Lockdown № 2- Tag 1

Schon im Sommerurlaub an der Ostsee und kurz bevor wir zurück kamen genau zum Schulstart, sprachen wir viel darüber, dass wir trotz den (damaligen) Zahlen wollen würden, dass die Kinder zurück in Schule und Kindergarten gehen. Und dort so viel Zeit mitnehmen wie möglich, für die kommende Durststrecke. Denn das ein neuer Lockdown kommen würde, daran hatten der Mann und ich keinen Zweifel. Gemeinsam hatten wir viele Monate und Krisen überstanden. All unsere Kinder waren wochen- und monatelang mit einem Attest zu Hause geblieben, anders als ihre Klassenkameraden später im Wechselunterricht, waren unsere Kinder weiter am Daheim- Lernen gewesen.

Aber alles sollte anders kommen, als wir gedacht hatten. Alles woran man sich Monate zuvor orientiert hatte, bröselte langsam, unaufhaltsam und stetig weg. Die Zahlen stiegen und bis auf einen mahnenden Zeigefinger, passierte erst einmal nichts. Kein Wechselunterricht. Keinen Distanzunterricht. 

Es gab, wohin man auch sah, meist so einen Drei- Stufen- Plan ähnlich einer Ampel, daran sollten wir Eltern uns orientieren können. Zum Beispiel bei unserem Kindergarten, der wie vermutlich bayern- oder gar bundesweit alle Einrichtungen „von oben“ Anweisungen erhielt, die weiter an uns Eltern gegeben wurden. Unter anderem brachten und holten wir nach den Sommerferien Anfang/Mitte September die Kinder mit Maske. Es war ein gut durchdachtes Konzept, das Sicherheit vermittelte. Es ging am Eingang rein, zum Kinder einsammeln und zum Ausgang zügig wieder hinaus. Seltsam war das. Aber auch schön wieder so ein bißchen Alltag zu erleben. Die Kinder durften ihre Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen noch ohne Masken begegnen, aber zum Schutz von Eltern und Personal trugen beide Parteien, sobald Bring- und Holzeit war, eine Mund- Nasen- Bedeckung. Alles sollte etwas flotter gehen als zuvor, kaum Tür- und Angelgespräche, obwohl ein Schnack und ein freundliches Lächeln eigentlich immer noch drinnen war, alles wurde optimiert und die Gespräche zwischen den Eltern, wurden so nach draussen verlegt. Alles war ein bißchen anders als zuvor, aber alle waren unfassbar bemüht. Man sollte klingeln, um hinein gelassen zu werden. Morgens musste man Anstehen bis man hinein durfte, Grosseltern und andere Familienangehörige oder Freunde, die nicht die Eltern waren, durften das Gebäude nicht mehr betreten. Die Zahlen stiegen. Der Stufenplan sah vor, bei Gelb, die Gruppen würden nun getrennt, die Kinder durften sich im Haus nicht mehr frei bewegen, alles spielte sich im jeweiligen Gruppenraum ab, Geschwisterkinder sollten zusammen in eine Gruppe, kein Sport, kein Singen und Eltern dürfen das Gebäude nicht mehr betreten mit Ausnahme der Eltern von neuen Kindern, aber dann passierte etwas Unerwartetes. Etwas verschob sich, und zwar nicht nur die Akzeptanz der steigenden Infektionen, des neuen eingeschränkten mitunter skurillen Alltags, an den sich alle langsam gewöhnten, sondern auch die Werte für die Ampelfarben und die Sicherheitsmaßnahmen. Und all das im krassen Gegensatz zu den Empfehlungen des RKI oder anderen Experten. Auf einmal war „nur Notbetreuung“ nicht mehr vorgesehen. In uns beiden Eltern arbeitete es und somit taten wir, was wir für Richtig hielten und uns leisten konnten, weil ich zu Hause bin: wir behielten die Kindergartenkinder zur Sicherheit daheim. All das sollte eine Übergangslösung sein. Ich genoss die Zeit mit den Kindern und gab mir Mühe unsere Tag sinnvoll und schön zu füllen. Wir warteten nur darauf, dass endlich etwas passieren würde, andere Kinder auch daheim bleiben würden. Aber das geschah nicht. Die Zahlen stiegen weiter und weiter. Und es gab einen Soft- Lockdown. Somit fuhren wir nichts ins Hotel in den Herbstferien, denn alle Hotels und Restaurants mussten schliessen, es schloss ziemlich viel, die Kinder durften keinen Sport mehr treiben, man durfte weniger Leute sehen, aber Kindertageseinrichtungen und Schulen blieben weiterhin geöffnet. Es gab kein Konzept für Wechsel- oder Distanzunterricht, also liessen wir die schulpflichtigen Kinder täglich mit immer schlechterem Bauchgefühl in die Schule und beobachteten weiter das Weltgeschehen- nichts „geschah“ oder besser wurde entschieden. Es wurde diskutiert, demonstriert, gestritten. Bis letzte Woche. Auf einmal ging alles ganz schnell. Und bis dahin waren die Nerven immer dünner geworden und man wartete angespannt auf Entscheidungen, die nicht oder nur Tröpfchenweise kamen. Erst hiess es, ein paar Tage vor den Ferien sei Schulschluss, der letzte Schultag der 18. Dann sollten die Achtklässler und alles drüber in den Wechselunterricht, aber nicht die Abschlussklassen, was witziger Weise dazu führte, dass nur eins von unseren fünf Schulkindern, die dieselbe Schule besuchen zu Hause war- doch dann sollten die Achtklässler (und alles darüber hinaus bis auf die Abschlussklassen) lieber ganz zu Hause bleiben, deswegen war in der Gleitklasse 7/8 ein Kind von uns erst eine Woche drei Mal in der Schule und zwei Mal daheim, wartete auf den Wechselunterricht Woche Zwei und auf einmal hieß es eben, die Achter bleiben ganz daheim, dafür können die Siebener statt den geplanten Wechselunterricht in der kommenden Woche doch zurück in den Präsenzunterricht.

Ich weiss nicht, ob man eine Vorstellung davon hat, was das mit Eltern und Kindern macht, dieses Hin und Her, das Warten und die Unsicherheit, das Planen unmöglich macht und nun dann doch endlich sollten die Schulen schliessen. Eher als geplant, aber eben erst Mittwoch, nicht etwa Montag, denn dafür hatte man sich schon am Freitag, statt am Sonntag zusammen setzen müssen. Aber die Zahl der Infektionen und der Toten war weiter gestiegen, obwohl schon wieder bis dahin soviel verboten worden war. Und nun hiess es am Mittwoch also Schule zu Ende. Zu Ende? Ich recherchierte, ja also, nur alle Klassen bis auf die Abschlussjahrgänge. Die hätten noch Distanzunterricht, aber die anderen Klassenstufen eben Ferien. Endlich Gewissheit, kein Bangen mehr, kein tägliches Warten, Nachrichten lesen, endlich Planen können. Sich auf den neuen Alltag einstellen bis zu den Ferien. Dann hiess es aber, es gäbe doch keinen Distanzunterricht für alle, dann wieder doch, aber für alle. Und nachdem unerfreulicherweise unsere Kinder in dieser Woche Montag und Dienstag krank zu Hause waren, ging an mir dieser letzte Teil schlichtweg vorbei. Denn es gab dann doch eben diese letzte Änderung, über die wir nicht informiert worden waren, weil man vermutlich gar nicht so schnell Emails weiter leiten kann, so schnell wie sich immerzu alles änderte, man sollte sich immerzu selbst informieren auf der Seite des Kultusministeriums. 

Die Botschaft war ganz klar: alle Eltern sollten mal ganz entspannt bleiben, nicht hysterisch werden, Sicherheit vermitteln, klare Strukturen ermöglichen, aber am Besten im Homeoffice total flexibel bleiben, man müsse sich eben darauf einstellen und halt täglich gucken, auf was genau. Es war bis hier hin einfach nur zermürbend. 

Und so war es nicht sonderlich verwunderlich, dass es mir heute Morgen zu viel wurde, als mir eine Mama von einem Kinderfreund lieb steckte: „Ja, wo ist denn euer Kind!?“ Da sei grad ein Test online am Laufen. Ich schickte ihr Screenshots von meinem letzten Stand. Das wisse sie, sagte sie, sie verstehe es auch nicht, aber der Test liefe bereits, also Rechner hoch gefahren. Doch Schule. Und dann bin ich unten doch mal kurz eskaliert, denn ich bin diesen Mist so müde, diese Transparenzlosigkeit, diese undurchdachten Hauruck- Aktionen. Ich bin müde, dass wir Eltern wieder alles wuppen sollen, (ja, die Lehrkräfte auch), aber ich schreib ja über unseren Alltag und ich bin (leider) keine Lehrkraft, also schreib ich über mich und uns. Ich kann nicht mehr. Und ich darf nicht nicht mehr können, ich muss weiter machen, weil Weihnachten vor der Türe steht, weil es dem Virus, dem Universum scheissegal ist, ob ich mich daran erinnere, dass ich meine Mama Ende Dezember letztes Jahr das letzte Mal gesprochen hatte, alles wie in einem Film abläuft und jede Faser meines Körpers sich an das Geschehen vor einem Jahr erinnert… ich sie so vermisse und das so nie erwartet hätte, ich täglich das Gefühl habe, niemanden gerecht zu werden und sei es mir selbst, was natürlich nicht stimmt, weil wir alle Übermenschliches leisten und täglich unser Bestes geben und dennoch bleibt da oft am Ende des Tages, das Gefühl, das irgendetwas oder irgendjemand auf der Strecke bleibt. Und es gibt sie die guten Tage, reichlich. Aber dieser erste Tag des Lockdowns №2, der fing mit seinen Irrungen und Wirrungen, einfach schon mal nicht gut an.

Und der Nächste, der mir kommt mit „Wir müssten ja nur alle mal gechillt auf dem Sofa sitzen, um die Pandemie zu überstehen“, dem punch ich ins Gesicht. Oder spring ihn an, mit dem nackten Gesäss voran. Ich kenne niemanden, der tagein, tagaus auf dem scheiss Sofa sitzt und Pralinen futtert, während Prime oder Neflix gestreamt wird.

Niemanden.

Wir, der Holde und ich sitzen hier neben Kindern, die checken, dass da draussen was passiert. Neben einer Generation, die zum Teil arbeitslos geworden ist, weil ihre Ausbildung gestrichen wurde, sollen sie ihre eigene Zukunft planen. Wir Eltern sollen Sicherheit vermitteln, stark sein, Schultern zart zum Anlehnen und wegweisende, beruhigende, Kraft gebende Worte parat haben, während so viel passiert. Während wir arbeiten. Man verlangt weiter Kinder zu bilden, als wäre nichts, die sich nicht nur Sorgen um Verwandte machen, sondern um ihre Zukunft. Kinder und Jugendliche, die doch mitkriegen was passiert, wie sich alles verändert, die Welt die sie kannte, sich verändert. Ob nun nur Filmstarts immer weiter nach hinten verschoben werden, Urlaube gestrichen, Familienangehörige und Freunde nicht gesehen werden können oder Eltern tatsächlich arbeitslos wurden und werden oder in Kurzarbeit gehen, Menschen erkranken, kaum etwas planbar ist, wird verlangt Pratikumsplätze zu suchen, weil man einfach nur stur und starr macht, was im Lehrplan steht, weil keine Alternativen erlaubt sind oder vorgegeben werden. Sie sitzen in der Schule zum Teil in Räumen, die kalt sind, (während in Einrichtungen mit nicht schulpflichtigen Kindern, alle weiter machen wie bisher zumindest was das Lüften angeht), was so Mancher im Netz noch ganz genau kennt aus Anno WeißichtotalBescheid und glaubt, darüber urteilen zu können, aber das sind die Ersten, die schreien, wenn einer im Regio nur mal kurz das Fenster aufmacht. Und nochmal, die Kinder sitzen da mental gestresst, während einer verfluchten Pandemie, nicht zu einer fröhlichen Teestunde am Sonntag Nachmittag, bei der es mal etwas frischer wird. Die flitzen auch nicht durch eine Astrid Lindgren Kulisse im Schnee herum. Sie sollen in der Schule auseinander sitzen beim Essen, aber im Unterricht sitzen sie nebeneinander, in der Pause immer darauf bedacht sich nicht zu nahe zu kommen oder sie hören schon gar nicht mehr darauf, weil sie das Gefühl haben, dass dass das eh alles sinnlos ist. Die Klassen sind getrennt in Bereichen des Pausenhofs… aber alle gehen zeitgleich zur Schule, fahren gemeinsam im Schulbus und verbringen Zeit zusammen in geschlossenen Räumen. Es ist verdammt noch mal nicht alles wie immer, die Lehrkräfte wussten nicht einmal, ob noch Abstand zu halten ist, Tische wieder verschoben werden müssen, weil es weder einheitliche Informationen gab, noch Vorgaben darüber, wie man dieses und jenes umsetzen soll, aber man verlangt von allen, dass sie so tun als ob. Und weil die Menschheit ja schon viel Schlimmeres erlebt hat, solle man sich mal nicht so anstellen und bitte mal sachlich bleiben. ABER wir machen hier kein Heimlernen aus Spass, wir machen hier kein Homeoffice neben dem lustigen Ferienalltag, all das passiert während einer Pandemie! Da draussen sterben Menschen und während sie das tun und zu Nummern degradiert werden, kann ein Arzt vielleicht gerade nicht arbeiten, weil er in Quarantäne ist. Wenn mein Kind jetzt krank wird, muss ich Sorge haben, ob es noch gut versorgt werden kann. Wir gehen einander aus dem Weg, wir denken so viel an uns selbst, damit wir nicht zerspringen und uns zusammen halten und vergessen dabei die anderen, bzw haben gar keine Kraft mehr für ein Geschehen ausserhalb der eigenen vier Wände. Und auch deshalb, hab ich mir in diesem Jahr im Advent Menschen heraus gepickt, denen ich bereits ein kleines Paket geschickt habe. Nur ein kleiner Tropfen auf einen heissen Stein, eigentlich hat niemand etwas davon. Aber es soll ein Schritt zurück ins Miteinander, zurück zum Aufeinander achten und Zusammenhalten sein… 

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