Mütend

Vor mehr als 5 Jahren, nach mehreren Fehlgeburten und der langen Reise zu meiner Diagnostik Schuppenpflechte mit rheumatischer Arthritis bekam ich eine Angststörung, leidete laienhaft gesagt an Hypochondrie. Ich machte erfolgreich eine Therapie, die ich Anfang 2017 beendete, besiegte die Angst, die nicht mal reaktiviert wurde, als ich ein halbes Jahr später eine Fehlgeburt hatte, Ende 2019 mein Schwiegervater tödlich verunfallte und wenige Wochen später meine 55 Jahre alte Mutter uns innerhalb von Tagen einfach so weg starb. Dann kam direkt Corona, ob es nun daran liegt oder nicht, zwei Kinder brauchten jetzt Hilfe, und nachdem ich letztes Jahr zwei Fehlgeburten hatte und mehrere Zahn OPs, sowie damit einhergehend wochenlang Schmerzen hatte; betraten Panikattacken das Parkett meines Lebens. Die mich dann Ende 2022 zurück zu meiner Therapeutin brachten. Für diese Therapie braucht es einen „echten“ Arzt, dieser muss einen Konsiliarbericht tippen. Aber während meine Therapeutin es sogar erleichterte und ein paar Zeilen zu meiner Person tippte, weil mein „Hausarzt“ mich gar nicht mehr richtig kennt, fand ich mich schnell in einem unangenehmen Gespräch wieder.

Ich wurde nicht begrüsst, sondern es wurde telefoniert, obwohl ich zuvor ins Behandlungszimmer gebeten wurde. Als das Telefonat beendet war, wurde ich nur nach dem Namen meiner Therapeutin gefragt. Und dann begann der eklige Teil dieses Gesprächs. Denn „es ginge ihn ja nichts an, aber…“, ob ich denn verhüten würde. Darauf antwortete ich wahrheitsgemäß mit „Nein“, denn wir wünschen uns ja auf unsere „alten Tage“ noch ein zehntes Kind. ZwischendenZähnenEinatmenGeräusch. Tja, also wenn sich an meiner Wohnsituation nichts geändert hätte, fragt nicht mich, sondern mit Blick auf den Konsiliarbericht, „Sind Sie nicht! Tja, dann ist das ja schon mal ein Platzproblem.“ Aber eigentlich sei ja der Platz an sich, ja gar nicht das Problem. „Nein, nicht wahr?! Wissen Sie?! So zehn Kinder…“- „Es sind Neun.“- „Also neun Kinder, die will man ja nicht nur durchbringen, sondern GUT durchs Leben bringen.“ (No Shit, Sherlock.) „Das braucht so viele Ressourcen: psychisch, physisch, finanziell. Das können Sie gar nicht schaffen! Sie können unmöglich jedem Kind wirklich gerecht werden!“ (Das ist das Aufbauendste was vermutlich eine Patientin, die sich aktiv Hilfe sucht, die eine Therapie machen möchte, wohl je gehört hat.) „Das können Sie allein nicht! Da braucht es Grosseltern (Hab ich nicht eben zuvor erwähnt, dass meine Mutter und mein Schwiegervater gestorben sind?!), eine Nanny, ein Au Pair, nein ein Au Pair lieber nicht!“ Gucke sparsam. „Die Kinder müssen ja alle in eine Ausbildung!“ – gut, dass er das mal erwähnt, da wäre ich ja nie von selbst drauf gekommen. „Sie müssen ja noch *rechnet im Kopf* zwanzig Jahre leben, bis das Kleinste aus dem Gröbsten raus ist.“ (Wow. Mathe kann er auch.) „Da braucht es einen gesunden Egoismus, dass Sie auch mal an sich denken!“ – „Ja, das war der Plan (Erika), (und wird in diesem Patriarchat von Männern wie Ihnen immer wieder vereitelt), deswegen die Idee mit der Verhaltenstherapie, damit ich mich nicht mehr für alles verantwortlich fühle und sich etwas dauerhaft verändert“, (Was Sie mir aber gerade 1:1 sowieso abgesprochen haben, denn ich kann mich unmöglich um jedes Kind wirklich kümmern, soll aber an mich denken. Macht zwar in Summe keinen Sinn und widerspricht sich auch noch, aber egal.) Ich hab mein Stück Papier.  

„Es geht mich ja nichts an, aber…“ eine weitere Anekdote, wenn ich als Frau und Mutter von vielen Kindern zum Arzt gehe. Ich bin nur noch mütend, ein viel zu niedlicher Begriff, aber ich bin es so unfassbar müde und wütend zugleich, wie mir ein Mensch, der mich mehrere Jahre nicht wirklich gesehen hat, schriftlich einfach mal familiäre Überforderung assistiert, so über mich urteilt, weil er weiss trägt. Danke für nichts. Und nachdem man die Patientin nicht gut kennt, einfach auch mal Abtippen, was meine Therapeutin  vorformuliert hatte, damit er schneller im Bilde ist, das ist für einen Mann scheinbar einfach nicht möglich. Es ist nicht das erste Mal, dass ich als Frau und Mutter von Ärzten diskriminiert wurde, aber das heute hat mich echt nachhaltig beeindruckt. Statt also meinen Vater mal wieder anzurufen oder die letzten zwei Wochen noch irgendwie schriftlich festzuhalten, sitze ich hier und schreib mir meinen Frust von der Seele.

5 Kommentare

  • frausiebensachen

    So ein Arsch. Menno. Ich würd dir meine tolle Ärztin abtreten bzw empfehlen aber sie ist halt hier und nicht bei euch. Ich drück dich wenn du magst.

  • Steffi

    Unglaublich! Es tut mir leid, dass Du das erleben musstest. Es macht wütend. Wie massiv übergriffig.
    Ich drück Dich. (( ))
    Bei Redebedarf weißt Du, wo Du mich findest.
    Alles Liebe!

  • Nadine

    Manchmal frage ich mich ja echt, ob solchen Ärzten eigentlich bewusst ist, dass sie dazu da sind, um Menschen zu helfen?!? Das macht ja auch nicht wirklich Lust da hin zu gehen, wenn frau wirklich ein Problem hat, wo mal ein Arzt drüber schauen sollte…

    Es geht mich ja nichts an, aber ich glaube, du bzw. ihr macht das alles ganz wunderbar ♥️

  • Schwäbin

    Sprachlos. Sehr sprachlos und wützend. Kopfschüttelnd.

    Ich lese schon lange bei dir still und bewundernd mit. Lass dich nicht unterkriegen und viel Kraft dir für den Alltag. Ich hoffe du findest einen Weg & hast die passende Vorordnung bald in den Händen.

    Kann frau (ich) dir einige Zeilen zukommen lassen ohne mitlesende Blogleser? Habe beruflich mit dem Thema zu tun.

    LG ausm Schwarzwald