#sovielvermissen

Aber vor allem vermisse ich meine Mutter. Sie war zuletzt hier, sozusagen gesund, 2019. Ende Oktober zu Halloween. Kaum drei Wochen nach den plötzlichen Tod meines Schwiegervaters. Ich spüre das Jahr um Jahr in meinem ganzen Körper, es war das allerletzte Mal, dass ich von Angesicht zu Angesicht mit ihr gesprochen habe. Sie fehlt mir so. Sie konnte nicht mehr so gut laufen, nicht schmerzfrei, als sie hier war. Wir machten uns Sorgen, aber schoben es auf die Gelenke, sie war ja beim Arzt. Es war nichts zu finden. Vielleicht wäre eine OP von Nöten wie bei beiden Schultern. Davor hatte sie zurecht Angst, es waren zu viele Eingriffe in so wenigen Jahren, so wenig Zeit sich zu erholen. Wir sprachen über die bevorstehende Kur, vor der sie Respekt hatte. All die anderen Krebspatienten, bunt durchmischt, all die Schicksale. Getrennt von meinem Vater und das kurz vor Weihnachten, Heilig Abend würde sie ausbüxen. Wir hatten uns lange nicht gesehen. Viel zu lange. Ein Jahr nicht? Ich weiss es nicht mehr. Ich müsste mittlerweile nachsehen, es war immer etwas dazwischen gewesen. Und ich war krank, konnte vieles nicht mitmachen. Ich glaube mich zu erinnern, es waren die Ohren. Also ging sie mit Zoe schwimmen, statt mit mir. Ich weiss noch, das mich das gepickst hatte, auch wenn ich das nicht zugeben wollte. Meine Eltern fuhren wie immer schon nach drei Tagen bei uns zurück nach Hause und wenig später fuhr meine Mutter zur Kur an die Ostsee, war so stolz auf sich, weil sie so viel geschafft hatte, was sie sich sonst nicht getraut hatte, kam aber krank zurück, oder kränker, der Husten quälte sie, wurde schlimmer statt besser.

Wir telefonierten zum Jahreswechsel und im Laufe des neuen Jahrs ging alles schlechter und dann ganz schnell. Ende Januar hiess es noch Lungenentzündung, Anfang Februar war es wieder der Krebs. Metastasen. Keine Lungenentzündung. Lebensverlängert hiess es nur noch, aber das war doch besse als die Alternative, es gab Pläne. Ich war grad im zweiten Trimester schwanger und die Letzte, die es erfuhr. Ich wollte nach Berlin, aber stattdessen fuhr Emil mit meiner Schwiegermutter seine Paten besuchen, ich wollte eine Woche später fahren. Hätte ich an diesem Plan festgehalten, hätte ich meine Mutter nicht mehr lebend gesehen. Es sollte ihr letztes gutes Wochenende sein. Sie bekam viel Besuch. Es ging ihr dann Anfang der Woche immer schlechter. Sie brach sich das Becken oder Hüfte, Metastasen. Mitte Februar also die Nachricht meiner Schwester, etwas mehr als eine Woche hatte ich gehabt alles zu verstehen, wenn ich mich richtig erinnere, mitten in der Woche, ein Mittwoch. Es seien auch Metastasen im Gehirn, ich hörte meine Mama im Hintergrund. Sie baute so rasend schnell ab, ich fuhr noch am selben Tag überstürzt nach Berlin mit Zoe und Tom. Nils kam am kommenden Morgen nach. Mit den Kindern, nur Zelda und Anton blieben bei meiner Schwiegermama. Ich hatte noch etwas Zeit mir ihr allein, aber sie war nicht mehr klar. Zu stark die Schmerzen. Zu nahe der Tod, ich wich nicht mehr von ihrer Seite, wir wechselten uns ab und schon wenige Stunden nach meinem Ankommen in Berlin, 24Stunden etwa nach meiner Ankunft starb meine Mama in meinem Beisein. Das ist der Film der jedes Halloween abläuft, jedes Jahr wieder. 

Und dann erleuchtet der Oktober mittlerweile auch noch als Pinktober, und ich kann das nur schwer aushalten. All diese Awareness, die mich überall anblinkt, ein rosa Schleifchen, das meine Mutter voller Stolz trug, ist jetzt schreiend Pink. Und ich kann mich nicht mal ohne Widerwillen oder ohne Angst abtasten. So oft ist vom Kämpfen die Rede, als müsse man sich nur genug anstrengen, um diesen „Kampf“ zu gewinnen. Aber Krebs ist ein Arschloch. Dem ist egal was du willst, Glück ein entscheidener Faktor. Und da ist einfach Schmerz und Verlust und Vermissen, wenn dieser vemeintliche Kampf verloren wird.

Was uns bleibt, ist nicht nur die Erinnerung, sondern der Moment, der genau jetzt zur Erinnerung wird. Versuchen im Alltag das Glück zu geniessen, es kurz festzuhalten, zu konservieren in kleine Zauberminuten und Momenten.

#sovielvermissen #sovielerinnern

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