20 Jahr, graues Haar…


Seltsam ausgerechnet in diesem Jahr schon hier zu sein, hier begann ja irgendwie alles und in Berlin. Du fuhrst aus dem Urlaub mit deinen Eltern zu mir, nach Berlin. Dort sahen wir uns das allererste Mal, ich war noch 18, du schon 19. Wir haben den ganzen ersten Abend nur geredet, und es gab erstaunlich viele Parallelen, Dinge die uns verbunden haben… und wir sind irgendwann nachts eingeschlafen, der erste Kuss fand erst irgendwann in der Nacht beim Aufwachen statt. 😅 (Das wolltet ihr wissen! Aber ich war echt nicht ganz so sicher, ob dieser Junge genauso empfand wie ich und ich bin für meinen Mut bei Menschen, nicht wirklich bekannt.)

Ich hab dich vom Bahnhof Zoo abgeholt und wir sind über den Alex in meine Wohnung gefahren, ich hab da allein gelebt und einen Fremden mitgenommen. Spitzenidee. Deswegen fuhr ich jetzt auch mit nach Erfurt, Menschen aus dem Internet treffen ist schliesslich nicht so vertrauenserweckend oder? 😅 Aber so fremd waren wir uns auch nicht, in der Nacht zuvor hatten wir telefoniert, das erste Mal und davor kannten wir uns durch das Internet, Foren und Gästebücher schon eine ganze Weile.

Nach ein paar Tagen bei mir, ging schon dein Flug zurück, den wir prompt verpassten, du hast in lässig umgebucht, niemals im Leben hätte ich das so souverän hinbekommen und das ist wohl bis heute so geblieben, ich krieg sowas nur hin wenn ich wirklich muss und du bist der charmante Weltenbummler, der vielleicht nicht ansatzweise soviel herum kommt, wie er es sich damals erträumt hatte, aber immernoch mit (fast) jedem kann, während ich Menschen immernoch eher ausweiche 😅

Kaum warst du zu Hause angekommen, wurde das Vermissen noch grösser, ich hatte eine meiner Ideen, ich kratzte in Absprache mit dir also mein letztes Geld zusammen, lieh mir später was von dir samt Schuldschein und Unterschrift, um zu dir zu kommen. Mein Geld hat grad so gereicht für den Nachtzug und so war ich dann am nächsten Morgen in München, das erste Mal. Und dann bei dir zu Hause, bzw deinen Eltern, die aber ja noch hier oben am Meer waren. Wir verbrachten mit deinen Freunden ein paar Tage bis meine Ferien zu Ende waren und ich in meine kleine Wohnung zurück musste, wo die neue Schule auf mich wartete. Mit Schule war dann nicht mehr viel, in meinem Kopf Achterbahnfahrt. Einen Monat nach dem Kennenlernen hast du mir einen Antrag gemacht, ich suchte mir einen Nachmieter in Berlin und gab meine Wohnung auf, fand einen Ausbildungsplatz in München, zusammen fanden wir eine Wohnung, ich feierte meinen 19. Geburtstag noch in Berlin und dann war ich weg, bei dir, du noch mitten in deiner Ausbildung, im letzten Jahr. Am 1.11. nach dem Geburtstag deiner Ma zogen wir in unsere erste gemeinsame Wohnung. Vernunftsentscheidung, auch wenn es nicht danach klingt. Eineinhalb Jahre später nach unserem ersten Treffen in Berlin, Ende Februar 2004 haben wir wirklich geheiratet, zwei Mal. Wir zogen in eine grössere Wohnung im Sommer, in der wir viel machen mussten und im November kam dann schon Zoe, unser erstes Wunschkind. Ich war grad 21 Jahre alt geworden. Jetzt sind 20Jahre vergangen seit unserem ersten Treffen, wir haben neun Kinder, die Große wird Ende des Jahres schon 18 Jahre alt, der Kleinste wurde gerade 2. 

Was sich so einfach liest, war so schwer, und kostete allen Mut. Es war nicht leicht für uns und unsere Beziehung, gerade das erste Jahr. Ich hatte alles aufgegeben. Alles zurück gelassen. Uns wurden so viele Steine in den Weg gelegt, es gab so viel Streit, auch mit unseren Eltern. Ich habe hier die in Berlin begonnere Therapie weiter gemacht, und gegen die Depression gekämpft. Wir haben Schlachten geschlagen, du wurdest zwei Mal auf dem Fahrrad von Autos angefahren, ich hatte nach Zoes Geburt eine halbseitige Gesichtslähmung, in der zweiten Schwangerschaft mit Noah gabs Komplikationen, es war nicht klar ob Noah gesund ist, es wurde früh eingeleitet, Noah war dann auch für ein paar Tage auf Station, ohne mich. Das war hart, ich war 22Jahre und es zog mir den Boden unter den Füssen weg. Bei Tom unserem dritten Kind hatte ich ab der 16./17. Woche an Wehen, war bei der Feindiagnostik, auch hier gab es Probleme. Toms Magen war zu klein, und dazu gab es noch mehr, das mir allein an den Kopf geworfen wurde, wir sollten die Geburt abwarten. In Bens Schwangerschaft hatte ich gleich zu Beginn Blutungen, aber er kam dann auch gesund und munter zu uns, bevor unser erstes Kind fünf Jahre alt werden konnte. Dann folgten drei Fehlgeburten, davon eine kleine Beerdigung, ein Umzug, meine Oma wurde krank, erkämpfte sich ein Jahr und dann als Emil unterwegs war, bevor sie ihn kennen lernen konnte, nach der Geburt meiner Nichte, starb sie auch an Krebs. Emils Schwangerschaft war eigentlich ein Horrortrip, alles was man so haben kann an Komplikationen habe ich mitgenommen, ich habe wirklich keine Ahnung wie dieses Kind so fröhlich werden konnte, aber er ist es, eine absolute, offene Frohnatur ist dieses Kind. Nur hatte er Pseudokrupp und die anderen Kinder waren auch nicht nur immer gesund. Wir wuchsen Jahr um Jahr über uns hinaus, schliefen weniger, organisierten mehr und bekamen ja auch so viel, unser erträumtes Leben war zum Teil hart erarbeitet. In Antons Schwangerschaft feierten wir in Paris unseren 10. Hochzeitstag. Ich glaube, das war auch das letzte Mal das wir „allein“ verreist sind, geniessen konnten wir das allerdings überhaupt nicht, ich war in der 18./19. Woche und hatte Blutungen, in einem fremden Land, nicht wirklich schön, ich hab die Stunden bis zum Rückflug gezählt und war froh, dass wir nach zwei Nächten schnell wieder in Deutschland waren. Antons Geburt war für mich dann auch noch so traumatisch und entwürdigend, dass ich meinen Traum zu Hause zu entbinden wahr machte und die noch folgenden Zelda, Lilou und Henry zu Hause bekam. Das war der letzte Stupser Mut gewesen, den ich gebraucht hatte und wir wohnten ja auch nur 5 Laufminuten vom Krankenhaus entfernt, was ich weiss, denn ich bin nach dem ersten Blasensprung meines Lebens mit Anton im Bauch allein darüber gejoggt, um seine Herztöne zu hören, denn nach dem ganzen Geturne vor dem Blasensprung, war im Bauch absolute Ruhe gewesen. 😅 Antons Geburt forderte seinen Tribut, es ging mir nicht wirklich gut. Alle hatten sehr viele Ratschläge, und ich hatte immer irgendwas, ich dachte noch, ich werd verrückt. Begonnen hatte alles mit den Zähnen, dann ging alles Schlag auf Schlag bis ich auf einmal nicht mehr laufen konnte, und endlich die Diagnose: Psoriasis Arthritis bekam. Ich musste dann sofort abstillen, bekam erst Cortisonspritzen ins Knie, die Entzündungen wurde abgesaugt, und dann ging es los mit Medikamenten, aber ich hatte endlich Gewissheit, was mit mir nicht stimmte. Es lag nicht an mir. Leider hatte all das Erlebte in den letzten Jahren dann zur Folge, dass ich eine Angststörung bekam, ich machte also wieder eine Therapie. Und bekam Zelda. Wieder ein absolutes Sonnenscheinchen, und vermutlich nur so schnell nach Anton, weil ich mit dem Stillen ja hatte aufhören müssen. Was mich irgendwie versöhnte. Und das zweite Mädchen, elf Jahre nach dem Ersten. Eine Fehlgeburt trennte uns noch von Lilou, es folgte Henry 2020, der unser Licht war. 

Nach all den Jahren und den vielen Gemeinsamkeiten in der ersten Nacht, hätte ich niemals gedacht, dass das Schicksal uns beide je ein Elternteil nimmt, Ende 2019, Anfang 2020 in etwas mehr als nur vier Monaten, beide schnell und unerwartet. Jetzt hast du noch deine Mama und ich nur noch meinen Papa, wir haben unsere jüngeren Schwestern, uns und die Kinder. Der Coronabeginn hat uns völlig allein zurück gelassen mit allem und auch das haben wir gewuppt, in diesem Jahr gibt es nochmal so viel Herausforderndes, nicht nur meine Zähne, die Coronainfektion, nicht nur die zwei neuen Fehlgeburten, da ist noch mehr und noch mehr was die Kinder betrifft, und dich.

Gesund ist eben nicht immer gesund, sondern manchmal nur im weitesten Sinne. 

Als diese Zahl 20 so aufblinkte, verschlug es mir den Atem?! Wie kann das sein? Ich war doch erst 18 als wir uns trafen? 18 als du was von zehn Kindern erzähltest, die du wollen würdest. Und ich das mit dir eine gute Idee fand. Ich fühl mich oft noch so jung, vieles fühlt sich an wie erst gestern gesagt und erlebt, aber der Körper ist nicht mehr so wirklich fit, vielleicht holen wir das auf, wie so fancy Mittvierziger, wenn die Kids aus dem Gröbsten raus sind?! 😅 

Wir sind links, offen und haben wie sollte es anders sein auch wundervolle Kinder, die das so weiter leben. Und als jetzt die ersten Partner aufploppten, anders als heteronormative Menschen, das gern sehen, da Menschen auf unserem Sofa sitzen, die wir nochmal anders als früher „nur“ Freunde der Kinder in unser Leben lassen, da fühlte ich mich das erste Mal anders alt, richtig alt, ich hatte das Gefühl die Seiten gewechselt zu haben, ich war nicht mehr das Mädchen auf dem Sofa, sondern die Mutter gegenüber, da wartete also in all seiner Gleichzeitigkeit im Grossfamilienalltag schon das nächste Abenteuer auf uns. 

Ich könnte mir ein anderes Leben niemals mehr vorstellen, trotz meinem atemlosem, vollgepacktem Alltags, ist es genau das was ich liebe, es ist nie langweilig und wir haben von allem Etwas. Na gut okay, ich hätte jetzt nicht unbedingt erwartet, dass nach der allerersten Elternkatastrophe „Oh Gott, die Kinder hören auf mit dem Mittagsschlaf“ zu Teile der Kinder stehen erst mittags auf und sind noch um Mitternacht wach, nachdem die „Kleinen“ erst grad gefühlt eingeschlafen sind neben uns, und dieser komischen Einschlafbegleitung, aber leider schon seit 6Uhr wach waren, also kurz gefasst sage ich immer: Es ist immer jemand schon wieder oder immer noch jemand wach. Einschlafbegleitung, Stillen… so neumodischer Kram, den wir nicht von Anfang an praktizierten, wir gaben mit den Jahren immer mehr von uns, auch von unserem Schlaf, und bekommen wirklich viel zurück, in jeder Hinsicht und immer und überall wartet ein erstes und ein letztes Mal. Und mit keinem Anderem könnte ich mir das vorstellen, nur mit dir, ist das alles zu schaffen, zu leben zu lieben. Ich hoffe, da warten noch viele erfüllte und wundervolle Jahre auf uns.

PS: Dieser Text ist nur ein kleiner Abriss geschrieben mitten im Urlaubsalltag und hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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