Nur zehn Minuten

Vorhin unterwegs, wieder mal in so einem dazwischen gequetschtem Davor und Danach (nach dem Brot, nach dem Stillen, nach der Wäsche, vor dem Abendessen, vor dem Stillen, bevor jemand zu müde ist), meckerte ich noch eben auf Twitter, ein Stück weit getrieben und genervt darüber, dass wirklich überall Menschen sind, nicht nur zu Hause, sondern auch draussen sind so viele wimmelnde Menschen, die einem entgegekommen oder vor einem laufen oder die in Gruppen zusammen stehen, denen man ausweichen muss, ständig ist da wer und man, ich wollte einfach nur Alleinsein. Und wenn man einfach mal nur ein paar Minuten für sich sein möchte, um mal den Kopf frei zu kriegen, dann fühlt man sich draussen schnell noch eingesperrter, als drinnen. Dann aber hielt ich inne. Es waren nicht nur die Menschen, die mich unruhig machten. Ich flitze seit einer Woche durch die Gegend. Sonntag Abend kam ich Heim und sprang ins Wasser zurück und seitdem schwimme ich, mal langsamer und mal schneller auf hoher See. Die erste Woche Schule ohne Distanz für Drei von Fünf ist geschafft, einer davon noch im Wechselunterricht. Kein echte Pause, mal Luft holen können, kein sacken lassen oder ankommen. Darüberhinaus hab ich mich in dieser Woche andauernd mit dem Mann, wen wundert es, nicht nur über die wieder streikende Spülmaschine in die Wolle gekriegt. Irgenwo muss sie hin die Anspannung und so fliegen sie die Worte, schneller, als einem lieb ist aus dem Mund. Zum Teil gegen alles, was sie bewegt. Und wenn ich schon unterwegs ständig nur noch aufs Handy schaue, einkommende Nachrichten lese, verarbeitete, Kindern antworte, twittere, in Facebookgruppen Fragen beantworte und nicht einfach mal loslassen und auf die Stoptaste drücken kann, wann dann?! Ich steckte das Handy ein und visierte eine Bank weiter weg an. Dann heulte ich erstmal ne Runde die Anspannung weg. Ging meine momentan größten Sorgen an, heulte wieder. Aber fasste für mich eine Entscheidung. Großfamilien haben grad (auch) nicht wirklich eine Lobby. All die Lockerungen, die sind für Kleinfamilien oder wen auch immer gemacht. All die „gucken wir mal was psssiert“ kann unsere ganze Familie ins Chaos stürzen und wir balancieren sowieso schon seit einem Jahr an der Kante entlang. Dennoch sehe ich keine Alternativen. Uns geht es gut. Das darf so bleiben. Auch wenn alles andere nicht leicht ist. Ich habe grosse Angst, dass meine Kinder noch jemanden verlieren oder sich sorgen müssen. Verdammt, ich mag niemanden mehr verlieren. Unser Kreis ist, man mag es kaum glauben, sehr klein und überschaubar geworden. Ich mach mir Sorgen um uns Eltern, das wir ausfallen und um die Oma und den Opa, die wir noch haben, sowie die Tanten. Wenn jede Familie ein Komposition aus Zahnrädchen ist, dann ist unsere Komposition sehr gross, aber dafür viel, viel störanfälliger, es sind immer die selben Sorgen, Gedanken… und dennoch brauchen die Kinder ihre Kindheit, auch in Form von Abschied aus dem Kindergarten, von Freunden bevor sie auseinander gehen, der Grad ist sehr schmal, die Verantwortung wiegt schwer. 

Kaum setzte ich mich auf die Bank, zückte ich wieder mein Handy hervor… nur kurz… dann stellte ich einen 10Minuten Timer und legte es weg. Da sass ich an der Amper auf ner Bank. Und liess endlich los. Ich dachte daran, dass ich „früher“, als ich die Kinder aus dem Kindergarten abholte, immer mein Handy wegsteckte, ganz bewusst, den Kopf kriegt man so auch nicht immer frei, aber es war schön einfach mal ganz bewusst alles um mich herum wahrzunehmen, aufrecht zu gehen, keine Nachrichten an jemanden, nichts organisieren, nichts beantworten. Das fehlt. Sogar der Weg zum Kindergarten fehlt. 

Man kann Paulo Coelho hassen oder mögen, aber eine Geschichte ist mir sehr in Erinnerung geblieben. Darin heisst es „Wir sind so schnell gegangen, dass wir nicht mehr wissen, was wir tun. Darum warten wir, bis unsere Seele uns eingeholt hat.“ Das ist ganz sicher nicht immer alltagspraktibel. Aber heute mussten es diese Bank und diese zehn Minuten sein. 

Kommentare deaktiviert für Nur zehn Minuten