Der Tod meiner Mama

Keine Worte k?nnen erfassen, was ich f?hle. F?r mich waren es acht Tage. F?r meinen Papa so viel mehr, die er sie leiden sah. F?r meine Schwester auch. Acht Tage, die mein Leben f?r immer ver?ndert haben. Der erste Tag war als meine Schwester mir mitteilen musste, dass unsere Mama gar keine Lungenentz?ndung hat, sondern wieder Krebs. (Bis dahin ging es ihr wirklich schon wahnsinnig schlecht, aber es hiess immer, das braucht Zeit zum Heilen.) Meine Eltern wussten oder ahnten es schon ein paar Tage eher aus der Notaufnahme, hatten mir aber nichts sagen wollen, weil meine Mama Angst um unser Baby hatte. Und auch wenn die Metastasen in Lungen, Leber und Becken schon schlimm waren, hatte unsere Mama Mut und Willen st?rker zu sein als der Krebs, es startete die Chemo am Freitag vor genau einer Woche, Dienstag sollte dann die Bestrahlung beginnen. Das alles erz?hlte mir mein Papa am Freitag Abend am Telefon. Und es fehlte noch ein MRT, dem wir aber ganz entspannt entgegen sahen. Ihr war zwar zwischndrin ?bel in diesen ersten Tagen im KH, aber ihr wurde geholfen, sie war in guten H?nden. Endlich k?mmerte man sich um sie, die Lunge war wieder freier (nach einer Punktion oder durch Medis) und nach einem kleinen Hoch am vergangenen Wochenende, ging es ihr pl?tzlich schlechter. Ich war derweil unruhig, denn ich konnte nicht gut weg. Und alles einsch?tzen aus 600km Entfernung, wie sollte das gehen?!… Zudem war Emil kurioser Weise ausgerechnet an diesem ersten Wochenende meiner Mama im Krankenhaus mit Schwiegermama in Berlin, geplant war also ein Besuch von uns an diesem Freitag, eine Woche sp?ter auf den sich meine Mama (und ich mich erst) sehr gefreut hatte! Am Mittwoch sp?ten Vormittag dann die niederschmetternde Nachricht meiner Schwester, sie sei wieder im KH, das MRT vom Kopf zeigt auch da Metastasen. Mir hat das den Boden unter den F??en weggezogen. Uns allen. Ich war nie ein gro? optimistischer Mensch in meinem Leben, aber ich habe niemals gedacht, dass all das so passieren w?rde. Und dann ?berschlug sich alles. Wir wollten es den Kindern sagen, Packen und am folgenden Tag mittags alle gemeinsam mit Lilou, aber ohne die zwei Kleinen nach Berlin fahren. Wir hatten einen eigentlich ultra wichtigen Termin von Tom, den ich wahrnehmen wollte und ein Treffen im Anschluss mit Nils und den restlichen Kindern direkt am Hauptbahnhof in M?nchen war geplant, um zeitig wegzukommen.  

Gott sei Dank hatten wir die Kinder schon eher aus der Schule gerufen und schon frei stellen k?nnen. Denn in Windeseile wurden die Nachrichten schlimmer, dringlicher. Ich h?rte meine Mama in einer Sprachnachricht meiner Schwester im Hintergrund und brach zusammen, es f?hlte sich so falsch an auf den Zug morgen zu warten, aber ich wollte auch nicht allein fahren. Was sollten wir nur tun? Ich packte zwei Koffer als Nils eher aus der Arbeit kam, weinte und wir stritten, weil wir v?llig ?berfordertt mit allem waren, w?hrend wir irgendwie hinbekamen einen Zug zu buchen, f?r erstmal nur mich und zwei Nachteulen-

Tom und Zoe. Es hat so viel Kraft und Energie gekostet diese Entscheidung zu treffen, den Mann und einen Teil der Kinder da zu lassen, ein Teil ganz unkompliziert und wie dankbar bin ich daf?r, dass meine Schwiegermama sofort herbei eilte und den zweiten Teil beim Mann. Vorallem Lilou. Meine Kleine. Die ab und an und gerade nachts wenn auch schwierig noch stillte, aber ich h?tte nie im Leben, soviel da sein k?nnen im Krankenhaus mit ihr. Ich wollte sofort los, schrie mein Herz, aber meine Familie sollte auch mit, die Kinder sollten Chance haben sich zu verabschieden, da war einfach alles komplett falsch und wir sollten entscheiden. Zerreissprobe. Wir Drei erwischten den n?chsten realistischen Zug also schon am Mittwoch. Nur vier Stunden nach der ersten Nachricht meiner Schwester verliessen wir das Haus und fuhren kurz nach 16Uhr daheim mit einem Koffer los und nahmen den ICE um 17Uhr. Dank des Mannes Organisation, der parallel ein Hotel gesucht und gebucht hatte. Ich hatte unfassbar grosse Angst nicht mehr rechtzeitig dort zu sein! Wir Drei nahmen dann am Berliner Hauptbahnhof ganz surreal alles an einem Tag zu erleben ein Taxi und standen so kurz nach 22Uhr in ihrem Zimmer. Es war be?ngstigend. Sie war wach aber durch die Schmerzmittel ganz durcheinander. Ich weiss nicht, ob sie verstanden hat, dass ich oder Zoe da sind. Zoe und Tom warteten dann draussen auf mich. Ich streichelte sie, sah meine Schwester ihr Wasser geben zu… pr?gte mir alles ein, was sie die Tage zuvor gemacht hatte, soviel gegeben hatte… und dann fuhren mein Papa und meine Schwester nach einer Weile, sie waren den ganzen Tag da gewesen und so ersch?pft… brauchten Kraft. Ich konnte nicht mehr lange bleiben, der n?chste schwierige Moment, weil die Kinder dabei waren, es zwang mich zum Vern?nftigsein und uns Hotel fahren, bis Mitternacht sollten wir einchecken. Wir schliefen die Nacht zu Dritt in einem Doppelbett, mit zwei Kissen und zwei Decken, all das interessierte uns nicht. Ich konnte nicht einschlafen, hatte kalte F?sse, musste immer zur Toilette und bei jedem Aufwachen und Aufstehen waren da die Bilder, die Sorgen wegen ihrer Schmerzen und die Angst. Ich schlief kaum in dieser Nacht und stand um 6Uhr auf. Fuhr allein zum Krankenhaus zu meiner Mama. Ich h?rte sie schon vom Flur aus, es war schlimm. Sie bekam gerade etwas gegen die Schmerzen, aber es hielt immer weniger lange vor und es dauere bis es wirkte. Sie hatte zu den Metasten zwei gebrochene Rippen vom Husten und anscheinend wurde ihr beim Transport einen Tag zuvor die H?fte gebrochen, das Becken tat ihr unfassbar weh. Die Putzkraft warf mich liebevoll raus, zwang mir Kaffee auf, der widerlich schmeckte aber warm war, denn wieder hatte ich kalte F??e. Die ?rztin fing mich ab und sagte gar nicht viel ?Es kann jetzt sehr schnell gehen.? Herzbruch. Ich gab meiner Mama reichlich zu trinken, immer wieder kam sie zu sich, machte gro?e Augen. Sie sagte, es sei schlimmer als gestern, Schmerzen oder Durst?! Sie war dennoch kaum da. Sprach undeutlicher. Und durch den Wind. Gegen 10Uhr musste ich leider schon wieder los. Wieder musste ich loslassen. Eine Stunde war sie allein bis mein Papa kam. Aber ich musste zu den Kindern ins Hotel, packen und auschecken bis 11Uhr. Danach ging es sofort zum Hauptbahnhof weiter, denn auch Nils und die Kinder waren fr?h wach gewesen und jetzt schon auch bald in Berlin. Ich besorgte Zoe und Tom Fr?hst?ck und eilte zum Gleis, kaufte mir dann auch was und f?r meinen Papa einen Salat, den sp?ter meine Schwester a?, weil er nicht wollte. (Sie widerum hatte auch Essen f?r uns dabei sp?ter.) 

Am Hauptbahnhof also eine unvollst?ndige Familienzusammenf?hrung und gleich wieder Trennung. Keiner wollte dem anderen alle Kinder lassen, und die drei frisch eingetroffenen Kinder wollten ins KH, da fuhren wir hin. Aber ins Hotel

einchecken mussten wir auch, das machte Nils mit den Kindern, die schon in der Nacht gelandet waren. Ich war derweil mit den drei anderen Jungs unterwegs. 

Wir hatten Gl?ck sie war gerade ruhig, so sollte es bis auf die schlimmen Wachphasen bleiben, aber die Jungs hatten Zeit zu trauern. Ein weiteres Mal. Sie zu sehen, alles versuchen zu verstehen, begreifen. Ich brachte bald darauf zum Aufenthaltsraum. Holte die anderen, die vom Hotel kamen von der Haltestelle ab und lotste sie zum Zimmer. Zoe wollte sie noch ein weiteres Mal sehen und nun auch Tom, so hatten sie auch noch einmal Zeit. Aber ein Krankenhaus ist kein guter Ort f?r Kinder und anders herum, also fuhr Nils mit allen Kindern irgendwann zum Hotel, ich brachte sie noch zur Haltestelle. Wieder Herzschmerz. Wie lange?! Kommt Nils in fremder Umgebung zurecht? Ohne Stillerei? Zwei Hotelzimmer? Klappt das?-

Alle angespannt und unter Strom.

Ich wollte helfen, aber wollte auf jeden Fall im Krankenhaus bleiben. Erneut. Loslassen. Als ich nur nach wenigen Minuten zur?ck kam, h?rte ich sie wieder… wieder Morphin. Die Abst?nde wurden k?rzer, sie brauchte mehr. Ein Perfusor sollte helfen, das Morphin gleichm?ssiger zu geben, aber es reichte nicht aus, die Dosis wurde erh?ht und dennoch litt sie. Es wurde sp?ter und sp?ter, wir wechselten Pl?tze. Gingen mal raus, einen Weg machen abwechselnd. Unterhielten uns, teilten Geschichten von Mama. Meine Schwester k?mmerte sich r?hrend um unser Wohl, gab energisch Trinken und Bonbons aus, w?rmte Essen auf. Aber die Kr?fte von uns liessen nach. Es ging auch Mama nicht gut, das Atmen strengte sie immer mehr an, es gab dann eine 10min?tige hohe Dosis Morphin, damit sie mal ausruhen konnte. Ich sass beiden genau gegen?ber. Ich sah die M?digkeit von heut, den letzten Wochen. Mein Papa braucht Schlaf, dachte ich. Zu Dritt sa?en wir dort, mein Papa seit 11. Ich nach der Mittagspause seit 13.30Uhr etwa und meine Schwester nur kurze Zeit sp?ter. Es war mittlerweile 23Uhr. Ich fasste mir ein Herz, auch wenn ich Angst hatte und sagte, sie sollen gehen, ich halte Nachtwache. Meine Schwester wollte nicht gehen, es fiel ihr unfassbar schwer. Und sie hatte ein schlechtes Gewissen wegen mir, dabei war sie die Tage hier gewesen. Aber Hilfe k?me morgens sagte ich mir, dann ruh ich mich aus und ich bin grad schreckliche N?chte gew?hnt von zu Hause, auch wenn das hier sooo anders war. Meine Schwester und mein Papa hatten genug gemacht. Ich hatte nur etwas Angst, den Moment zu verpassen sie anzurufen. 

Wegen dem Tipp einer Schwester packten sie schon unfassbar viel zusammen. Und trugen nach tr?nenreicher Verabschiedung schwere Taschen weg. Das war auch schrecklich. Das Auto meines Papas stand ganz weit weg. Dar?ber hatten wir noch gesprochen, als wir eine Runde durchs KH gedreht hatten. Die Schwester fragte mich nach einer Schlafm?glichkeit und wollte die Morphinpumpe wieder reduzieren. Ich stand ?ber meiner Mama. Hielt ihre Hand streichelte ihr Gesicht, sagte ihr wie sehr wir sie lieben und dass sie nicht darauf Antworten m?sse, (abgeschaut bei meiner Schwester), wir wissen sie tue das auch, ein weiteres Mal sagte ich ihr, dass wir nicht wollen, dass sie so leidet, es ist okay Loszulassen. In dem Moment war es als h?tte sie mich geh?rt, es liefen rechts und links eine Tr?ne aus den Augen. Ich war selber so bewegt und dann ver?nderte sich ihr Gesicht und die Farbe, gerade als ich die Schwester fragte, wann ich meine Familie anrufen m?sse, auf was ich achten soll, war ganz klar, dass das genau jetzt nicht zum normal schwer Atmen geh?rte. Sie bekam keine Luft mehr. Meine Schwester und mein Papa waren gerade zur T?re raus, so kam es mir vor. Ich griff nach dem Telefon und musste ?berlegen wie sie heissen, die Nummern suchen, ich brauchte echt einen Moment, ich erreichte nur meinen Papa und obwohl ich dachte es w?re zu sp?t bis er kam, sagte ich nur auf die dringliche, flehende Frage ?Was ist denn, Jeani?!?- ?Ich glaube sie geht gerade!?-? Bist du sicher??- ?Ja, ich bin sicher!? es passiere alles ganz schnell gleichzeitig und zugleich wie in Zeitlupe… ich war weiter da, streichelte sie, sprach ihr zu, die Schwester holte so ein Pulsdings f?r den Finger, nur noch ein kleiner Ausschlag sonst Nullinie. Sie hatte nochmal den Sauerstoff aufgedreht, aber es hob und senkte sich nicht mehr wie in den Stunden zuvor ihre Brust, ihr ganzer K?rper war auf einmal ruhig, und vorher so voller Anspannung, jeder Atemzug war ein Kraftakt gewesen… Sie m?sse die ?rztin holen, sagte sie. Ich konnte es nicht fassen, da war er der Moment, auf den wir alle gewartet hatten. Neben den Selbstvorw?rfen, dass beide gerade erst gegangen waren, ich sie weggeschickt hatte, war ich dankbar, dass Mama es geschafft hatte. Erl?st war von diesen Schmerzen. ?Du hast es geschafft, Mama!?, sagte ich ihr. Die Angst und die Sorgen waren weg, nun war da der pure Schmerz, der Verlust und die Trauer. Die ?rztin kam zeitgleich mit meinem Papa zur?ck, meine Schwester kurz danach. Beide waren ganz ruhig und sagten, es solle genau so sein, aber es liefen die Tr?nen. Es blieb unfassbar. Dass unsere Frau und Mama, innerhalb so kurzer Zeit, so krank wurde und die Bilder, die man nicht ?bereinander bekommt, die kranke, mittlerweile verstorbene Frau im Bett und dieser lebensfrohe, freche, quirlige und warmherzige Mensch, der sie gewesen war- man kriegt es nicht zusammen. Sie war, sie ist nicht mehr. Ich hoffe, dass es hilft, dass wir soviel Ber?hrungen hatten, nochmal N?he, das Herz irgendwann begreifen kann, was die Augen gesehen haben. Ich war schon lange Zeit nicht mehr so traurig. Ich war es jetzt, die nicht loslassen konnte. Eine Stunde noch waren wir da, ich hielt ihre Hand, streichelte sie, unter der Decke war sie noch warm. So konnt ich sie nicht allein lassen. Surreal. Der erste tote Mensch, den ich je gesehen habe, wurde so meine Mama. Und ich hatte sie begleiten k?nnen. Ich hatte es geschafft rechtzeitig dazusein, auch wenn ich unfassbar traurig bin um alle die fehlende Zeit, eine Umarmung, ein Gespr?ch… all das war nicht mehr m?glich gewesen. All das fehlt. 

Es war uns klar, wenn wir jetzt gehen, dann f?r immer, kein Zur?ck, ein Abschied auf Ewig. Ich sprach nochmal mit ihr, keine Ber?hrungsangst… Jetzt fiel es mir am Schwersten in den Regen nach draussen zu gehen und zu fahren. Man atmet weiter, draussen stand der n?chste Patient, man verl?sst diese R?ume, in denen man soviel gesp?rt hat und erlebt hat. Unterst?tzt von den tollsten Pflegekr?ften! Meine Schwester fuhr mit dem Taxi nach Hause. F?r mich ging es ins Haus meiner Eltern mit meinem Papa. Das erste Mal in trauriger Gewissheit, dass sie nie mehr durch diese T?r kommen wird, ?berall ist sie. Es schmerzt und tut gleichzeitig gut. Ich blieb ?ber Nacht und fuhr um 6Uhr zur?ck nach Berlin, wie ferngesteuert, ?berschwemmt von Bildern und Erinnerungen, in ein fremdes Hotel in die Arme meiner Familie.

Kommentare deaktiviert für Der Tod meiner Mama