Verbunden

Als Verena von kindsknopf mich bat für ihr neues Blog den ersten Gastbeitrag zum Thema Attachment Parenting zu schreiben, war ich gleich Feuer und Flamme, aber auch total aufgeregt und hatte bis zuletzt ein klein wenig die Sorge, ob ich das so gut hinbekomme, wie ich das möchte… aber ich habs geschafft mir im Urlaub dafür Zeit zu nehmen und bin stolz und dankbar, dass ausgerechnet ich beginnen durfte…

Und dann ist er da, dieser Moment, ich bin erneut guter Hoffnung oder zum ersten Mal, ich habe unendliche viele Phantasien und Gedanken um das Leben mit diesem neuen Menschlein, das noch gut behütet unter meinem Herzen wohnt, umgeben von vielen Wünsche und vielleicht noch viel mehr Fragen… Während das Glück wächst, ich eine Verbindung zu unserem Bauchbaby in Liebe eingehe, wächst auch die Unsicherheit. Auf dem langen Weg bis ich es zum ersten Mal im Arm halte, halte ich auch den einen oder anderen Babyratgeber in der Hand. Unter Umständen taucht er da das erste Mal, dieser Begriff- Attachment Parenting oder kurz AP genannt- zu Deutsch: Bindungsorientierte Erziehung oder Bedürfnisorientierte Erziehung. In seinem Ursprung stand alles unter sieben Säulen, mein Kind nach der Geburt gleich sehen können, berühren, es anschauen, Zeit dafür nehmen, um eine Verbindung einzugehen, mein Kind stillen, es nahe bei mir tragen, gemeinsam in einem Bett schlafen, sein Weinen ernst zu nehmen und darauf einzugehen, keine Schlaftrainings anzuwenden und versuchen eine gute Balance zu finden zwischen den Bedürfnissen von mir als Mama und denen meines Babies. Es geht im Großen und Ganzen um Nähe, Vertrauen, Harmonie, Liebe und darum eine Bindung einzugehen, das fortzuführen, was wir zuvor hatten, als wir Eins waren. Denn mein Baby kommt auf die Welt und braucht mich genauso wie zuvor, es weint und macht auf sich aufmerksam, nicht weil es Dinge will, sondern weil es sie braucht. Mein Baby ist ein Bedürfniswesen. Und vielleicht kann unser Miteinander erleichtert werden, wenn ich mich meinem Baby zuwende, auf seine Signale achte und mit Feinfühligkeit versuche zu lesen, was es gerade braucht.

Und dann wird alle Theorie zur Wirklichkeit. Ich bin eine Mama. Möglicherweise merke ich schon im Krankenhaus- so ich da geboren habe,- dass mir verschiedene Krankenschwestern, Hebammen, Ärzte oder Putzfrauen völlig verschiedene Dinge mit auf den Weg geben wollen. Irgendwann bin ich zu Hause mit einem kleinen Bündel, es prasseln weitere liebevoll gemeinte Ratschläge auf uns ein, womöglich begleitet mit dem Satz „Du weißt schon was das Richtige ist!“, nur um im nächsten Moment nachdrücklich erläutert zu bekommen, was es der Meinung Dritter nach sein sollte. Also ich soll auf unseren Bauch hören? Doch im Kopf sind da schon so viele Stimmen, die ich gar nicht eingeladen habe. Vielleicht bin ich erschöpft von den letzten Tagen, von der Schwangerschaft und Geburt, zu verstehen, dass das kleine Wesen in meinem Arm genau das gleiche ist, zudem ich zuvor eine Bindung im Bauch hatte, kann einen Augenblick dauern, Zeit brauchen.
Gegebenenfalls muss ich mich von Geburtsverletzungen erholen, will so sehr stillen. Ich lasse das Kind immerzu an den Busen, damit die Milch einschießt, wie ich es noch im Kopf habe, aber mein Baby weint immerzu, weil es mehr braucht und noch nichts da ist. Mit jedem Tag, den die Milch auf sich warten lässt, werde ich müder und angestrengter, das merkt auch das kleine Wesen in meinen Armen und irgendwann kann es sein, dass vor lauter Kaputtsein, mein Baby, dass ich nur halten und kennenlernen und beschnuppern wollte, meinen Busen nur noch anschreit, während ich schon große Schmerzen nur beim Gedanken ans Anlegen habe und ich habe so viele Dinge im Kopf. Wörter, die ich noch nicht verstehe, Saugverwirrung, richtiges Anlegen, Kolostrum, die Vormilch, die eigentlich reichen sollte. Wieso aber reicht sie dann nicht, wieso weint mein Kind? Im Vordergrund steht das Baby, sein Bedürfnis irgendwann zu stillen. Ich gebe alles und vielleicht lasse ich in diesem Augenblick aus den Augen, dass es einen Mittelweg gibt, in dem ich als Mensch auch vorkomme. Vielleicht kann ich meinem Baby ohne großen herbei gesprochenen Schaden anzurichten, etwas anderes geben, eine Zuckerlösung oder eine Premilch aus der Packung. Es wäre ein Versuch wert zu schauen, ob ich so das Nuckeln und Saugen in größeren Abständen schaffe, damit mein Busen sich erholen kann, ich etwas abgeben kann von der Verantwortung und mein Säugling vielleicht schon einen Moment zufriedener sein kann- ein wenig Druck raus nehmen. Wenn ich mich darauf einlassen kann, beachte ich die Bedürfnisse von mir als Mama und meinem Kind.
Denn nicht nur jedes Kind ist anders, sondern ich werde auch jedem Kind eine andere Mama sein, weil ich mich im Wandel befinde und vielleicht in Kombination mit genau diesem Kind ganz automatisch vieles anders mache, als ich es zuvor dachte oder schon bei meinem ersten Kind getan habe.

Wenn ich also das erste Mal ein Kind bekomme, habe ich viele Jahre allein oder mit einem Partner gelebt, selbstbewusst entschieden, was ich wann wie mache und mit wem und geschaut, was ich möchte und oder brauche. Ich aß, schlief und ging ins Bad, wann ich wollte. Und nun ist da ein Wesen, was alles durcheinander wirbelt. Ich kann nicht mehr nur ich sein, ich gebe auf einen kleinen Menschen Acht, der mit seiner Geburt im wörtlichen Sinne nicht plötzlich auf eigenen Beinen steht. Ein kleiner Mensch, der völlig abhängig von mir ist, an dem ich und mit dem ich wachsen darf, so wie es mein Baby ganz selbstverständlich tut bis es viele Dinge allein kann und die Welt für sich auf eigenen Beinen entdeckt. Ein kleiner Mensch, den ich erstmal durchs Leben trage, ob zur Wickelkommode, aufs Sofa, in die Küche, in andere Arme oder im Tragetuch. Mein Baby ist in meinem Nest, das ich gemeinsam mit meinem Partner gestalte. Große Verantwortung und große Freiheit gehen Hand in Hand. Ich glaube viele Dinge, schaut man sich bei Anderen an und entscheidet dann mit einem Gefühl tief in einem selbst, ob man das gut findet oder es doch ganz anders machen möchte, weil es sich für uns nicht Richtig anfühlt. Dennoch bleibt oft eine Unsicherheit, weil ich nur das Beste möchte, aber kann ich das geben? Bin ich meinem Kind die Mutter, die ich sein will? Bin ich gut genug?

Bei all diesen Fragen wächst das schlechte Gewissen, wenn ich Dinge möchte, die ich für mich als wichtig erachte, aber nicht geben kann. Was wenn ich eine Frühgeburt hatte und meinem Kind nicht diese erste wichtige Nestwärme geben konnte, dieses erste Bonding, wenn ich mein Kind erst wenige Stunden oder Tage das erste Mal sah, wenn ich auf Grund einer traumatischen Geburt keinen leichten Start ins Muttersein hatte, wenn ich nicht stillen kann oder möchte, wenn ich nicht 24 Stunden am Tag mit meinem Kind zusammen sein kann, wenn mich dessen Bedürftigkeit überwältigt oder überfordert, wenn es immerzu schreit und ich nur noch weglaufen will, wenn ich mein Bestes tue und es dennoch nicht aufhört zu weinen und ich kaum Schlaf finde oder wenn ich keinen Schlaf finde, wenn mein Kind in meinen Armen oder in meinem Bett liegt und ich nur noch immer müder werde, wenn ich mit dem Tragetuch oder den Tragehilfen nicht zurecht komme, wenn mein Kind schreit anstatt sich wie ich es auf vielen Fotos gesehen habe, nicht wohlig und geborgen an mich schmiegt? Wieso sieht das bei allen immer so leicht aus und dabei ist es das für mich doch gar nicht so? Wieso lese ich nur von noch mehr Richtigem: selbstbestimmten Geburten, Einschlafstillen (Breastsleeping), Stillen nach Bedarf (Clusterfeeding), selbstgekochter veganer Ernährung für Babies, babybestimmter Stillentwöhnung (Baby-led Weaning), Stoffwindeln oder Windelfrei, heraus geschobenem Impfen, Fremdbetreuung erst ab drei Jahren, unerzogen, aber all das in sicherer Bindung… Wie soll ich da auf meinen Bauch hören, wenn mein Kopf so voll ist? Wie soll ich in alledem einen Weg finden, der für UNS der Richtige ist? Ist dieses AP am Ende die totale Selbstaufgabe?
Was also oft bei diesem Idealen verloren geht, finde ich, ist die Realität. Das man das nicht immer schafft, was man sich in Gedanken ausgemalt hat, weil man ein Mensch ist und wer schreibt oder erzählt schon gern darüber, dass man das (Geschwister-) Kind ordentlich zur Schnecke gemacht hat, vor Wut stampfend das Haus verlassen hat, oder aus dem Zimmer weg vom weinenden Baby gehen musste, weil man sich durch und durch überfordert fühlte? Nicht weil man diese Informationen anderen gern vorenthält, wie es vielen Elternblogs oft gern zum Vorwurf gemacht wird, sondern auch weil man sich vielleicht selbst nicht unbedingt an diese Sternstunden des Elternseins erinnern möchte, sondern lieber die guten Momente festhalten möchte. Oder weil man ganz simpel nur durch Ausprobieren erleben kann, was man leisten kann, was einem gut tut oder was gar nicht funktioniert. Es geht also meiner Meinung nicht nur darum, nur das augenscheinlich Richtige zu tun, sondern mit der Zeit nachzuspüren, was das Richtige für sich selbst sein könnte, wo die eigenen Grenzen sind, weg vom Gefühl etwas falsch zu machen, denn die meisten Eltern wollen ihrem Kind nicht schaden!

Ich kann mir überlegen und ausprobieren, was für mich machbar und wichtig ist und mir von all diesen vielen Möglichkeiten und Idealen das heraus suchen, was mir unerlässlich erscheint. In meinem Fall was es das Tragen, das Familienbett, das Stillen nach Bedarf und das Einschlafstillen. Was mir natürlich auch enorm viel abverlangt, aber es ist mir zu wichtig. So muss ich damit leben, dass meine kleine Tochter nach wie vor nur mich am Abend braucht. Sie ist es so gewöhnt, ich kann ihr das nicht einfach (nicht mal tageweise) wegnehmen, weil ich am Abend mal eine Verabredung habe, denn ich bin mit ihr diese eine Verbindung eingegangen. Sollte ich an dem Punkt kommen, an dem es für mich nicht mehr tragbar sein sollte, werde ich langsam Entwöhnen oder sie möchte von sich aus irgendwann nicht mehr das, was sie jetzt noch so dringend braucht. Wenn sie mich abends mehrmals ruft, nicht in den Schlaf zurück findet und mich mit geschlossenen Augen im großen Bett sucht, sehe ich das sie das nicht tut, um mich verärgert vom Sofa zu holen, sondern weil sie nicht anders kann und obwohl es Abende oder Nächte gibt, an denen es mir weitaus schwerer fällt, ihr das zu geben, halte ich daran fest. Auch wenn das bedeutet, dass ich noch nicht am Abend mit Freundinnen ausgehen kann. Wenn ich schreibe, dass es um die Bedürfnisse von Baby und Mama geht, dann meine ich, dass ich in diesem Fall natürlich abends nicht ausgehe, weil ich auf meine Tochter Acht gebe, aber ich gebe auch auf mich acht. Ich warte nicht einfach bis ich wieder abends ausgehen kann, sondern ich finde einen Kompromiss, ich treffe mich am Vormittag zum Frühstück oder Brunch, lade zu mir ein, am Nachmittag oder gehe dann eher aus um rechtzeitig zum Insbettbringen wieder zurück zu sein oder als sie klein war, nahm ich sie eben mit, was mittlerweile einfach nicht mehr gut für ins funktioniert. Das ist nicht immer einfach für mich, es hageln Blicke oder Kommentare, die mich sicherlich hier und da verletzten und traurig machen. Aber ich bleibe bei mir, es ist für mich der beste Weg ihre und meine Bedürfnisse zu achten…

Als mein Mann feststellte, dass der Begriff AP doch sehr schwammig ist und nicht so leicht zu fassen, schließlich geht es im Grunde nur darum eine sichere Bindung aufzubauen, hielt ich inne und sagte zu ihm: Eigentlich geht es doch nur darum, dass das Baby (und die Mama genauso) nichts mit Absicht tut. Es schreit nicht zwei Stunden nach der letzten Stillmahlzeit, weil es uns ärgern will und nicht weiß, dass es ganze vier Stunden warten soll, es schreckt nicht hoch aus dem Schlaf, wenn wir es ablegen, weil es uns das Durchatmen, Duschen oder Entspannen der Schultermuskeln nicht gönnt, es möchte unterbewusst nicht vergessen werde, es ängstigt sich, wenn es nur wenige Tage alt, nach rund vierzig Wochen immer zusammen sein, allein sein soll ohne unsere Stimme, unseren Herzschlag und unsere Wärme, um die es vorher nicht bitten musste, nicht danach weinen musste. Es kannte weder Hunger, noch allein sein und nun soll es da auch mal liegen, doch das muss es erst lernen, dafür sollte es Monate Zeit haben, so wie es Monate Zeit hatte sich daran zu gewöhnen, dass wir eine Einheit sind. So wie wir lernen, langsam loszulassen und die innige Verbindung mit unserem Kind langsam zu lösen, darf ich mir und meinem Baby dafür Zeit lassen aus einer Symbiose zwei Wesen werden zu lassen, in dem ich achtsam schaue, wie es mir und meinem Baby dabei geht…

Als ich über diese Zeilen hier stolperte und dachte, welch große Verantwortung doch darin liegt ein paar gute Zeilen mit ins Elterndasein zu geben, kam mein kleinster Sohn zu mir und meiner kleinen Tochter ins Bett, er sollte leise sein, um sie nicht zu wecken und er ließ sich mit riesigen Kulleraugen und diesem Schalk im Blick nach hinten voller Schwung in sein Kissen plumpsen und schaute mich dann mit großen, lachenden Augen erwartungsvoll an… Und ich grinste zurück, was ein Spaß sich einfach mal fallen zu lassen, das Strahlen in seinen Augen und auch in meinen, es geht nicht nur um Liebe, Nähe, Vertrauen, Harmonie, sondern auch im Spaß… mir geht es als Mama am Besten, wenn ich Freude daran habe, was ich tue, in der Zeit, die ich mit den Kindern verbringe, wenn wir Blödsinn machen, alles müssen und sollen einfach mal liegen bleiben kann und Zeit ist gemeinsam zu kichern…

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