefühl, das ist etwas Furchtbares in unserer Mitte passierte…
Als ich heute mit all diesen Gedanken und nach dem Verfassen dieser Zeilen mit den Kindern ins Freibad fuhr, hingen die Fahnen an unserer Polizei noch auf Halbmast und eine Lehrkraft schickte via Mail gerade noch ein Merkblatt für Eltern zur Krisenbewältigung… Nur an Kleinigkeiten merkt man, dass diese Welt, unsere Welt, unsere Stadt in dieser Woche erschüttert wurde… Ich bleibe zerrissen zwischen Dankbarkeit und Mitgefühl.

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