Stille Geburt
TW/CN: Stille Geburt im Detail, Sternenkind & Verwaiste Eltern
Ich teile diesen für mich schmerzlichen Bericht zum Verarbeiten, er ist genauso zusammen gewürfelt geschrieben, wie die Gedanken kamen und gingen. Ich teile ihn auch, damit ihn andere Sternenkindeltern finden können, die vielleicht wissen wollen, was auf sie zukommt, die irgendetwas finden wollen, die irgendwann in meinen Worten vielleicht sowas wie Trost finden oder Halt oder einfach nur Verständnis für ihren eigenen Verlust. Aber- auch wenn ich nicht alles erzählen kann, ist der Bericht sehr detailliert und kann Betroffene triggern.
Dieser Text ist nicht dafür da, andere mit unserer Trauer zu unterhalten oder eine Gesprächsplattform zu bieten, er soll auch keine Möglichkeit sein, diesen Verlust auszuschönen, es soll und wird sich niemand nach dem Lesen behaglich fühlen, das ist an dieser Stelle auch nicht meine Aufgabe. Dieser Text existiert in erster Linie wie er ist, weil ich nicht anders kann, als von unserer Tochter zu erzählen. Ich musste ihn schreiben. Für sie. Für mich. Für uns. Ein Vermächtnis. Und wenn er online geht, gibt es nur noch einmal mehr ein Davor und Danach.
Du, unser siebtes Sternenkind, und du strahlst neben deinem Bruder am Hellsten.
Als ich dort in Krankenhaus wieder angezogen auf dem Stuhl sass nach all den Untersuchungen und nachdem wir doch erst vor einer Stunde bei meinem Frauenarzt erfahren hatten, dass unser soweit zeitgerecht entwickeltes Kind gestorben war, profitierte ich leider von meinem Vergangenheits- Ich. Vieles von dem, was mich nun erwarten würde, hatte ich schon erlebt. Ich hatte auch verfolgt welche Veränderungen es bei Fehlgeburten in den vergangenen Jahren gab, was verwaisten Eltern helfen sollte. Also nahm ich gefasst auf, dass ich unser Kind durch die günstige veränderte Plazentalage gebären würde können und müssen. Ich wusste welche Hilfe das für Eltern sein kann, wie wichtig dies für den Trauerprozess sein würde, für mich vor 12 Jahren gewesen wäre. Was ich aber nicht wusste war, wie hart dieser Weg sein würde, wie viel Kraft es kosten würde, ihn zu gehen, wieviel Schmerzen ich bis dahin aushalten müsste, wie viel Angst, Unsicherheit und Tränen vergehen würden bis dahin. Alles gespalten in ein- davor und danach. Ich wusste, dass danach eine Kürettage anstehen würde unter Vollnarkose, auch das nahm ich gefasst auf. Was sollte mich daran noch schocken? Worauf ich dann nicht gefasst war, war nur eine Kleinigkeit, eine kleine Tablette fürs Abstillen, denn mein Körper würde für dieses Baby Milch produzieren. Und ich hatte Henry gerade vor Kurzem erst abgestillt. Diese Kleinigkeit kostete mich schon wieder Tränen, machte es noch schmerzlicher, realer, holte mich und meine Fassung ab.
Stille. Geburt. Man gebiert ein stilles Kind. Man sieht es mir nicht an, aber ich habe in der Nacht zum Dienstag ein Kind geboren, mein Kind, unser Kind und als es geschah, war ich ganz allein.
Ich bekomme das Bild nicht aus dem Kopf, wie ich nach Stunden Schmerzen, Kontraktionen und Wehen, nach Zittern und Tränen und tausend Gedanken in zig Richtungen, im Badezimmer eines Krankenhauses samt Infusionsständer mein Kind auffing. Weil niemand da war. So wie jetzt im Alltag niemand da ist. Denn hier steht nicht einfach die Zeit still, hier schreiben Kinder Probe- Quali, gehen Kinder zur Schule, ins Praktikum, zum Kindergarten, zum Logopäden, wir zur Therapie, ich zum Kieferchirurgen, wir zum Bestatter. Wir sitzen nicht im Kreis und halten Trauerwache und haben Chance alles zu verarbeiten. Ich, wir versuchen zu verarbeiten und gleichzeitig läuft alles weiter. Und es ist nicht diese Art Alltag, die einem Halt gibt, nicht mir. Es sind die Umarmungen, die Liebe in dieser Familie. Man sieht es mir nicht an, aber es kostet mich alles den Alltag weiter zu leben, einfühlsam zu bleiben, Inseln zu haben für die Trauer und sonst, die liebende Mama zu sein, die ich nicht immer schaffe jetzt zu bleiben, was mich zerreisst, denn ich möchte das können und scheitere immer öfter daran. Denn ich fühle mich leer und unvollständig. Jemand fehlt. Sie fehlt. Und immer wenn da ein Gedanke ist, eine Trauerwelle sind da eben gleichzeitig auch andere Bedürfnisse. All das klappt die meiste Zeit bisher, es sind ja nur drei Tage, aber eben nicht immer. (Seit Donnerstag ist da soviel Wut, auch mit der muss ich leben lernen, sie im Zaum halten, ich könnte irgendetwas anzünden, ich fühle mich gefangen in mir selbst, kämpfe weiter. Aber der Gang zum Bestatter kostete viel Kraft und der Hexenschuss des Mannes, gab mir abends den Rest.)
Still war mein Kind, weil es tot geboren wurde. Es ist mir noch immer unbegreiflich, wieso, warum uns das passieren konnte. Einzig dankbar bin ich für die Zeit mit ihr und die Fotos, die ich machen konnte. Und heute am Freitag, die Bilder dich mich von der Sternenfotografin erreichen.
Zeit, die ein ganzes Leben lang reichen muss. Fotos, die beweisen, dass es sie gab. Unser Kind echt war, wie du und ich. Es gab sie wirklich. Sie war viel zu kurz diese Zeit, leider auch hier durch Limitierung von Aussen, gegeben durch die Umstände. Aber da war auch Loslassen müssen, nur wann ist dafür der richtige Moment? Wann hat man genug gehalten? Wie verabschiedet man sich für immer? Und es gab so viele Abschiede in den letzten Jahren, mir fehlt die Kraft. Dazu all die Entscheidungen in den Stunden davor. Von jetzt auf gleich. Keine vierundzwanzig Stunden zwischen der bitteren Gewissheit und dem wieder Öffnen der Haustür- nach allem. Wie viel kann man altern, erleben und tragen in nur vierundzwanzig Stunden? Und dann der Kummer, es den Kindern noch sagen zu müssen, warum ich wirklich eine Nacht im Krankenhaus war, dass ich schwanger war, aber nicht mehr bin. In dieser Woche wollten wir es ihnen doch endlich erzählen. Auch der Familie und Freunden. Jetzt versetzt es mir einen Stich, jede Nachricht erschöpft mich über alle Maßen und macht mich unfassbar traurig, es sickert erst so langsam- nach oder noch im Schock in mein Bewusstsein, dass ich über uns schreibe.
Ich möchte dankbar sein und mich daran erinnern, dass wir zusammen in dieses neue Jahr gegangen sind, du und ich, du unter meinem Herzen. Mein Herz voller Hoffnung. Ich möchte mich daran erinnern, wie gut wir die Tage zu Beginn des Jahres allein gewuppt haben, als Papa in Amsterdam mit Tom und Zoe war. Wir waren sogar schwimmen zusammen mit vier Kleinen. Ich möchte mich daran erinnern, wie ich mit dir in meinem Bauch und vier Kleinen Kindern nach Garmisch- Partenkirchen gefahren bin, wir auf der Zugspitze, am Eibsee und in der Partnachklamm waren. All die Sonne, die schönen Erinnerungen an diese zwei Tage und du warst dabei. Dieselbe Tour noch einmal du und ich und Papa an seinem 40. Geburtstag. So wertvolle Zeit, Schlitterpartien, Kinobesuche, Spaziergänge, die nur am Ende leider überschattet wurde, weil ich auf der Zugfahrt zurück leichte Blutungen bekam. Einen Tag später bei der Vorsorge dann Entwarnung: ein Herzschlag, endlich. Anders als die Woche zuvor. Ich möchte mich daran erinnern, wie gut wir Antons zweite OP Aufregung gewuppt haben, den Magendarm Infekt weggesteckt haben. Ich möchte mich daran erinnern wie ich mit dir und vier Kindern zu Opa gefahren bin, nach Berlin. Wie wir es uns auf dem Sofa gemütlich gemacht haben. Leider erfuhr ich einen Tag später von der Plazenta Praevia Totalis. Aber wir haben uns da durch gekämpft du und ich, ich wollte stark sein für dich! Ich möchte mich daran erinnern, wie Noah auf dem Sofa sass und während einer Folge „Call the Midwife“ verkündete, bei der nächsten Hausgeburt wäre er gern dabei und meine einzige Sorge war, ob das mit der Plazenta möglich sein würde. Oder meine Sorge, wie erzähle ich den Kindern von der Schwangerschaft und gleichzeitig, von der Gefahr, die mich dann und das Kind eventuell noch umgibt? Ich möchte dankbar sein und mich erinnern wie ich mit dir und Zoe in der Frida Kahlo Ausstellung war, entgegen jeder Angst und dem Gefühl du und ich, wir seien eine tickende Zeitbombe. Gestern (Montag) dann so niederschmetternd, die Plazenta hatte sich bewegt, aber dein Herz schlug nun nicht mehr. In all den Wochen meine größte Angst plötzlich Gewissheit, ist genau das passiert, wovor ich solche Sorge gehabt hatte? In der Nacht der Geruch nach Geburt und Fruchtwasser plötzlich wirklich echt.
„Wieso ?!“, taucht es in meinem Kopf auf? Was habe ich falsch gemacht? Hab ich etwas getan, was dir so sehr geschadet hat, dass ich dich in der 16. Woche still gebären musste? Dich auffangen. Ich möchte dennoch dankbar sein für die Zeit mir dir, die wir hatten, dich halten und ansehen können, Fotos machen, dein Häkelkörbchen mit meinem Parfum besprühen, etwas das meine anderen Kinder an mir lieben und irgendwas musste ich dir doch von mir mit auf den Weg geben oder nicht? Dich ein allerletztes Mal zum Abschied küssen. Dankbar bin ich auch für die Begegnungen in der Klinik, für alles, was sich in den letzten 12 Jahren verändert hat. Und es hat sich viel getan, ich wurde liebevoll betreut, hatte ein Einzelzimmer.
Wochenlang legte ich abends meine Hände auf meinen Bauch. Wollte dich fühlen, wollte dir nahe sein. Bald hätte ich auf deine Bewegungen gewartet, ganz bald. Nun sitze ich auf dem Sofa, dem Tag an dem du geboren wurdest und du bist fort, nicht mehr in meinem Bauch, und nicht in meinen Armen, unseren Armen.
Wir müssen ohne dich weiter leben, und ich weiss nicht wie. Ich liebe dich so sehr und ich könnte schreien, weil du nicht mehr da bist. Der Schmerz ist so gross, die Trauer wird mich auf immer begleiten.
Ich bewege mich anders, sitze, laufe, lege mich anders, keine vierundzwanzig Stunden nach deiner Geburt, weil du fort bist. Es gibt keinen Bauch mehr, der dich schützt, der dich trägt, dich umgibt. Und auch mir fehlt der Halt, ich bin aus dem Takt, bin nicht mehr die Selbe.
Vor vierundzwanzig Stunden, nach der letzten Gabe der Tabletten für diesen ersten Geburtseinleitungstag, (dessen Start wir verschieben mussten, nach den zwei Stunden warten auf das Anästhesiegespräch,) wusste ich, es ist bald soweit. Im Stehen war es deutlich anders als im Liegen im Bett, es war mittlerweile nach Mitternacht und das Blut lief mir jetzt die Beine runter, wenn ich zur Toilette musste. Der diensthabende Gynäkologe guckte kurz drauf und fand alles soweit im Rahmen, ich hatte etwas Sorge, weil die Plazenta ja immer noch in den Muttermund lappte. Ich war schon sehr ausgelaugt, der lange Tag, die schlaflose Nacht zuvor, die Schmerzen seit Stunden, denn mit dem Wissen um deinen Tod, hatte mein Körper sehr deutlich und schnell gezeigt, dass nicht mehr alles in Ordnung war und ich hatte erste Kontraktionen bekommen. Ich ging ins Bad, weil mir eingefallen war, dass ich mir die Zähne putzen sollte. Und da spürte ich es schon, ich fühlte dich kommen. Ich legte die Unterlage vor mich, zog vorsichtig die Unterhose runter und die Binde weg und es machte dieses Platsch, es platzte etwas, deine Fruchtblase, Blut und Fruchtwasser, das keine schöne Farbe hatte, landete auf der Unterlage vor mir. Ich war so aufgeregt, so unter Spannung, ich sah dich dort nicht und dann fühlte ich dich, du hingst zwischen meinen Beinen, die Nabelschnur so stark war nicht gerissen und ich fing dich mit meiner freien rechten Hand ohne Infusion auf, alles passierte in Bruchteilen von Sekunden. Ich kam mit handeln, fühlen nicht hinterher. Ich zitterte, hielt dich, wusste nicht was tun, all das Blut und das Fruchtwasser. Ich zog die Unterlage weg, putzte mich kurz ab, tat dich behutsam auf die frische Einlage meiner Unterhose, denn die Nabelschnur war viel zu kurz, aber wie falsch kommt mir das nun vor, aber ich stand unter Schock, ich ging vorsichtig zum Bett, nahm dich wieder in die Hand und versuchte dich zu betrachten, was so schwer möglich war mit der kurzen Nabelschnur, mit der ich dich kaum sehen konnte. Ich legte eine Unterlage über meinen Unterleib und dich und klingelte weinend und zitternd. Die Schwester holte sofort den diensthabenden Gynäkologen zurück, weil es jetzt doch so schnell gegangen war und eine Hebamme, beide halfen mir. Die Hebamme, eine Freundin einer Freundin, kannte ich noch vom Sehen und es tat so gut ihr Gesicht zu sehen. Sie war so sanft, fragte mich, ob es ein Mädchen oder Junge sei, und gab mir dich nachdem der Gynäkologe dich abgenabelt hatte. Er hatte noch mit der Schere in der Hand inne gehalten und gefragt, ob ich dies tun wolle und ich verneinte, ich hatte zu lange gezögert, es war nur eine Kleinigkeit, aber vielleicht hätte sie mir gut getan, wer weiss. Dann bekam ich dich, eingewickelt in ein weisses Mulltuch, deine Nabelschnur war zigmal um deinen Hals gewickelt, sie entrollte sie behutsam. Und ich durfte dich halten und wurde nach frisch machen allein gelassen, damit wir Zeit haben. Ich habe dich festgehalten, dich betrachtet, dich gehalten, dich vorsichtig gestreichelt, mich in die verliebt, wie ich es auch Wochen später getan hätte, habe Fotos gemacht, dich in eine bequeme Position gebracht, mich getraut deinen zerbrechlichen Körper wirklich zu bewegen und anzufassen, habe versucht zu be-greifen, zu verstehen. Legte dich nach einiger Zeit in die bereit gestellte Schale und ging noch mal zur Toilette, wo sich die Plazenta zeigte. Auch hier putzte ich alles sauber, legte die Plazenta in ein sauberes Tuch und brachte sie zum Bett, du links in der Schale, die Plazenta rechts. Du und die Plazenta, ich würdet beide untersucht werden, wir nahmen die Plazenta etwa eine Stunde später mit, auf dem Weg in den OP. Du wurdest nach noch mehr Halten und Berühren, abgeholt und in den Kreisssaal gebracht, weg von mir. Alles so surreal, du im Kreisssaal ohne mich. Um der Mutter nicht zu schaden durch Babyweinen und Wehenschreie, aber wie hätte ich eine Hebamme gebraucht, um dich richtig aufzufangen, ich war doch so hilflos, ich war so allein. Ich hab es so gut gemacht wie es ging, aber ich habe nicht das Gefühl, das würde reichen, wäre dir gerecht gewesen. Ich bin vierundzwanzig Stunden später, jetzt beim Aufschreiben noch so durch den Wind. Und obwohl ich allein war, unter der Geburt, frage ich mich doch im Stillen, ob ich das nicht sein musste, ob ich das nicht brauchte, ganz bei mir zu sein, auch wenn ich mir sehr gewünscht hätte, mein Mann wäre dabei gewesen oder eine Hebamme hätte vor der Geburt nach mir gesehen oder mich gar dadurch begleitet, damit ich wirklich sicher hätte sein können, wo ich gerade stehe. Auch wenn mein Gefühl mich nicht getrügt hatte, nach der letzten Gabe, gab es kein Zurück mehr. Und so sehr man sich doch auch wünscht, die Schmerzen hinter sich zu lassen, wird nichts danach wirklich besser. Im Gegenteil, der seelische Schmerz zerreisst einen, wenn man mit dem Unfassbaren in Berührung kommen muss.
„Haben Sie etwas gespürt?!“ fragte der Frauenarzt beim Vorsorgetermin, „ In den letzten Tagen?“ Er sah selbst so verwirrt aus. Hätte ich sollen? Bis auf das befürchtete Fruchtwasser heute Nacht?- Nein. Er schallte und erklärte, ich hatte es sofort gesehen. Man sieht es, aber bis ein Arzt etwas bestätigt, hofft man noch, dass man sich irrt, erst dann wird es real, als wäre es einfach nicht möglich für Eltern mit dem eigenen Verstand das Leben des eigenen Kindes für beendet zu erklären. Das stete Puckern war weg, obwohl du dich bewegtest, wir bewegten dich, wir hachzten noch kurz über deine zauberhaften kleinen Füsschen, die doch schon so gross aussahen und mir in wenigen Stunden so winzig und unfertig vorkamen um hier in meiner Hand zu ruhen und fotografiert zu werden. Was ist dir geschehen? Der Frauenarzt beendete sein Schallen durch Organe, ich wollte das gar nicht, er hatte gesagt dein Kopf sei etwas zu schmal, aber er könne eben schon vom Tod verformt sein. Ich hatte gefragt, ob er dein Geschlecht sehe, damit wir dir einen Namen geben können, er sagte sowas wie „Ach so“ und schallte, sagte zu 90% ein Mädchen. Und dann hörte er auf die Ursache zu suchen, ich wollte doch nicht undankbar sein, möchte doch auch wissen was passiert war, aber die Chance zu verpassen, welchen Namen ich dir geben soll, das war mir so wichtig. Für mich wirst du wohl doch immer Alma bleiben, für uns alle Hazel. Hazel Olive Alma, diese Namen lassen wir los. Mit dir. Wir beantragen eine Geburtsbenachrichtung fürs Familienstammbuch. Deinen Grabstein wird diesen Namen tragen, so wir uns für einen Entscheiden. Du solltest diesen Namen tragen! Du! Wieder nur Tränen.
Allein ins Bett gehen, ohne dich, den Bauch, ohne Utrogest, ohne Zäpfchen oder Magnesium. Ohne alles. Und dennoch liegt alles noch da. Als wäre es noch irgendwie von nutzen, der letzte Handschuh liegt noch hier, neben mir am Bett. Alles ist falsch. Wochenlang jeden Abend das selbe Ritual. Und nun diese Leere. Innen wie aussen. Atmen. Ich soll schlafen, aber es sind doch erst vierundzwanzig Stunden vergangen. (Zwei Tage später haue ich vor Hilflosigkeit auf die Packung Utrogest, schmeisse alles runter und dann ins Bad, weg, weit weg, damit ich es nicht mehr sehen muss, mit der Wut muss ich auch leben, gerade der Hormonabfall macht mir zu schaffen. Und ich weiß, die Wut gehört dazu… )
Wenn man etwas googlen möchte über das Aussehen, toter Föten, was soll man eingeben? Aussehen von Frühchen? Sicher nicht. Stirbling? Totling? Ich hatte Angst dort allein in diesem Krankenhauszimmer. Ich wusste nicht genau was mich erwarteten würde, ob ich Berührungsängste hätte. Also suchte ich in den Weiten des Netzes nach einer Art Vorbereitung auf das was kommen würde. Und fand es auch dort.
Abends auf dem Weg ins Bett, bleibt mein Blick noch auf meinem Arm hängen. Da ist noch unser Blut an meinem Unterarm. Ich hab es den ganzen Tag da gelassen. Das erinnert mich an dich, es ist so unfassbar wenig von dir geblieben. Man sieht mir nicht an, was geschehen ist, man sieht dich nicht. Das macht mich verrückt. Alles sieht aus wie immer.
Jetzt ist schon Mittwoch. Heute Morgen hab ich noch ein Foto von dem Fleck gemacht, bevor ich duschen gegangen bin, ich hab mich so unfassbar leer gefühlt, so unvollständig, so halb, als ich da stand und die letzten Spuren von dir weg wusch.
„Die Liebe bleibt“, lasen die Kleinen gestern (Dienstag) bei den Beigaben aus der Klinik, „Ja,“ sagten sie. „Die Liebe geht nicht weg!“, voller Inbrunst. Und wo ich gestern noch beseelt davon war, und übervoll war von Liebe und Hormonen, will ich heute schreien „Aber was soll ich damit?“, ich will doch die Menschen, die ich liebe um mich haben! Ich möchte keine Beerdigung organisieren und mit meinen Kindern einen guten Weg des Abschieds finden. Die Liebe bleibt, aber mein Kind ist fort. Die Liebe ist gerade wie etwas das schwer lastet und das ich mit mir herum trage, die ganze Zeit, aber niemanden geben, nicht abgeben kann, nicht schenken kann, ich halte sie nur fest und kann in der Zeit gefühlt nichts anderes tun, weil meine Arme vom Festhalten schon ganz bleischwer sind.
Und alles, was wir hatten, muss reichen für ein ganzes Leben, wie sollte es das?