Von Schönem und Grausigem

Gestern war ein sehr emotionaler Tag für mich, denn nach den langen Sommerferien und den ersten Schultagen… nach über sieben Wochen mit acht Kindern jeden einzelnen Tag bei mir, um mich herum und die letzten Vier davon mit dem Mann, war es plötzlich sowas wie still.

Vorher war immer jemand da, mehrere jemands, ich war nie wirklich allein und plötzlich verändert sich vorerst wieder alles für mich, weil nichts wirklich beständig ist außer die Unbeständigkeit. Ab sofort hätte ich die Vormittage wieder für „mich“ und ein Kleinkind, das war total unfassbar seltsam. Zumindest ging ich davon aus.

Mehr Zufall als geplant, dass dieser Tag -dank der fabelhaften Eingewöhnung von Zelda im Kindergarten- genau auf den Tag fällt, als Lilou ein Jahr und ein paar Stunden alt wird. Ich ab jetzt sofort mit dem kleinen Mädchen von kurz nach 8 bis 12Uhr allein. Ich würde mich nun ganz ihr widmen können und müssen, denn nun wäre niemand mehr da, der mal kurz… Ich würde Neues an ihr entdecken, mit ihr Quatsch machen können, sie besser „lesen“ lernen, wann sie über den Punkt ist und wann kurz davor… ein bißchen zauberhaft, auch Zeldas Start, denn dieses Kindergartending macht ihr so Spaß und ich hoffe, das bleibt noch ganz lange so, denn es ist purer Seelenbalsam für mich, dass das nun so ein wunderwundervoller Start für sie, für uns war! Weiß ich doch, dass das alles andere als selbstverständlich ist.

Trotz allem Zauber, den dieser neue Abschnitt mitbringt, hatte ich auch richtig Bammel. Nils hatte mich jetzt in seinem zweiten Elternzeitmonat auch mehr als vier Wochen „unterstützt“. Es ist (oft) sehr viel entspannter, (auch wenn mir mit einer Person mehr, leider doch das eine oder andere entgeht,) weil ich eben nicht alles im Kopf haben muss, sondern die Verantwortung teilen, sie auch mal abgeben konnte. Man hat zu Zweit einfach viel mehr Raum und Zeit auf alle einzugehen, gerade in den Ferien. Zudem waren sie einfach schön und nun waren die Kinder weg, zurück in der Schule, aber auch mein allererster Ansprechpartner, mein Partner in Crime, meine zweite Hälfte- und ich eben allein zurück gelassen im Chaos. Der erste Tag in meinem „neuen“ Job quasi, also hab ich (mich) ganz viel bewegt an diesem Montag. Ich bin früher aufgestanden um zu helfen, (wo ich doch sonst eher die bin, die länger liegen bleibt, weil ich nachts länger wach bin,) wie schon in der letzten Woche, nicht weil der Mann das nicht allein schafft, (kann er wohl,) aber ich freu mich ja auch, wenn ich nicht alles allein machen muss. Ich hab also liebevolle (:P) Brotzeiten bereitet, ich hab dem einen oder der anderen Zähne geputzt, Socken geholt, Zettel ausgefüllt, Geld rausgekramt, Fahrkarten gesucht, Kaffee gemacht, geschlichtet usw… alles was zu Zweit eben wie sonst auch, einfach netter ist und leichter von er Hand geht.
Nachdem ich gestern mit dem Mann alle gut auf den Weg gebracht und von ihm ein Foto aus dem Kindergarten bekommen hatte, (denn der Mann war auch nach der Elternzeit und der Eingewöhnung (mit mir), das erste Mal allein mit beiden zum Kindergarten gefahren,) hatte ich einen Drive an diesem ersten Vormittag. Ich habe Lilou erst Toast geschmiert und Trauben gereiht, dann hat sie alles zerbröselt oder zerquetscht und runter geworfen, ich hab das aufgewischt und dann festgestellt, dass der ganze Boden saniert oder geputzt werden müsse, (mich für Letzteres entschieden), nebenher Mittag gemacht, Waschmaschine ein zweites Mal angestellt und Wäsche gefaltet, „wir“ haben gesaugt und gewischt und ein Bad geputzt, Staub gewischt, das war alles so nicht geplant, aber ich war dann irgendwie total im Flow und ich schaffte soviel von dem, was am Wochenende wegen Lilous Geburtstag und den Vorbereitungen dafür, liegen geblieben war. Lilou und ich, wir waren ein Dreamteam an diesem Vormittag, sogar den Sofabezug hatte ich abgezogen, das Wetter war perfekt zum Waschen, ich war zwar verschwitzt, aber glücklich und zufrieden und bevor Lilou gar nicht mehr konnte, schaffte ich noch einen Butterkuchen mit ihr auf dem Arm, danach putzten wir unsere Zähne, ich zog mir die Schuhe vorm Tragetuch an, nahm dann Lilou ins Tuch und schon schlief sie selig und ich hielt sie fest. Um 10Uhr hatte mir der Mann unser Kosewort geschickt und weil das eine Stunde her war, schickte ich ihm eine Nachricht, ich fragte ihn wie sein erster Tag sei. Ich bekam keine Antwort, aber das war ja kein Wunder, fand ich, er hätte bestimmt viel zu tun. Ich schaffte es pünktlich weg, lugte und ich weiß nicht wieso in den Briefkasten und kann mich genau erinnern, dass ich mich wirklich wunderte, weil jemand einen weißen großen Umschlag mit Nils Namen eingeworfen hatte, ohne Briefmarke ohne Anschrift. Ich war aber zu spät dran um ihn aufzumachen, also ließ ich ihn im Kasten, aber war irgendwie irritiert, ich zwang mich an etwas anderes zu denken, würde sich sicher aufklären, (aber jemand musste ihn heute Vormittag während ich durchs Haus gewirbelt war und mit meiner Tochter gesprochen hatte- genau neben mir am Küchenfenster vorbei gegangen sein und hatte diesen Umschlag eingeworfen haben,) und ging strammen Schrittes, die 30/40 Minuten zum Kindergarten mit Lilou im Tuch. Es war warm, so warm und ich müde. Die Sonne brannte und ich versuchte bewusst nicht an diese Woche zu denken, denn vor mir lagen drei Elternabende, (einer heute Abend und ich hoffte, dass ich mein Nerven- und Kraftpotenzial nicht an den Haushalt verschwendet hätte,) sprich drei Abende an denen Nils weg und ich allein mit den Kindern wäre, ich versuchte nicht an den Nachmittagstermin von Anton mit Oma, den Heilpädagogiktermin am Mittwoch, zu dem ich alle drei Kleinen wieder mitnehmen müsste und der mich jedes Mal drei Stunden kostet, nicht an den UTermin am Donnerstag Vormittag, nicht an den Friseurtermin am Donnerstag Nachmittag oder sonst was zu denken, ich dachte und murmelte vor mich hin, ein Schritt nach dem anderen, sonst verlierst du dich in dieser ersten Woche! Schritt für Schritt. Heute war nicht ganz der Tag, den ich mir vorgestellt hatte, geplant war der Putzmarathon nicht, aber wenn ich heute soviel erledigt hätte, könnte ich morgen ja vielleicht wirklich einfach mal schlumpern und einen Film gucken? Nachher bräuchte Emil wieder Hilfe bei den Hausaufgaben, immerhin war der Kuchen schon fertig, vielleicht könnte ich uns mal wieder selber den Tisch schön decken, da freut sich sicher auch die Oma, die nachher käme um Anton einzusammeln. Sollte ich Nils an den Elternabend erinnern? Vielleicht könnte er länger arbeiten und direkt dorthin fahren? Daran dachte ich, als ich zum Kindergarten eilte.
Das Abholen im Kindergarten lief gut, auch wenn ich vor Schwitzen und Erledigtsein wirres Zeug an eine andere liebe Mutter weiter gab, „Sie denkt bestimmt, ich bin total bescheuert!“, dachte ich, geistig umnachtet. Die Busfahrten klappten super und wir waren gut in der Zeit, als wir wieder hier ankamen. Ich würde jetzt die Nudeln kochen und die Bolognese erwärmen, weil ich den Tisch schon gedeckt hatte. Es war überschaubar viel zu tun bis in 30Minuten die Schulkinder kämen und dann wunderte ich mich kurz, warum die Tür so einfach auf Druck aufging, fragte mich, ob ich vergessen hatte abzuschließen und dann stand zu Hause der Mann um halb eins mittags mit diesem Gesichtsausdruck und seiner Kündigung in der Hand, die er aus dem Briefkasten gefischt hatte, nachdem man ihm am ersten Tag nach der Elternzeit fristgerecht zum 30. September und zum Ende der Probezeit morgens im Büro gekündigt hatte. Freigestellt. Ich hab ihn dann nur in den Arm genommen.

Wir würden auch das schaffen, klar. Wir schaffen das schon. Überstehen auch das. Der Elternzeitmonat hatte uns schon ganz schön straucheln lassen zwei Monate, aber irgendwie geht es immer weiter. Gestern noch machten wir einander Mut, ich hatte Glück, dass ich zuvor einen so guten produktiven Vormittag gehabt hatte und genau wusste, was heute noch gemacht werden müsste, wir sahen einander viel an, überlegten wann wir es unseren Müttern sagen würden… Wir waren auf dem Spielplatz, diese Besuche kosten übrigens nichts, das sind Dinge, über die man sich plötzlich Gedanken macht, denn Ben hat nächsten Montag Geburtstag, abends ging Nils zum ersten Elternabend in diesem Schuljahr und ich brachte derweil die Kinder allein ins Bett, kuschelte mit Emil beim Vorlesen, kostet auch nichts ;), solche schönen Momente sind so unfassbar kostbar und Seelenbalsam, nach dem Schultermin traf Nils noch seinen besten Freund, ich war derweil noch lange mit Tom beschäftigt (wie immer), aber irgendwie war auch das gut, keine bösen Worte, eher komödiantische Einlagen und Selbstironie und nachdem er um 23Uhr langsam schlief, kam ich auch etwas mehr zur Ruhe, las in einem Buch bis 1Uhr und konnte dann nicht so richtig einschlafen.

Gestern war der Mut noch groß, heute war alles gedämpfter. Es war einfach so unfassbar viel. Nils fuhr erst die Mäuse in den Kindergarten und von da aus ins Arbeitsamt, heißt das noch so? Wir haben eine Weile überlegt, wie wir „das“ kommunizieren, aber der Mann muss sein Netzwerk nutzen können, außerdem sind so alle informiert, keiner muss sich wundern warum Nils hier zu Hause ist. Ich bin heute Abend sehr erschöpft, der zweite Elternabend stand an und somit war ich abends wieder allein und es war einfach kein guter Tag, das Gegenteil von gestern. Es gab dennoch viele schöne Momente heute, die kostbar sind. So viel Wert haben. Für mich, für uns.

Und am Ende des Tages ist es für uns (als Eltern) völlig unerheblich aus welchen Gründen die Kündigung ausgesprochen wurde und wenn mein Mann mit der Frau des Chefs geschlafen hätte (hat er NICHT!), das Ergebnis ist das worauf es für uns gerade ankommt. Was das mit uns macht, was das für uns bedeutet. Ich muss an dieser Stelle kein Verständnis mehr für eine Firma haben, für interne Entscheidungen, hier gehts ganz simpel um unsere Existenz, nicht um „hätte hätte Fahrradkette“. Es ist dann auch egal, ob das nun am ersten Tag nach der Elternzeit war, die vorher Teil des Bewerbungsprozesses war. Es ist egal, ob es „einfach nicht gepasst hat“. Das Ergebnis ist für uns wichtig und schwierig (und um uns gehts an dieser Stelle doch), dass wir nach dem zweiten, diesem letzten schwierigen Elternzeitmonat finanziell schon angeschlagen sind und nun müssen wir motiviert(!) nach vorne sehen, uns zusammen reißen, fremde Fragen beantworten, weil auch uns weniger wohlgesonnene Menschen lesen können, wieder die Unsicherheit aushalten, im Chaos wieder viele Telefonate unterbringen, Chats und Gespräche. Genau sortieren, nicht das Erstbeste herauspicken, aber auch nicht zu lange warten. Passen muss es wieder, aber diesmal über die Probezeit hinaus. Was macht das mit dem Selbstbewusstsein? Woher all die Zuversicht nehmen, das wird kein leichter Weg. Ist es schon jetzt nicht. Aber er muss dennoch gegangen werden. Es gibt kein Davonlaufen, kein Verstecken, keine Abkürzung. Wir müssen damit umgehen, dass wir genau da stehen, wo wir zu Beginn des Jahres vor wenigen Monaten im Frühling standen. Wir müssen mit neuen Hoffnungen und Absagen jonglieren und nebenher unseren acht Kindern eine Sicherheit und Geborgenheit, ein liebevolles Zuhause bieten, für sie da sein, weil WIR auch diese Verantwortung tragen. Wir werden alles mitnehmen, was der Schul- und Kinderalltag uns beschert, obwohl wir auch unsicher und angespannt sind, es wird alles gleichzeitig geschehen, uns wird die Puste ausgehen und wir werden uns Kraft und Halt geben, für einander da sein, wir werden gute und schlechte Tage erleben. Wir werden uns weiterhin freuen über die vielen lieben Nachrichten, den Zuspruch, das Mutmachen, das Zuhören und Dasein. Das Netzwerk zum Rollen bringen, Nils wird wieder alles geben. Und am Ende wird alles gut und viel besser. Das muss es.

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