Henrys Schwangerschaft & Geburt

Wie alles begann…

Noch nie ist so viel Zeit zwischen der Geburt und meinen Gedanken dazu vergangen… lediglich ein paar Zeilen zu den Stunden rund um Henrys Ankunft habe ich auf meinem Handy notiert, ein paar Wochen später an der Ostsee weitere zur Schwangerschaft und so versuche ich mal langsam all das Stückwerk in ein Ganzes zu fassen…

Diese Schwangerschaft war einzigartig. Ich weiß, das ist eine jede. Aber so wie ich auch nicht nach einer Woche einen Geburtsbericht niederschrieb, so erlebte ich auch die Schwangerschaft so ganz anders als bisher…

So viele Wochen und Monate hatte ich wieder mit mir gerungen, immer wieder mit Nils gesprochen, ob wir es wagen sollen, noch einmal? Nach der Geburt von Lilou dachte ich tatsächlich kurz, wir wären komplett. Vielleicht wollte ich das denken. Vielleicht diente es auch als Rechtfertigung?! Ich hab so lange mit mir gehadert, versucht den Herzenswunsch verstummen zu lassen, anstatt noch einmal alles zu wagen. Es gab so viele Gründe dagegen. Aber der Wunsch war schon unfassbar groß und wurde immer größer, je mehr Wochen vergingen… Jemand fehlte einfach, es ist ganz schwer zu beschreiben. Und jedes Mal ist die Antwort auf diese große wieder alles verändernde Frage, dieses Hingeben, Hoffen auf Erfüllung- kein leichtfertiger Schritt, keine Entscheidung, die man mal eben so fällt, auch wenn das vielleicht einige glauben. Nicht nur, weil es ein Wunder ist, so viele Kinder bekommen zu können und nicht zuletzt, weil es Momente in meinem Leben gab, in denen ich an dem Verlust eines ungeborenen Kindes fast zerbrochen bin und dennoch ging das Leben weiter, und ich musste mich irgendwann entscheiden, ob ich mitgehen will… 

Diese Sehnsucht nach dir, Henry, war größer als die Angst, größer als die Sorgen und all die Grübelei der Monate zuvor… und in der Nacht zu Zoes 15. Geburtstag, begann deine Reise ins Leben.

Ich weiss noch sehr genau, was für fiese und starke Schmerzen ich wieder hatte, bis ich nachts eine Schmerztablette nahm, damit ich nicht doch ins Krankenhaus laufen würde und mich auf Nieren- oder Gallensteine untersuchen lassen konnte. Es gibt Monate und dieser war einer davon, da ist der Schmerz am Tag des Eisprungs unerträglich, da kann ich kaum Laufen oder Stehen. Das was andere Frauen bei der Blutung zu Zyklusbeginn erleben, erleide ich zur Mitte des Zyklus oder wie in Diesem ganz verspätet erst nach vier Wochen. Ich vermute heute, dass dieser lange Zyklus, diese lange erste Hälfte mit dem verspäteten Eisprung, dank der vielen Ibuprofen entstand, die ich eingenommen hatte, weil ich so viel krank gewesen war- ich hatte mich da später eingelesen, dass die längere Einnahme von NSAR Arzneistoffen zu Zyklusverschiebungen führt, darunter zählt auch einfaches Ibuprofen. Und so wartete ich eigentlich auf eine sehr stark verkürzte zweite Zyklushälfte. Oder aber, es wäre tatsächlich passiert… Und so kam es, dass sich nach einem aufregenden (Geburts-) Tag das Gedankenkarussell in Bewegung setzte: „Was wenn es diesmal klappt?“. Ich recherchierte den errechneten Termin, erst dachte ich „Oh, in den Sommerferien?! Da fiele der Urlaub aber aus oder wäre nur kurz möglich.“, abgelöst von „Oh! Sommerferien! Das wäre ja herrlich! Keine Schule! Keine Hausaufgaben! Keine Verpflichtungen! Keine Termine! Kein Gehetze und kein frühes Aufstehen!“ und plötzlich dachte ich, das wäre ja irgendwie ganz fabelhaft. Aber erstmal müsste es geklappt haben…

Als du dich zu uns gesellt hast, war unser Leben ein Getose auf hoher See. Dein Opa war vor ein paar Wochen ganz plötzlich gestorben, dein Papa das zweite Mal arbeitssuchend in diesem Jahr und hoffend jetzt genau die Stelle gefunden zu haben und zusätzlich waren da Sorgen um drei Kinder, die unsere ganze Aufmerksamkeit brauchten und ganz nebenher war ich dann leider auch noch so viel krank. Es war ein einziges Chaos an Gefühlen. Trauer, Schmerz, Sorgen, Leid… es war alles andere als einfach. Und dann kamst du.

Ich machte mir auch viele Gedanken: zwei Tage vor der Beerdigung meines Schwiegervater waren schon vierzehn Tage nach dem Eisprung vergangen, das konnte alles und nichts heissen. Es war eine aufwühlende, traurige Zeit. Wir nahmen mit den Kindern Abschied, bastelten Schiffchen und eine Laterne und gleichzeitig, dachte ich, könnte mein größter Wunsch schon in Erfüllung gegangen sein. Wie ein helles Leuchten, ein Licht in der Dunkelheit. Sorge hatte ich, dass so ein Ereignis wie der Verlust eines Menschen, das wirkliche Loslassen am Grab… ich machte mir Gedanken, dass es mich so mitnehmen würde, dass unserem Wunder etwas passieren könnte, noch mehr Verlust, unvorstellbar! Dass nur wenige Wochen später noch mehr Schmerz, noch mehr Trauer unser Leben neben einer beginnenden weltweiten Pandemie für immer verändern würde, war in diesem Augenblick jenseits jeder Vorstellungskraft. Und so behielt ich meine Gedanken für mich, war zaghaft optimistisch, horchte ganz viel in mich hinein, ich war an diesem Tag des Abschieds über der Zeit und blieb es…

Diese dreizehnte Schwangerschaft nahm ich ganz anders wahr, als die anderen, es wurde eine ruhige, erdende Reise. Ich machte einfach keinen Test, ich weiß ehrlich gesagt gar nicht warum, vielleicht wollte nicht mit Stäbchen vergleichen, ob da mehr oder weniger Hormone in mir wären… wie in anderen Frühschwangerschaften… das alles hätte mir nicht helfen, mir keine Sicherheit geben können. Irgendwie war alles so klar. Ich hab nur auf mein Gefühl gehört und mit jedem Tag, der verging, wuchs die Wahrscheinlichkeit und die Hoffnung, dass ich schwanger wäre und da war diese Ahnung, dass mein Körper sich verschlossen hätte, um dich zu schützen. Wie eine Auster. Das Kostbarste eingeschlossen, still und leise. Unbemerkt von Aussen, verborgen und geschützt. Ein ganz warmes Gefühl. Und dennoch war ich nervös, als ich zwei weitere Wochen später beim Frauenarzt saß, um deinen Herzschlag zu sehen. Was wenn ich mich doch irrte? Ich fühlte dich, ich war mir so sicher, aber was wenn doch nicht? Was wenn es wieder eine verhaltene Fehlgeburt wäre oder eine Eileiterschwangerschaft? Es ging mir gut und ich war mir sicher, weil ich nur auf meine innere Stimme hörte bis zu diesem Termin, der mich dann doch durchschüttelte. Der machte mich nervös, aber er zeigte mir dann auch deinen Herzschlag. Und zudem brachte er mir noch mehr Vertrauen in mich und meinen Körper, ich hatte das alles geschafft. Ich war so stolz auf mich. Ich hatte also das erste Mal in meinem Leben, nicht nur keinen Test gemacht, ich nahm dann auch in Rücksprache mit meinem Arzt auch kein Progesteron und keine Blutverdünner, wie in den letzten Schwangerschaften zuvor. Alles sah fabelhaft aus. Es musste nur noch so bleiben. Ich entschied mich auch keine Vorsorge ausserplanmässig zu machen. Ich war einfach guter Hoffnung. Diese Schwangerschaft blieb ruhig und entspannt, erdend. Und in mir wuchs ganz leise wie du auch, die Hoffnung und der Glaube, dass du vielleicht der Grund dafür wärst, mein tiefenentspanntes, ruhiges Kind… Ich hatte nur mein gutes Gefühl. Und Hoffnung: „Es muss so sein, dieses Kind muss kommen und allem irgendwie noch Sinn einhauchen.“

Dein Papa hatte sich von Anfang an einen Jungen so sehr gewünscht und der warst du, an dem Tag Ende Januar in der 15. Woche als ich das erfuhr, erzählten wir auch deinen Geschwistern von dir, die es schon lange geahnt hatten, unseren Eltern und Geschwistern, Freunden und dann den Menschen im Netz davon…

Es bereitete mir keine Probleme vier bis fünf Wochen auf einen Arzt- oder Monate später einen Hebammentermin zu warten. Das hatte es für mich noch nie gegeben. Ich wollte mich nicht verunsichern lassen durch Blutdruckwerte, Sticks oder andere Symptome. Davon zeugt auch die Anzahl der Vorsorgeuntersuchungen, es waren am Ende elf Einträge und das auch nur, weil ich so lang schwanger gewesen war. Dieses Mal keine dazu geklebte Stelle am unteren Rand des Mutterpasses, weil der Platz nicht ausgereicht hätte. (Vermutlich war ich über die Monate öfter beim Arzt wegen der Stillbisswunde von Lilou, die mich während der Schwangerschaft auf Trab gehalten und zuletzt kurz vor der Geburt auch einiges an Nerven gekostet hatte, als ein Abstrich zur Zystologie musste.) Ich war bei mir und wollte bei mir bleiben. Umso mehr tat mir gut, als ich mich bei meiner Hebamme am Ende der Schwangerschaft so wohl fühlte. Wenn ich an die letzten Wochen und Tage der Schwangerschaft denke, dann in so einem wohlig warmen Wohlfühlgefühl, da war so viel Geborgenheit, die ich auch ganz wirklich brauchte. Wir als Familie waren bei uns. Es war mein zu Hause, hier war ich in Sicherheit und ungeduldiger Vorfreude.

Trotz all dieser Ruhe und Zuversicht, plante ich keine Alleingeburt. Ich brauchte, ich sehnte jemanden für mich herbei neben dem Mann. Ich war lange genug stark gewesen. So viel musste ich -nicht nur in den vergangen Monaten- schon allein erleben und fühlen, ohne meinen Mann, ohne diese Fürsorge. Ich konnte irgendwann das Wort Selbstfürsorge in diesem Jahr nicht mehr hören oder lesen.
Ich hatte allein entschieden, dass ich noch an dem Tag der niederschmetternden Diagnose „Metastasen im Gehirn“ und der rapiden Verschlechterung zu meiner Mama fahren musste- diese Entscheidung hätte mir niemand abnehmen können. Ich war ohne den Mann, allein mit zwei Kindern ohne wirkliches Ziel nach Berlin gefahren. Ich hatte nachts ganz allein am Bett meiner mittlerweile pflegebedürftigen Mama gesessen, verzweifelt und unfassbar traurig, draussen die zwei Kinder im Flur, hinein katapultiert in einen Raum, den mein Vater und meine Schwester leider schon zu gut kannten. Ich hatte allein ohne den Mann in irgendeinem Hotelzimmer gelegen, in das wir nach Mitternacht eingecheckt hatten- in einem Bett mit meinen zwei Kindern. Ich war ganz früh morgens allein aufgestanden und zum Krankenhaus mit Öffentlichen durch eine mir mittlerweile fremde Stadt gefahren, die beste Entscheidung, nochmal allein mit ihr zu sein, auch wenn sie mich schon gar nicht mehr wahrnahm. Ich hatte allein ohne den Mann, der im Hotel auf alle sechs mitgenommenen Kinder aufpasste, mit einer wahnsinnig freundlichen Krankenpflegerin neben meiner Mama gestanden, als sie dann ihren letzten Atemzug tat. Ich versuchte allein hektisch meinen Vater und meine Schwester zu erreichen, die gerade zur Tür raus waren und hatte solche Angst, sie könnten traurig sein, weil ich das allein erlebt hatte und sie nicht da gewesen waren… Ich war allein, als ich am nächsten Morgen wie als Teenager durch Berlin in ein fremdes neues Hotelzimmer in die Arme meiner Familie nach nur ein paar Stündchen Schlaf bei meinem Papa fuhr und ich war allein ohne den Mann und ohne unsere Kinder, als ich Wochen später dank einer weltweiten Pandemie gerade noch rechtzeitig mit meiner Schwiegermama an meiner Seite zur Beerdigung fuhr… dort stand ich am Grab ohne meine eigene Familie… es war genug „allein“ geschafft worden… Ich bin durch das alles vielleicht noch mal über mich hinaus gewachsen, noch einmal stärker geworden, aber diese Stärke wollte ich nie, danach hatte ich nicht gebeten, nicht gefragt und nicht gesucht. Der Tod meiner Mama hat für unser aller Leben einen großen Schmerz bedeutet, mit dem Verlust meiner Mama wurde mir unwiederbringlich etwas genommen, ich habe auf Ewig etwas verloren, wurde auf verschiedene Ebenen allein zurück gelassen, eine Halbwaise. Der Kummer hat mich viele nächtelang um den Schlaf gebracht, seitdem vermisse ich etwas und jemanden, das und den ich nie mehr wieder finden werde. 

Diese zweite Trauerzeit, während der Isolation durch Corona, hat uns freiwillig oder nicht zusammengeschweisst, wir waren wie in einem Kokon. Über viele Monate. Nur wir. Ich muss gestehen, gern hätte ich das noch langer beibehalten nach der Geburt. Denn ich denke gern auch an diese ersten verzauberten Tage mit Henry zurück. Es war schon so besonders schön und hätte nie besser sein können in der Schulzeit. Und es kann nie genug Geborgenheit und Zeit geben, schon gar nicht bei der Menge an Personen und Gefühlen. 

Auch jetzt fehlte mir selbst im Urlaub die Zeit, Zeit zu verstehen, Zeit zum Ankommen, Sortieren und Aufschreiben.

Henrys Ankunft…

Ich sortiere immer noch diese Geburt, das wird wohl nie aufhören… wenn mich jemand fragen würde, „Wie war es diesmal?“, ich wüsste keine kurze Antwort, ich bin immer wieder aufs Neue fasziniert, wenn ich darüber nachdenke, wie anders alles war, schon in der Schwangerschaft. Und das hörte nach der Geburt auch nicht wirklich auf…  

Die allerletzten Wochen und im Besonderen die allerletzten Tage des Wartens waren nicht nur geprägt von unbändiger Vorfreude, sondern auch von Angst. Das möchte ich nicht leugnen. Auf diese Reise, diesen Weg ein Kind zu gebären, darauf muss man sich immer wieder einlassen können, auch beim wiederholten Mal. Gerade dann. Meine Hebamme nannte es nach der Geburt in einem Gespräch bei den Nachsorgen, so eine Art große, tief liegende, ureigene Erschöpfung des Körpers, der ganz genau wisse, was nun kommt und dieser Körper, der schon unfassbar viel geleistet hat, ist müde. Es ist ein unheimlich großer Akt von Kraft. Ein ungewisses Abenteuer, das nicht immer gleich abläuft. Auch wenn ich um Eines ganz besonders froh bin, lange leiden musste ich diese Mal nicht. Aber all das, weiss man als Schwangere zuvor nicht. Und als Gebärende erst recht nicht. Denn man kopiert und fügt nicht einfach immer nur eine besonders schöne Geburt wieder ein. Die neue, kommende Geburt ist von so vielen Dingen abhängig, auf die man als Frau dann überhaupt keinen Einfluss hat. Es ist das Ungewisse, auf das man sich einstellen muss und wenn man schon mal Traumatisches erlebt hat, weiss man eben auch, wie schnell es ganz unschön werden kann, wieviel Energie es kostet, zu Heilen körperlich wie seelisch und dabei braucht man schon genug Energie, wenn alles schön abläuft. Zudem kommt jedes Mal ein anderes Kind, das wiederum alles auf den Kopf stellt, wieder etwas anders macht, vielleicht wie bei Henry, der so lange Beine hatte und sich vielleicht einmal mehr schmerzhaft mit seinen langen Beinen und Füssen abstützte im Bauch unter den Wehen… 

Nachdem der Sonntag vor Henrys Geburt in den Montag übergegangen war, ging ich traurig und wirklich frustriert ins Bett. Ich hatte gar keine Worte wie verloren ich mich fühlte, wie niedergeschlagen und ernüchtert ich war, als ich mich hinlegte. Ich hatte so fest damit gerechnet, dass unser Sohn käme und dann hatte er doch andere Pläne. Hatte wirklich er andere Pläne? Oder war ich einfach nicht genervt genug vom Schwangersein? Hatte ich noch nicht genug Losgelassen? Wie sehr ich diese Fragen hasste… daher versuchte ich sie gar nicht erst zu stellen, er war einfach noch immer nicht da… stattdessen Schmerzen und ab und an eine wirklich unfassbar schmerzhafte Wehe, die ich so ganz anders in Erinnerung hatte… das verunsicherte mich. Ausserdem hatte ich immer fest damit gerechnet, dass auch dieses Kind in der Nacht geboren werden würde, nur wann hätte das sein sollen? Tom ging gefühlt jeden Tag später ins Bett, manchmal wurde es nach 1Uhr und Lilou erwachte manchmal gegen 2Uhr und war zwei Stunden wach… ich hätte so an manchen Tagen eine ganze sagenhafte Stunde Zeit gehabt bis Sonnenaufgang… meine Geburten konnten schnell verlaufen, aber so schnell? Ich brauchte keinen Blick in den Kalender, ich wusste, er würde somit keine zwei Wochen alt sein, wenn wir uns in den Zug setzen würde, um ein weiteres Mal fast tausend Kilometer an die Ostsee zu fahren… Ich war einfach ausgelaugt, ging mit Kopfschmerzen in Richtung Bett und schaffte es dennoch noch einmal meinen Blick zu verändern, bevor ich einschlief… ich dachte an das Kaffeetrinken mit allen, das Spielen mit den Kindern, das Schauen unserer Serie, mein neues Buch, das noch ein letztes Mal vor der Geburt Duschen und Haarewaschen bei den Jüngeren, das Vorlesen bei den Kleinen, wie wundervoll die Luft nun roch nach diesem Tag voller Regenschauer, wie angenehm kühl es geworden war und wie selig Lilou jetzt schlief… ich nahm also alle Kraft zusammen und sagte mir, dass ich mit den Kopfschmerzen lieber noch einmal eine Nacht schlafen würde, noch einmal Kraft tanken, wollte ich… nicht ausschliesslich für die Geburt, sondern auch die Zeit danach wie ich mit meiner Hebamme besprochen hatte und das schaffte ich dann auch ganz gut, neben Krämpfen und Wehen im Hintergrund, wegen denen ich immer wieder hoch schreckte… generell war der Tag vor der Geburt, wie ich es mir immer erhofft hatte, ein schöner runder Sonntag, an den ich gern ein Leben lang zurück denken werde, der allerletzte Tag bevor sich alles erneut veränderte und Henry unser Leben bereicherte…

Erst bei Sonnenaufgang und nach einem weiteren Gang zur Toilette, vielleicht einer Wehe, dachte ich das erste Mal, ja warum eigentlich nicht tagsüber gebären? Es müsste ja niemand zwingend in dieses Zimmer, schon in den letzten Tagen hatte ich mich manchmal hier einen Moment zurück gezogen und in mich gehorcht, warum nicht auch unter der Geburt, wenn alle wach wären? Lilou schlief derweil noch immer tief und fest neben mir im Bett. Ich hielt inne, sie sah wunderschön aus und ich machte ein paar Fotos von ihr… 

Auch dieses Mal war ich wieder nicht sicher, dass ich schon unter der Geburt war. Seit kurz vor Sieben, eigentlich schon in der Nacht kamen die Wehen unfassbar unregelmässig, machten einen ganz harten Bauch und hatten gleich so eine Gewalt, auch nachts schon, eine solche Wucht, dass mir das Atmen schwer fiel. So hatte ich das einfach nicht in Erinnerung, dass war kein sanfter Anstieg, keine Regelmässigkeit. Und die Pausen waren so lang, dass ich immer wieder dachte, es sei falscher Alarm. Halb Acht, fragte ich Nils, ob er schon wach sei. Eine halbe Stunde später brachte er mir auf meine Bitte meine Strickjacke, eine Wärmflasche, Tee und mein Buch hoch ins Schlafzimmer, wo Lilou mein erstes Wehenveratmen noch immer verschlief. Eingekuschelt in meine Jacke saß ich auf dem Pezziball, las ein paar Seiten zwischen den Wehen zur Ablenkung und machte letzte Fotos von mir und Henry in meinem Bauch. Ich nahm es an, obwohl es auch noch krampfte und ich wurde den Gedanken nicht los, dass meine Hebamme vielleicht recht haben könnte mit ihrer Vermutung und Henry keinen Platz hatte, also fasste ich einen Entschluss. Unbewusst muss ich wahrgenommen haben, dass ich Geburtswehen hatte oder ich wollte alle Eventualitäten abdecken, aber ich hatte das Gefühl mich beeilen zu müssen mit meinem Vorhaben, dass ich sonst bald nicht mehr dazu in der Lage sein würde. Ich versuchte die Zeit herum zu bekommen, sass auf meinen Ball, las sporadisch weiter und sah immer wieder auf die Uhr, es war schon sehr ungemütlich und ich kam schnell zu dem Schluss, dass ich es nicht schaffen würde zu warten bis Lilou von allein aufwachen würde, also bat ich Nils um halb neun zu ihr hoch zu kommen ins Schlafzimmer und hier ein Auge auf sie zu haben… Unten herrschte derweil morgendliche Betriebsamkeit. Ein bisschen Frühstück, ein bisschen Spielen, ein bisschen Fernsehen, Nils mit einem Ohr bei mir, mit dem anderen bei den Kindern, zwischen meine Hand halten und Windeln wechseln. Ich schloss mich im Bad ein, zwischen den Wehen schaffte ich mein Vorhaben durchzuführen, duschte… aber immer schnell schnell, zwischen den Schmerzwellen. Ich kam mir schon sehr laut vor und die Schmerzen blieben gewaltig. Ich hatte mir ein kleines Lager vor dem Bett gebaut, meine Yogamatte davor ausgebreitet und lehnte auf meinem Ball vor dem Bett, konnte mich am Bettpfosten festhalten, meine Knie taten nur irgendwann selbst auf der Matte weh. Ich hatte solche Schmerzen in den Wehen, veratmen ging gegen zehn Uhr schon deutlich schwerer und ich tönte schon die ganze Zeit so laut, das verunsicherte mich sehr, dann dazwischen lange Pausen. Alles war wieder anders in dieser Geburt. Kurz dachte ich beim Schreien an die armen Kinder, aber die schienen sich an nichts zu stören da unten, Noah wachte im Keller nicht einmal auf, der verschlief alles komplett. Ich war am Liebsten allein in meinem Zimmer und machte mir so langsam immer mehr Gedanken, wann wohl der perfekte Moment wäre, meine Hebamme anzurufen und sie zu bitten, zu uns zu kommen. Ich spürte, dass es mich hinderte mich noch weiter aufs Geburtsgeschehen einzulassen, darüber nachzudenken, wann wir meine Hebamme anrufen sollten. Ich war mir auch nicht sicher, ob „Ah!“ rufen schon erlaubt war oder nur „Uh!“ oder „Oh!“, das googelte ich sogar noch, daran kann ich mich erinnern… Und dann wird alles undeutlicher. Ich habe meine Geburtskerze angezündet, ich hielt mich am Bett, ich sagte zu Nils, ich sei unsicher, ob es wirklich losginge und dann doch die erlösende Entscheidung endlich unsere Hebamme dazu zu holen, die Nils heimlich schon viel eher informiert hatte. Danach verschwimmt alles im Nebel. Dieser Hormoncocktail ist schon immer faszinierend. Als Gebärende arbeitet man, man macht einfach, lässt sich treiben oder wird herum geschleudert, schwimmt in der Brandung, man ist wach, man erlebt alles selbst, aber ist doch weit weg in seiner Wehenwelt. Alle paar Wellen diese unfassbaren Schmerzen, manchmal das Gefühl zu ertrinken, nicht genug Luft zu bekommen und dann ging es wieder, Treiben und Luft holen, zu Atem kommen und bei einem Versuch mich mal kurz hinzulegen ins Bett, ich war schon ganz schön erschöpft von der „kurzen“, aber heftigen Wehenarbeit, sprang ich sofort wieder raus aus und zurück vor das Bett.

An dieser Stelle verschmilzt meine eigene Erinnerung, es dauerte nicht lange bis meine Hebamme kam, vielleicht eine halbe Stunde. Ich kann mich noch erinnern, dass sie diese drei schönen Ledertaschen an mir vorbei trug, dass sie diese schöne bequeme Funktionskleidung trug und einfach so unfassbar gut vorbereitet wirkte… so selbstsicher und ruhig… als hätten wir hier alles voll im Griff. Ich erinnere mich an ihre wahnsinnig weichen und warmen Hände an meinem unteren Rücken, sie sagte irgendwas Liebevolles… ich wollte noch mal zur Toilette, aber zwischen den Wehen war das eigentlich kaum mehr möglich, so veratmete ich eine Wehe im Bad mit ihr auf allen Vieren und schleppte mich zurück ins Schlafzimmer, dort auf dem Bett wieder dieser starke Schmerz… sie versuchte mir etwas zu sagen, brachte ein Bild, das wir erarbeitet hatten wegen dem Erinnern an meine verstorbene Mama durch meine eigene schmerzverzehrte Stimme kurz durcheinander, was in dem Moment schon nicht mehr wirklich schlimm war, das war einfach eine andere Welt geworden, so auf die ureigenen Instinkte und führte dann ein neues schönes Bild an: „Ein Stein, den man in Wasser wirft und das Wasser, das Kreise zieht…“ dieses Bild fand ich kraftvoll und friedlich zugleich… ich erinnere mich daran, dass sie fragte, ob sie mich doch untersuchen solle, damit ich weiß, wie weit die Geburt fortgeschritten sei und dann war es doch schon fast geschafft. Sie fragte mich, ob ich mich auf die rechte Seite drehen wolle, damit Henry mehr Platz hätte, sich besser mit dem Kopf seinen Weg bahnen könnte. Ich konnte mein Bein in dieser Position nicht selbst festhalten, so hielt sie mich und wir warteten gefühlt sehr lange auf die nächste Wehe und dann kam endlich diese erste lange Presswehe und ich schrie und schob… Und auf einmal explodierte alles, die Fruchtblase platzte wirklich und wortwörtlich im Schlafzimmer- diese Malerfolie unter dem Laken ist wirklich eine super Idee-, Henry schoss auf die Welt… Pressen kann ich einfach gut, nachdem man mich kurz erinnert wie und wohin der Druck gehen soll, dann ist es nämlich fast geschafft und es ist ja nicht so als hätte man als Frau eine Wahl, das sind die letzten Augenblicke bevor man sein Kind in den Armen hält, ein kurzer Moment und ich fühlte seinen Kopf. Es war das erste Mal unter der Geburt, dass ich das Köpfchen fühlen wollte, aber der Schmerz hörte nicht auf, sie fragte noch, ob das immer noch die Wehe sei, wollte dass ich langsamer mache, aber das war immer noch die Wehe und ich schob einfach weiter bis unser Baby ganz auf der Welt war, nur ein Bruchteil von Sekunden zwischen Mutterleib und „auf der Welt“… nur wenige Sekunden in einer Presswehe zwischen 9cm und Kopf am Beckeneingang und geboren… wir hatten es dann doch eilig… und dann weinte ich, es war alles gut, es war eine schöne schnelle Geburt, aber ich weinte vor Glück. Ich weinte so viele Tränen, als ich unseren Sohn endlich im Arm hielt. Vor Glück und nach dieser weiteren schnellen, kraftvollen Geburt.

Erst dann erfuhr ich, dass das Fruchtwasser etwas grün gewesen war. Es muss im allerletzten Moment passiert sein, denn das Wasser mit dem Köpfchen war klar gewesen… Henry schrie. Wir kuschelten ihn ein, ich legte ihn an und wir warteten auf die Plazenta. Nils und unsere Hebamme machten schon sauber, es war bis auf die Menge an Fruchtwasser erstaunlich sauber geblieben… ich wurde liebevoll trocken gelegt, das Bett neu bezogen bis Zoe ihren Bruder und achtes Geschwisterchen kennen lernen konnte, die Nachwehen klopften schon an und ich hatte etwas Sorge, vielleicht auch das Gefühl, dass die Plazenta nun käme, also schickte ich Zoe wieder hinaus und mit etwas Hilfe kam die Plazenta dann auch zeitig und somit war auch das geschafft, die Nabelschnur pulsierte aber nach wie vor. Nils zog daher sein Tshirt aus und bekam Henry auf die Brust, samt Nabelschnur und Schüssel und ich ging mich frisch machen… dabei hatte ich wieder liebevolle Unterstützung, das tat so unfassbar gut. Als ich wieder im Bett lag, durchtrennte Nils zusammen mit unserer Hebamme die Nabelschnur, sie schaute die Plazenta noch mal an… die Nachwehen taten weh, aber waren erträglich… sie blieben es auch und ich frage mich nach wie vor, ob das an dem Tipp meiner Hebamme zur Geburt liegen könnte… ich ging zudem regelmässig auf die Toilette, damit die Blase schön leer blieb, ich wurde auf Verletzungen untersucht, aber da waren wieder keine. Wie schon die Schwangerschaft verliefen auch die ersten Stunden und allerersten Tage des Wochenbetts ganz entspannt, die Nachwehen zwangen mich dieses Mal endlich nicht in die Knie, die Rückbildung ging wie immer dennoch super schnell und gut und der erste Milcheinschuss blieb von mir fast unbemerkt… ein großes Glück, das alles. Es war alles so gekommen, wie ich es mir erträumt hatte, ich durfte ein drittes Mal zu Hause entbinden, hatte eine eins zu eins Betreuung, brauchte niemanden für die Kinder, musste nirgendwohin, niemand störte, niemand kam, außer unsere Hebamme am Abend noch einmal… es war ein Traum.

Vom ersten Kontakt der Kinder mit ihrem Bruder gegen 13Uhr meine ich, hab ich keine Fotos machen können, auf der einen Seite lag Henry in meinem Arm, eingehüllt in Decken noch nackig und mein Handy lag zu weit weg auf dem Nachttisch. Alles wollte ich mir einprägen, aber letztendlich habe ich den Moment nur genossen. Alle waren so entzückt von ihrem kleinen Bruder, es war ein Fest und ich kann mich nicht erinnern, dass wir alle jemals so derart überschwänglich gewesen wären, ich denke all die Monate Zusammenhalt haben das so weit möglich gemacht, auch dass wir die Ruhe hatten, der Ankunft des neuen Menschen gemeinsam so entgegen zu fiebern…

Diese Schwangerschaft und diese Geburt, das Glück so eine einfühlsame Hebamme zu haben, die mich unterstützt hat, für mich da gewesen war, etwas das ich mir so sehnlichst gewünscht hatte und die Gespräche, die wir geführt haben, haben mich gestärkt, Vertrauen geschenkt in meine Fähigkeiten, meinen Körper, meine eigene Stärke erinnert und mich dennoch geborgen fühlen lassen, jede Frau, die es schon anders erlebt hat, weiß wie unfassbar wertvoll das alles ist und wie wenig selbstverständlich, auch wenn es das unbedingt sein sollte. Denn wir leisten so viel und werden so oft kurz nach der Geburt schon wieder in den Familienalltag ausgespien, müssen funktionieren, werden gefordert, nehmen Bedürfnisse wahr und haben oft gar nicht die Zeit zu heilen oder anzukommen… Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann das mir das im Leben nicht mehr abhanden kommt, all das, was ich in den vergangen Wochen mitnehmen konnte, was mir so gut getan hat und mich gestärkt hat…

„Mein Anker. Du bringst mir soviel Ruhe in mein Leben. Mein Halt und zeitgleich Kraftquelle wie der Rest meiner Familie.“, schrieb ich mit dem Verkünden der Schwangerschaft, nur wenige Tage bevor meine Mama aus dem Leben gerissen wurde. Tatsächlich hatte ich viel Angst um dich, die Vorstellung in diesem Jahr noch mehr zu verlieren, als in den Monaten zuvor, bleib unerträglich. Es hätte niemanden zurück gebracht oder ersetzen können, aber ich hätte nicht gewusst woher noch die Kraft nehmen, ich hatte schon alles gegeben. Es musste alles gut gehen. Aber Gewissheit oder Sicherheit hat man nie. Umso glücklicher war ich, nur wenige Tage vor der Abfahrt, (nur eine handvoll Stunden vor dem Entdecken von Antons Herpes, einer neuer Sorgenquelle, die uns in ungewisse Wochen geschleudert hatte,) als ich mit Henry im Arm im Schlafzimmer stand, ihn sanft hielt, an mich geschmiegt, ihn mit Küssen übersäete und mit liebevollen Worten überschüttete. In diesem Augenblick war einfach nur unfassbar erleichtert und glücklich, dass dieser kleine Mensch zu uns gefunden hat, dass wir alles zusammen geschafft haben, er und ich, diese Schwangerschaft, diese Geburt, es mir gut ging, Henry gut ging und alles so wunderbar geklappt hatte. Ich war einfach nur in diesem Moment, getränkt von Liebe und unendlicher Dankbarkeit, dass dieses Glück hier einziehen konnte.

Ich suchte so lang den Faden, an dem ich anknüpfen könnte, einen Gedanken, an dem ich festhalten und beginnen konnte… ich hatte Sorge zu viel zu vergessen, wenn ich es nicht bald aufschreibe oder keinen Zugang zu meinen Gefühlen zu finden und nicht zu schaffen, meine Empfindungen genau so festzuhalten, wie ich sie erlebt hatte, dabei war nicht einmal bis jetzt groß Zeit mal zu Atem zu kommen oder den eigenen Gedanken zu lauschen, es passiert so viel in so kurzer Zeit… sechs Wochen Henry seit heute…

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