Eine weitere Zahn- OP

Es waren immer die Schmerzen vor denen ich Angst hatte. Keine Worte, keine Komplikationen. Auch keine Angst vor der Vollnarkose- ich hatte schon zwei Vollnarkosen und nach den letzten Ereignissen wusste ich, man muss sich wirklich nicht durch alles allein durchkämpfen. 

Ich hatte auch keine Angst vor dem Eingriff an sich, ich hatte mich ja soweit das ging abgesichert und auf den Titanunerträglichkeitstest bestanden, weswegen wir auf Keramik umschwenken mussten. Und das Team da ist toll, ich hatte ja leider in diesem Jahr recht zügig hintereinander zwei verschiedene Praxen austesten müssen und bei dieser hier fühlte ich mich wirklich sicher. Ich hatte eher Angst vor den schwächelnden Selbstheilungskräften meines Körpers, nach den Schmerzen an sich, die mich ängstigen. Aus Erfahrung von vorangegangenen. Ich hatte in diesem Jahr mehr als genug davon und das Jahr ist ja nicht einmal vorbei. Nach vielen Wochen Problemen hatte ich bisher zwei Zahn OPs in diesem Jahr, leider ohne grosse Verschnaufpause. Ich sass ja nicht nur wegen Eingriffen beim Arzt, es gab mehrmals umherwandernde Knochen- Splitter die durch meinen Kiefer wandererten und aus dem Zahnfleisch heraus gepult werden mussten, ich kann wirkkich nicht mehr zählen wie oft ich verzweifelt bei meiner Zahnärztin sass oder vor einem Kieferchirurgen. Beim Entfernen der letzten beiden Zähne war schon viel Knochensubstanz verschwunden, Bakterien mussten entfernt werden und so war klar, ich brauche nicht nur die zwei Implantate für eine neue Brücke, ich würde auch den Knochenaufbau brauchen, und nebst all dem erlitt ich eben in diesem Jahr zwei Fehlgeburten, einmal im Frühling und einmal im Sommer, direkt nach einer heftigen Covidinfektion, nebst Diagnose die nächsten Zähne wären nicht zu retten. Es passierte in diesen Wochen irgendwie alles gleichzeitig. Das Warten auf die zweite Fehlgeburt in diesem Jahr, die Sechste insgesamt, war nicht so zermürbend wie erwartet, dafür die Fehlgeburt an sich. Ich hatte unfassbar viel Blut verloren, und immerzu sehr starke Schmerzen. Es war furchbar, mitten im Sommer im schlimmsten Stress vor der Abreise und mit allem was organisiert und geplant werden musste, der Mann nach Covid weniger belastbar als je zuvor, es lag so viel auf meinen Schultern. Wie gern hätte ich also genau jetzt meine Angst umarmt und diesen hoffentlich letzten Termin um meine Zähne verschoben- auf irgendwann anders. Irgendwann. Nur nicht jetzt. Nicht mehr in diesem Jahr. Nicht noch mehr Schmerzen. 

Ich hatte Wochen davon, ganze Monate. Ich mochte nicht noch mehr aushalten und ich spreche nicht mal von emotionalem Schmerz, es ist der pure physische Schmerz, die Erinnerung daran, die mich triggert, die Sorte Schmerz, die dich auffrisst, wenn er nicht mit so viel Tabletten in den Griff zu kriegen ist. Das nicht mehr Frau seiner Sinne zu sein oder aber die zur Verfügung gestellten Mittel wegen Komplikationen nicht mehr wirken. Nicht mal die letzte Fehlgeburt ging ohne Probleme von statten, sie war schlicht gefährlich gewesen, aber es war wegen frisch operiertem Kiefer nicht wirklich anders gegangen, beides verlief ja parallel, es war wie im falschen Film. Aushalten. Weiter machen. Kaum Zeit zu erholen und schon kam die nächste Welle. 

Jetzt hiess es noch mal Luftholen, und abtauschen. Das habe ich getan. Einen ganz Tiefen Zug Liebe und Leben genommen. Ich war mit den Minis im Kino, habe „Die Schule der Magischen Tiere geschaut“, war mit dem Mann allein zum Kloster Andechs rauf und runter gewandert im schönstem Herbst, das zweite Mal in diesem Jahr, dass meine Schwiegermama alle Kinder hütete und wir ganz allein unterwegs waren, und trotz des Päckchens von zu Hause, das wir dabei hatten, denn wir telefonierten und organisierten den halben Tag, fühlte sich ein Teil von mir, wie frisch verliebt, neben diesem Mann im Herbstlaub. Ich war mit den Kleinen auf einem schönen Spielplatz mit Menschen, und ich war allein im Kino, den Film gucken, der grad überall ausläuft und dessen Buchvorlage ich eben beendet hatte. Ich war noch einmal schwimmen, ein letztes Mal genoss ich das Sonnenlicht, das auf das Wasser in der Halle traf, es war so schön. Ich hatte zudem nach meinem Geburtstag meine ganz kurze Auszeit mit Zoe in den Bergen gehabt und der Mann sein Gamecamp letztes Wochenende. Ich habe alles eingesogen, mich gewappnet, für mich und für die Familie geplant und eingekauft, für mich gesorgt und nun konnte ich diesen Schritt gehen. Einen Schritt für mich, so versuchte ich das zu sehen. Fast ganz ohne Panikattacken, mit dem Liebsten an meiner Seite, das war mir wichtig, der unentwegt plapperte und mich ablenkte, konnte ich mich unbesorgt in Vollnarkose begeben, der Anästhesist war toll, nur ganz kurz vorm Wegdämmern packte mich die Panik, mir war schwindelig, aber ich konnte den Chirurgen arbeiten lassen, wachte auf und alles war soweit gut. Ein bisschen optimaler hätte es laufen können, aber das kenne ich ja schon, ohne etwas Nervenkitzel geht es nicht. Ich hatte mich beschenkt, beste Entscheidung zusammen mit dem Team: diese Vollnarkose. Auch wenn sie mich den weiteren Tag über ausgeknockt hatte. (Und die Tage danach noch an mir zog, ebenso wie das Familienkarussell, nebst krankem fieberndem Henry.)

Der Mann hatte sogar eine gute Nachricht, das Erste, das er im Aufwachraum zu mir sagte war: „Wir haben einen Praktikumsplatz für Noah!“, das war das Beste überhaupt nach all den Rückschlägen. Und den allerfiesesten am Abend zuvor, als Mann und Sohn extra gekommen waren, nur damit dem Sohn der unterschriebene Vertrag unter der Nase weggezogen und zerrissen wurde, weil sie da einen anderen Praktikanten vergessen hatten. Von diesem Praktikum hängt alles ab, das ist kein kleines Schülerpraktikum, das man zur Not in der Parallelklasse absitzen kann, er muss diese ersten(!) acht Wochen für sein Fachabi machen, da führt kein Weg dran vorbei und es liess uns keine Ruhe, da war keine Zeit mehr. Sie zerrann uns durch die Finger und nun waren wir am Ziel. Noch jetzt gibt es da die Stimme einer Lehrkraft, die da sagt: „Nicht ideal!“, aber weder sehen wir da ein Problem, noch gab es andere, alternative Stellen, wir haben über 100 Stellen angeschrieben und angerufen. Corona sei Dank, sind alle wenigen Stellen unterbesetzt. Wir sind wirklich durch, diese Unterschrift auf den verfluchten Vertrag lässt uns wieder atmen, das war so ein Nervenkrieg. Und ich bin dankbar für die lieben Menschen im Netz und im Freundeskreis, die unsere Suche geteilt haben, uns angeschrieben und sich wirklich Gedanken gemacht haben. Ich bin nur noch froh, dass das geschafft ist. Und es bleibt ja leider im Großen und Ganzen nur ein ganz kleines Puzzleteil von unserem Familienportrait. Nebenher gab es ja noch andere Sorgen, Termine und Gedanken, die wir uns gemacht haben und noch immer machen.

In dieser Woche habe ich also einen Schritt dahin getan wieder normal zu Leben, zu Essen, zu Lachen. Ich hatte grosse Angst davor gehabt, nach dem Verlust der Zähne anders auszusehen. Ich hatte das bei meinem Schwiegervater erlebt, er hatte sich durch einem Sturz unter Alkoholeinfluss das Jochbein gebrochen und sah nach Verheilen fortan anders aus, ich dachte wenn mir derart viele Zähne fehlen, würde mein Gesicht in sich zusammen fallen, oder eben anders aussehen, verrutschen. Die Aussprache hat es auf jeden Fall eine Zeit lang beeinträchtigt, bis ich damit umgehen konnte oder doch nur alles abgeschwollen war, ich weiss es nicht. Und jetzt, machte ich mir Mut, tue ich das für mich. Der erste Schritt in die richtige Richtung, es muss einfach jetzt so sein. Und in sechs Monaten kann ich vielleicht wieder lächeln ohne Zahnlücken und normal essen. 

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