Lockdown №2, Tag 23

Irgendwo bei Twitter las ich das Wort „Pandemüde“ und ich finde es fast passend. Fast, weil es für unsere Situation nicht ganz passt. Ich bin müde und ausgelaugt, laufe auf Stromsparmodus oder schon Notstrom, anders kann ich es kaum beschreiben. 

Ich hänge durch und es fällt mir schwer mich zu muttivieren, ob es an den Nachwehen des Dezembers liegt, wo die Abende lang und die Nächte kurz waren? Am Weltgeschehen? Der Art und Weise wie man da draussen oder im Netz miteinander umgeht? Der Ton ist so unfassbar rau geworden. Daran dass ich nur noch weiss, wie meine Freundinnen aussehen, die die ich noch habe. Dass meine Gelenke wieder mehr schmerzen und nach der Geburt noch nicht die volle Kraft wieder zurück gekehrt ist. Daran dass wir hier kaum Zeit hatten, die Verluste unserer Eltern irgendwie zu verarbeiten? Weil dann immer noch mehr kam? Hier noch ein Schippchen und da noch eine Nachricht. Wir so viel gestemmt haben im letzten Jahr, das eine oder andere ohne das jemand davon wusste, hier bleibe ich kryptisch. Mir fehlt nicht unbedingt die Anerkennung, sondern auch die Entlastung. 

Auch Sorglosigkeit und wenn es die nicht gibt, dann doch wenigstens ein Stück Planbarkeit und die liess doch lange auf sich warten!

Ich bin keine Sprinterin! Ich war nie sportlich, aber wenn ich eines selbst im Sport gut konnte, dann ausdauernd sein. Ich beiss mich fest, mit Ziel vor Augen, lass ich nicht mehr los und mich nicht abschütteln. Ich bin die geborene Marathonläuferin. Ich teile mir meine Kräfte ein, laufe langsam aber unermüdlich immer weiter. Ich kann das. Zudem hab ich warten gelernt. Und Dinge aussitzen und wie ich aussitzen kann. 

Nun geht diese Pandemie für unsere Familie aber bald schon elf Monate. „Für uns“ schreibe ich bewusst, weil ich die Wochen, die wir unsere Kinder in Schule und Kindergarten hatten, dank Attest an den Fingern abzählen kann. Bei den Kindergartenkindern komme ich gut und gerne auf einen Monat. Bei den Schulkindern sind es etwa dreizehn Wochen minus die Tage, die sie unerklärlicher Weise Bauch- oder Kopfweh hatten… was ich mal einfach angenommen hatte als „Ich kann nicht mehr! Ich brauch ne Pause!“, die Große war zu den Prüfungen in der Schule, den Rest hatte auch sie bis zu den Sommerferien Distanzunterricht. Wir laufen also aus Überzeugung für uns als Familie das Richtige zu tun, schon eine ganze Weile Marathon und es gibt da so langsam Krämpfe, die Sonne knallt von oben, man hat Durst und Kopfweh. Der Zeitpunkt beim Marathon, bei dem man aufgeben will und laut schreien „Ich kann nicht mehr!“ Aber Aufgeben ist keine Option. Nicht wirklich. Man müsse sich „Zusammenreissen!“, das lese ich grad oft, „Optimistisch sein!“ oder „Das Positive sehen!“ Ich mache seit Monaten nichts Anderes! Und ich bins genau jetzt müde! Wenige Tage vor unserem Schulbeginn mit „Fernunterricht“ und während der Mann schon wieder noch Heimarbeitet. Und wenn man es jetzt nicht laut sagen darf, wann dann? Erst wenn man schlimm krank ist? Darf man dann? Klar hilft jammern nicht, aber ich finde es toxisch dazu aufzurufen, man müsse nur wollen, dann könnte man schon nochmal sprinten, noch ein paar Meter weiter laufen. Für was? Um dann weiter hinten zusammen zu brechen? Oder was genau?! 

Es ist schwer gerade, weiterhin optistisch zu bleiben. Auf der einen Seite bin ich unfassbar erleichtert, meine Familie in Sicherheit zu wissen. Zu hoffen. Auch wenn ich keine Ahnung habe, was noch alles auf uns zu kommt und das hat nichts mit Pessimismus zu tun, sondern mit Realitätsnähe. 

Es war nie unser Weg, die Schulkinder so lange zu schicken, trotz der hohen Zahlen und wenn ich von einer lieben Bekannten lese, sie hätte aus dem Kindergarten Covid 19 im Haus gehab und alle hätten sich angesteckt, wird mir anders. Es geht nicht nur dramatisch um Leben und Tod, es geht auch um Liebe, Fürsorge und Mathematik. Wir sind Zwei, die Kinder zu Neunt. Immerhin las ich vielerorts wir sind nicht allein, immer öfter macht man sich doch auch Gedanken, „Was wenn… was wenn ich mein/e Kind/er nicht mehr (richtig/gut) versorgen kann…“ 

Ich wollte immer „zurück“, den Kindern ihren Alltag wieder bieten. Zurück zur Normalität, aber diese „Normalität“ ist für einen grossen Teil der Familien seit bald einem Jahr eine völlig Andere geworden.