Zwei Jahre ohne dich


Vor zwei Jahren bekam ich neben sehr vielen  Sorgen, die eh schon da waren Nachrichten von meiner Schwester, die alles auf den Kopf stellten. „Die Metastasen sind auch im Gehirn“, stand unter anderem darin, aus dem Plan am kommenden Wochenende nach Berlin zu fahren, wurde ein Durcheinander aus Nachrichten und Gefühlen. Es war Mittwoch und unsere Mutter hatte innerhalb kürzester Zeit, seit dem vergangenen Wochenende so abgebaut, ich hatte Angst. Und ich kannte das schon, meine beiden Omas waren an Krebs gestorben, nur waren sie sehr viel älter gewesen als unsere Mutter jetzt. Aus Hoffnung, mit Chemo und Bestrahlung könnten wir uns noch ein paar Jahre ergaunern, wurde Angst vor ihrem Tod, Angst nicht rechtzeitig da zu sein, Angst irgendetwas falsch zu entscheiden. Aus ein paar Nachrichten am Vormittag, wurden abgeholte Kinder aus dem Kindergarten, aus der Schule eher geholte Kinder, ein Mittagessen das keines mehr war, ein Mann der aus der Arbeit kam, Tränen und drei verschiedene Koffer, eine Tasche für zwei Kleine, die bei Oma bleiben sollten, eine von mir und zwei Nachteulen und eine für den Mann, der am kommenden Morgen nachkommen würde mit den restlichen vier Kindern. Ich bin einfach losgepoltert. Irgendwie haben wir es geschafft von unterwegs mehrere Hotelzimmer zu buchen. Ersteinmal ein Bett für uns Drei, mich und zwei Große. Es ging mit dem Zug von München nach Berlin und direkt ins Krankenhaus mit dem Taxi. Kurz vor Mitternacht kamen wir dort an. Etwas mehr als zwölf Stunden nach der ersten Nachricht meiner Schwester. Dort traf ich auf meine Mutter, die mich nicht mehr wirklich erkannte, meinen Vater und meine Schwester, die ein paar Minuten später heim fuhren, um sich auszuruhen. Ich war total überfordert. Meine Mutter hatte Durst und ich wollte nicht, dass sie sich verschluckt, sie war nicht mehr sie selbst. Im Nacken sass mir die Zeit, die Kinder im Wartebereich, die ich noch ins Hotel bringen wollte. Also konnte auch nicht lange bleiben und musste gehen, wieder ins Taxi, zu irgendeinem Hotel. In irgendein Bett, wir zu Dritt. An Schlaf war kaum zu denken und morgens um 6Uhr machte ich mich fertig und schlich mich raus, wie zuvor besprochen und fuhr ins Krankenhaus. Dort hörte ich schon von Weitem meine Mama. Ich war dann eine Weile ganz allein mit ihr, wertvolle Zeit, auch wenn sie noch mehr abgebaut hatte als in der Nacht zuvor. Schon kurz nach 10Uhr musste ich zurück zum Hotel, die Kinder holen, auschecken und mit dem Gepäck zum Hauptbahnhof, um Nils und die anderen Kinder zu begrüssen. Danach ging es wieder direkt von dort mit denen, die noch nicht im Krankenhaus gewesen waren zurück in Krankenhaus, damit sie die Oma noch mal sehen konnten. Nils kam dann nach dem Einchecken ins neue Hotel nach. Blieb nicht lang, ich musste loslassen, ihm alles überlassen, ich konnte hier jetzt nicht weg, ich blieb. Mit meinem Vater und meiner Schwester. 

Ich glaube es macht was mit einem, wenn man jemanden beim Sterben begleitet, ihm dabei zu sieht und vorallem, wenn es ein Elternteil ist. Geliebte Menschen tot sehen, das ist anders als die Nachricht zu erhalten jemand wäre gestorben. Das ist weiter weg und schmerzt dennoch sehr. Aber das Sehen und Begreifen verändert dich für immer. Wir waren zu Dritt bei meiner Mama bis es sehr spät geworden war. Sie hatte unfassbar starke Schmerzen. Und bekam starke Medikamente. Erst als meine Schwester und mein Vater schweren Herzens und unter Tränen das Krankenzimmer verlassen hatten, hörte meine Mama in meinem Beisein auf zu Atmen. Es war schlimm. Weil ich beide hektisch zurück rief, weil sie endlich erlöst war und der Schmerz unerträglich war. Und danach konnte ich nicht loslassen. Und wollte noch ewig bei ihr sitzen, ich war doch erst seit 24Stunden hier?! Wie konnte das alles sein? Ich fuhr mit meinem Vater in mein leeres Elternhaus. Lag dort eine Weile neben ihm, geschlafen hat keiner von uns beiden und fuhr morgens wie einem Kind versprochen quer durch die leere Stadt, betäubt und unter Schock ins Hotel zu meinen Kindern.

Danach sass ich in einem fremden Hotelzimmer, alles daran war falsch, ich entzündete dort eine Kerze, ich versuchte dort Worte zu finden, wir versuchten mit den Kindern aus diesem Hotel Zimmer raus zu kommen, etwas zu unternehmen. Es war absolut surreal. Ich war übermüdet. Wir waren fremd. Wir besuchten einen Tag später noch einmal meinen Vater mit allen Kindern, die dabei waren und dann ging es mit dem Zug sonntags wieder zurück nach Hause zu unseren zwei anderen Kindern, die wir vermissten. Unterwegs fiel uns auf, das unser Hochzeitstag ist, wir hatten es beide vergessen. Und auch keinen Grund zu feiern. Das war einfach surreal. Das konnte unmöglich die Wirklichkeit sein, ein Albtraum war das. 

In den vergangenen zwei Jahren haben wir sehr viel Zeit damit verbracht uns auf das Gute zu konzentrieren, wie dass es da noch kein Corona bei uns gab, das wir bei ihr sein konnten, sie begleiten, sie beim Sterben nicht allein war, wir uns verabschieden konnten, wenige Wochen später wirklich in letzter Minute die Beeerdigung zusammen durchstehen konnten. Leider war ich allein ohne Nils und Kinder dort, nur mit meinem Baby im Bauch, zusammen mit meiner Schwiegermutter und schon auf der Rückfahrt, nach Mitternacht zu Hause, startete der allererste Lockdown und wir sahen für drei Wochen daheim niemanden, auch nicht die Schwiegermama. Es war eine so sehr schwierige Zeit. Kein Trost, keine Zeit zu trauern. Es war absurd und albtraumhaft, dass das alles passierte. Abschiednehmen war es für mich nur nicht wie man sich das vorstellt, wir konnten nicht mehr miteinander sprechen, sie bemerke mich ja nicht mal wirklich. Auch wenn ich wusste, dass sie sich aufs Wochenende gefreut hatte, weil wir kommen wollten. Wir konnten auch nicht wirklich die letzten Jahre geniessen, erst waren zu viele OPs nötig gewesen wegen der harten körperlich schweren Arbeit, Schmerzen, dann der Brustkrebs, nochmal OPs und Schmerzen. Meine Eltern waren so selten hier bei uns und zu ihnen fahren konnten wir auch nicht, weil meiner Ma das zuviel gewesen wäre. Jemand hat in den vergangenen Jahren zu mir gesagt, man müsse eben die Zeit geniessen, die man hat, aber das ging nicht. Zuletzt waren meine Eltern bei uns nach was? Einem Jahr Pause? Ich weiss es nicht mehr, einmal mussten wir sogar Absagen, weil die Kinder Magendarm hatten, aber es waren meist nicht die 600km Schuld, sondern Arbeit und vor allem Schmerzen, eine schlechte Allgemeinverfassung, wer hätte etwas dran ändern können? Niemand. Aber es tut unfassbar weh. Nach wie vor fühl ich mich beraubt um die gemeinsame Zeit: sechs Tage in zwei Jahren reichen einfach nicht. Ein Abschied und Begleiten reichen nicht. Aber es muss, weil nicht durch Zauberei einfach mehr kommen wird, es muss reichen was da ist und es tut einfach noch immer so weh. Texte von zwei Jahren tun weh, oft tut der Blick in den Spiegel weh, wenn ich sie sehe. Ihre Augen, die Falten, die Mimik. Manchmal höre ich sie, wenn ich etwas sage, all das gelingt nach zwei Jahren nicht ohne Traurigkeit. Wie könnte es? Meine Mutter ist mit 55 Jahren gestorben. Viel zu früh. Viel zu schnell. Ich selbst hatte acht Tage von Erfahren sie hat wieder Krebs zu ihrem Tod, da war einfach keine Zeit. Und dann kam Corona. Und zuvor, nur wenige Wochen davor, war erst mein Schwiegervater erst vermisst und dann tot aufgefunden worden, es war einfach so viel in so kurzer Zeit. Und es war niemand da, mit dem man hätte sprechen können, der Trost hätte spenden können, durch die Pandemie waren wir auf uns gestellt, sind es teilweise immer noch zum Grossteil, und haben immer weiter gemacht… manchmal fordert das seinen Tribut, manchmal braucht es Texte wie diesen.

Zwei Jahre ohne dich. Es ist kaum auszuhalten. Es gibt so viele Momente, da zerspringt mir noch immer mein Herz, weil ich dein Gesicht sehen, deine Stimme hören, deine Worte lesen, dir etwas erzählen oder zeigen möchte, deine Wärme spüren… und du bist nicht mehr da- so lange schon, so kurz erst. Du bist nicht mehr da und an manchen Tagen, Tagen wie diesen ist das mit Anlauf, schlaflosen Nächten und das Vermissen schier unerträglich. 

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