Frühling in Garmisch
Es ist schön wieder in Garmisch Partenkirchen zu sein, ich als Küstenkind hab mich einfach in die Berge verliebt, 2017 nach meinem ersten Besuch im Allgäu. Danach schaffte ich es erst wieder 2020 im Januar in die Berge, schwanger mit Henry zusammen mit Nils und klein Lilou- aber dieses Mal eben das erste Mal in Garmisch.
Wir hatten schöne Tage hier und ich kam seitdem immer wieder hier her, es ist für uns gut zu erreichen und aus Tagesausflügen, die sehr anstrengend waren, wurden dann irgendwann sogar Übernachtungen, damit man nicht mehr Zeit in öffentlichen Verkehrsmitteln verbringt, als in der Natur.
Ich weiss nicht mehr wann ich zuletzt allein hier war? Vielleicht wirklich 2021 als Tagesausflüglerin an meinem Geburtstag?! Denn letzten Herbst war ich erst mit Zoe und kurz vor Jahresende mit Nils hier eine Nacht, unsere erste Nacht ohne Kinder seit über 19Jahren. Zuletzt war ich das erste Mal mit vier Kleinen im Januar hier und gleich danach nochmal mit Nils zu seinem 40.
Jetzt war ich wirklich das erste Mal allein hier in einem Hotel. Letzten Sommer, als sich allmählich abzeichnete, was die Zukunft bringen würde, aber auch nach allem was hinter mir lag- diese wochenlangen Zahnbeschwerden, die fünfte und sechste Fehlgeburt, nach dem immer dennoch weiter machen- hatte ich nur einen Wunsch: „Wenn Henry nicht mehr stillt, möchte ich allein wegfahren, ein paar Tage.“ Jetzt ist aus Tagen eben eine Nacht geworden.
Ich konnte heute Abend nach einer weiteren Flucht das erste Mal wirklich abschalten. Zu Hause wartet sowieso nur Arbeit. Montag war ich abends allein mit den Kids, morgen Abend werde ich auch wieder erstmal allein sein und Nils auf einem Elternabend.
Dieser Besuch war als Auszeit gedacht, als kleine Pause zum Luftholen, bevor es ernst wird. Und die letzten Tage vor Nils Abreise zerrinnen mir nur so durch die Finger. Es gab jetzt nochmal so einen Stress wegen der Abfahrtszeiten nach und von der Ostsee, es reisst einfach nicht ab.
Vieles in Garmisch erinnert mich an Alma (ich hab sie so unter der Geburt genannt, es ist dasselbe Kind, das den Rufnamen Hazel bekommen hätte), ich vermisse sie sehr. Als wir zuletzt in Garmisch zwei Nächte hier waren anlässlich Nils 40. Geburtstag, war ich schwanger mit ihr. Auch davor mit den Minis hatte ich sie in meinem Bauch dabei. Ich hab vom Leben mit diesem Kind geträumt. Ich hatte gehofft, vielleicht irgendwann einmal mit ihr hier zu sein. Ich musste mich verabschieden. Nicht nur von ihr, von so vielem mehr.
Und jetzt erinnert mich viel an sie hier, ich liege im Bett und lese, die frische, steife Bettwäsche raschelt so laut und riecht auch ähnlich wie die im Krankenhaus.
Vor dieser Nacht hier im Hotel war ich zuletzt allein ohne meine Familie im Krankenhaus zu ihrer Geburt, das triggerte mich natürlich auch gerade ein bisschen. Deswegen war ich abends noch einmal draussen, musste raus aus diesem Bett, nochmal Bergblick haben, aber dieses Mal mit Linkin Park auf den Ohren, ich hatte an diesem Tag genug gegrübelt. Ich musste schnell gehen, nichts hören, nichts denken, einfach Laufen und auf andere Gedanken kommen. Ich dachte kurz an Isbabel Bogdans Buch „Laufen“.
Es tat gut wieder so viel in der Natur zu sein, einfach nur zum Spass oder aus Zwang war ich heute 33.000Schritte unterwegs, habe Wege genommen, die ich noch nie gelaufen bin und habe wirklich schöne und vor allem einsame Wege entdeckt im Wald. Schroffe Natur, Felsen und Berge, Schnee in den Gipfel und blühende Bäume im Tal, und da dachte ich wie gut es sich anfühlt und wie erdend, dass die Berge und die meisten Bäume hier waren bevor ich kam und noch da sein werden, wenn ich gehe. Es rückt alles in eine andere Perspektive.
Ich war noch nie im Frühling hier, es ist das erste Mal. Und ich glaube, es ist das erste Mal das ich nicht auf der Zugspitze war, wenn ich schon mal da bin.
Ich geniesse die Freiheit, mit so einem großen kleinen Kind, einfach wegfahren zu können sehr, das hatte ich noch nie. Noch nie war ein kleines Kind so alt, ohne dass ich ein weiteres erwartet hätte oder nicht schon wieder gehabt hätte. Diese Freiheit, die ich bereit war wieder einzutauschen, gegen noch mehr Liebe, gegen nichts im Vergleich zu einem ganzen Leben mit ihr. Diese Reise ist beides, schmerzlich und schön und ich merke wie wichtig es ist, dass ich allein hier bin. Und dennoch habe ich auch alles dabei, meine Familie, meine Trauer, ich habe nichts davon wirklich zu Hause gelassen.
Es fällt mir dann doch schwer zurück zu fahren, diese Weite und Ruhe zurück zu lassen, weiss ich doch, was mich zu Hause erwartet. Man springt ohne Pause wieder voll ins Familienleben, da gibt es keine weiche Landung, kein langsames Ankommen, man kann nicht nur ein bisschen zu Hause sein, es gibt nur dasein oder eben nicht. Ein Marathonlauf aus Planen und Organisieren liegt hinter mir und jetzt hab ich einmal so etwas wie kurz auf die Pause- Taste gedrückt, bevor ich wieder ins Hamsterrad einsteige.