Die Hexe und der Zauberer (miscarriage, depression, trauma, cancer, family drama)

Diese Gedanken türmten sich über viele Tage in mir auf, bis sie den Weg hier her fanden… als ich etwa 13 war… vielleicht jünger, vielleicht älter, ich weiß es nicht mehr ganz genau, wurde meine Oma, die eigentlich meine Uroma war aber meine Mama groß gezogen hatte, sehr krank. Sie war in einem Krankenhaus und in meiner Erinnerung sollte sie wieder gesund werden, so sollte es es sein, so erzählte man sich es in der Familie und alle standen sich sehr nahe.
An diesem einen Tag in meiner Erinnerung besuchte ich mit meiner Mama meine Oma, die eigentlich meine Uroma war, im Krankenhaus. Aber dort wurden wir mit den Worten „Gut, dass Sie da sind“ in einen kleinen Raum geführt. Es hat keiner daran gedacht mich raus zu schicken und ich war auch ein sehr reifes Kind, denke ich, eines, das viel tragen und noch mehr verstehen konnte. Ich weiß, wie in diesem Raum alles zusammen schrumpfte auf die Worte, (Magen)Krebs und ihr jeden Wunsch erfüllen, den sie jetzt noch hätte… In meiner Erinnerung waren wir die ersten dieser eigentlich großen verwirrenden Familie, die die Wahrheit erfuhr. Es gab bestimmt noch mehr Worte, aber alles an was ich mich erinnere, sind dieser enge Raum und das ausrechnet meine Mutter als Erste davon erfuhr, meine Mutter, die darin zusammen fiel, aus heiterem Himmel. Meine Mutter, die irgendwie ohne ein Handy damals, meinen Vater angerufen hatte und der uns von dort abholte, denn fahren konnte sie so nicht mehr… Diese nächste Zeit, das Pflegen meiner Oma, die eigentlich meine Uroma war durch eine meiner Tanten, die eigentlich die Tante meiner Mutter war, das langsame Abschied nehmen und zeitgleich eine noch viel größere Verletzung, die brutal durch meine Mutter fuhr und ihr jede Fröhlichkeit und alles Quirlige ihrer Persönlichkeit für lange Zeit oder für immer nahm, bleibt mir in Erinnerung. Der Kummer, der einzog und vor dem wir Kinder beschützt werden sollten, aber von dem ich dennoch wusste, ich war zu sehr ich, ich wusste und hörte alles. Meine Oma starb, ich erinnere mich an diese Beerdigung noch immer, dort sah ich zum bisher letzten Mal meine eigentliche Oma, die meine Mutter nicht groß gezogen hatte und mir eine Fremde war. Ich erinnere mich an diese verfluchte Musik, bei deren Einsetzen ich weinen würde, wie auf den Beerdigungen danach. Ich erinnere mich an eine Zeit vor meiner Staffelei, die ich irgendwann von meinen Eltern geschenkt bekommen hatte und meinen Kreidefarben. Ich erinnere mich daran, wie ich jeden Abend Bücher vor meine Tür schob, weil die Katze, die mich angegriffen hatte, mir im Rücken gehangen hatte, als ich schreiend durch Wohnzimmer gerannt war und von deren Attacke ich noch heute Narben am Rücken trage, so geängstigt hatte und doch nie auszog. Diese Bücher schob ich jeden Abend vor die Tür, bis mein Papa sich erbarmte und die Türklinge nach oben anbrachte und ich etwas mehr Sicherheit fühlte. Ich erinnere mich an all das und das in meinem großen Zimmer, das mit der Staffelei, der Kreidefarbe und dem Stapel Bücher vor der Türe, ein Fernseher vor mir stand und ein Recorder. Und jeden Tag, jeden Abend lief der gleiche Film, zumindest in meiner Erinnerung und ich malte und malte und malte und dieser Film lief und lief… Es war „Die Hexe und der Zauberer“. Die gemalten Bilder habe ich noch heute.
An all das erinnerte ich mich wieder mehr, seitdem ich mit der Zeugung dieses letzten Kindes ein weiteres mal hintereinander alle „Biss“- Bücher las. Seitdem ich wieder täglich die Soundtracks hörte, das Making Of ansah, die Filme beinah täglich laufen und sei es nur in Etappen. Es beruhigt mich. Es hüllt mich ein und fängt mich auf. Es gibt mir Sicherheit. Nichts Unbekanntes. Immer das Gleiche. Im Hotel, durch die ersten Tage, der sogenannten kleinen Geburt, begann ich „Midnight Sun“ (Twilight aus Edwards Sicht) in Englisch zu lesen und nun wieder zu Hause in Deutsch.
Nach drei langen Wochen Blutungen endete nun diese „kleine Geburt“, meine elfte Schwangerschaft und ich erlebe Tage, die weniger bedrückend sind, als andere. Eine vierte kleine Seele, ein Teil von mir, wartet vielleicht irgendwo auf mich. Und ich habe das Gefühl, ich kann wieder freier atmen. Ich kann nun heilen. Noch mehr loslassen. Und meinen Platz im Alltag wieder finden, auch wenn ich merke, dass ich keine Reserven für nichts habe. Meine Dünnhäutigkeit bezeugt es hier und da. Das Schwimmen fehlt mir, aber die Halle öffnet nach einem Monat Schließzeit, erst wieder im Dezember. Manchmal timed das Leben alles selber. Und bis dahin, laufe ich weiter viel mit meinen Kopfhörern durch die Gegend, wie ich es als 15Jährige schon tat, als ich depressiv durch Berlin fuhr und die satanische Bibel und diverse andere Bücher las, die mein Umfeld so verstörten, wie ich es vielleicht tief drinnen war…

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