Ausnahmezustand

Ich habe das Gefühl, dass einige irritiert sind, ob meiner Aufrichtigkeit, dem Wiedergeben der guten sowieso schlechten Tage und vielleicht auch der Gefühle, die ich meinem Mann mitunter entgegen bringe, ihn nicht genug unterstütze und den Rücken einfühlsam freihalte. Da heisst es schnell, „aber wenn er da ist, dann braucht er es wohl“, ja „No shit, Sherlock.“, aber ich brauche vielleicht auch ganz viel. 

Es sieht am Ende niemand was sich in den letzten Jahren, Monaten und dann noch einmal Wochen abgespielt hat. Was hinter den „Kulissen“ passiert ist, was das für mich bedeutet hat, was ich schon auffangen und leisten musste und wie wenig ich eigentlich Zeit hatte für verschiedene Baustellen an Rekonvaleszenz. Zeit zu Heilen und zu Gesunden gab es wenig. Egal ob meine Zahn OPs oder nach den Fehlgeburten letztes Jahr, vor allem während der Zweiten, wo es eigentlich schon mehr um den Mann als um mich ging, obwohl ich starke Schmerzen über zwei Wochen hatte und auch so lange vor mich hin blutete. Es ging in den Jahren immer darum weiter oder wieder zu funktionieren. 

Weiter zu machen, aber in dem „Wissen“, was auf mich zukommen würde, dass der Mann ausfallen wird, nur nicht genau wann. Ich wusste seit dem letzten Sommer, dass er gehen würde und auch das musste ich, gerade damals in einer Zeit, in der es mir eben überhaupt nicht gut ging (wie jetzt auch), schon mit mir herum tragen. All das wird dann bei solchen Verurteilungen ausgeblendet. Muss auch keiner genau sehen, das Zauberwort heisst dann wohl Empathie. Gehört ja auch nicht umbedingt ins Netz, denken ein paar.. Jetzt ist es aber so, dass ich es brauche mich auszudrücken, all dem Raum zu geben, das ist grad nicht mehr ein Teil meines Lebens, sondern mein ganzes Leben (steht Kopf). 

Es sah niemand, dass ich neun Stunden nach der Stillen Geburt, sechs Stunden nach der anschliessenden OP, ausgespuckt aus dem Krankenhaus, wieder zu Hause funktionieren musste, Wäsche abnahm, auf hing, putzte, aufräumte und wieder Mittagessen kochte, buk und all das tat, während ich den Kindern einfühlsam erzählte, was passiert war. 

Eine Geburt, die ich allein durchstehen musste, wie die Kürettage vor Jahren, bei der verhaltenen Fehlgeburt in der 14.Woche, weil mein Mann mir nicht beistehen wollenkonnte. Und nur wenige Tage danach zwei Geburtstage von mir geplant und ausgerichtet wurden, Geschenke besorgt und eingepackt, nicht zu vergessen: Ostern. 

Ich glaube auch, dass der Mensch dazu neigt Ratschläge zu geben, helfen zu wollen und dabei nicht aushalten kann einfach nichts tun zu können. Diese Ohnmacht und dabei zuzugucken, wie etwas wirklich scheisse ist, jemand leidet, das anzunehmen und nicht zu versuchen, da etwas zu retten, das können die wenigsten.

Da kommen aus verschiedenen Richtungen, die lieb gemeinten Ratschläge sich von Aussen Hilfe ins Haus zu holen. Als hätte ich selbst daran nicht gedacht, die Möglichkeit schlicht übersehen. Aber ich habe mir bereits Gedanken dazu gemacht, mich informiert als kompetenter Erwachsener. Und diese Kompetenz wird einem von so Manchem dann schnell abgesprochen. Als wäre man zu blöd sich Hilfe zu holen, sei beratungsresistent und diese Hilfe (die es doch schlicht geben muss!) nur nicht annehmen kann, selber Schuld, dass man jetzt in dieser Situation sei, „du könntest ja… „/ „hättest du mal…“

Aber man verliert über Wochen auch den Partner, den Partner, den man sich „ausgesucht“ hat sein Leben zu teilen und dann ist man auf einmal völlig allein. Das dieses Supportsystem in dem Moment weg bricht, eben vor allem auf emotionaler Ebene und das parallel auch keine Hilfe als Mary Poppins einzieht, die 24/7 da ist und mit der man sich gleich super versteht, sieht man nicht so gern. Und ja vielleicht hat man schon keine Kraft mehr, sich auch noch all dem zu stellen und tausend Anträge auszufüllen, noch mehr Baustellen. Und es bliebe punktuelle Hilfe, die vielleicht ganz nett ist, aber auch schwierig umzusetzen, es ist ein Leichtes zu sagen, die komplizierten Strukturen einer Großfamilie sind die gleichen wie in der einen Kleineren. Und diese vereinzelte Hilfe hab ich so auch, durch meine Schwiegermutter, die mir meine Therapiestunde ermöglicht und sich für andere Termine Zeit nimmt oder kommende Woche durch meine Schwägerin, die mit den Kleinen und mir oder ohne mich einen Ausflug geplant hat. (Spoiler: Ein weiteres Kind hat gespuckt, es gibt also sehr wahrscheinlich keinen Ausflug.)

Die Große ermöglicht mir ja auch den Spaziergang, damit ich mir Gedanken machen kann und versuchen mich selber aufzuräumen. Das Schreiben hilft mir ja auch irgendwo anzukommen. Und was auch nicht unbedingt gesehen wird, dass ich letztes Jahr nicht umsonst diese Panikattacken bekommen habe, (nachdem ich vor Jahren meine Angststörung behandelt hatte), weil ich schon da belasteter war, durch das war mir im letzten Jahr bzw in den letzten Jahren widerfahren ist, aber auch durch den immer mehr ausfallenden Mann. Zudem ahnte ich, was auf mich zukommt, obwohl das so auch nicht stimmt, denn da ging ich noch von drei Wochen Abwesenheit aus und jetzt sind es plötzlich Sechs geworden, ich wusste damals auch nicht, dass ich entweder gar nicht oder allein in den Urlaub fahren müsste und auch nicht, dass ich meine Tochter verlieren würde- all das was mir letztes Jahr passiert ist, plus der Druck und die Zusatzaufgaben, die da schon auf mir lasteten, brachten mich in die Praxis meiner Therapeutin Ende des letzten Jahres und regelmässig seit Anfang diesen Jahres. Ich bin da ja nicht aus Spass. Und auch hier, diese Hilfe bekomme ich nur in Häppchen, nebenher, neben meinem Alltag. Es wäre nie vorgesehen, dass ich als Frau dauerhaft über längere Zeit ausfalle. 

Das mit mir herum zu tragen, dass ich in all den Jahren immer weiter machen musste, mit gebrochenem Fuss, und vier Wochen später den anderen auch noch verletzt, immer weiter machen, mit kleinem Baby im Tuch zum Kindergarten und zurück plus Haushalt, weil niemand da war- es stand einfach nicht an, mir zu helfen, der Mann musste arbeiten. Dieses als Frau immer Funktionieren müssen, wie ich Letztens schon in meinem anderen Post geschrieben hatte, in diesem Patriarchat, in diesem System, das macht was mit einem. Und der Mann hat jetzt entschieden, dass er diese „Auszeit“ braucht aus verschiedenen Gründen, und es steht niemanden zu, darüber zu urteilen, ob es mein Recht ist, jetzt so zu fühlen und zu schreiben, denn ich denke, dass das hätte umgangen werden können, wenn er in den letzten Jahren auf das Bitten meinerseits reagiert hätte, anders als er hat, das sieht keiner. 

Auch die Hilfe der Kinder ist punktuell, sie putzen nicht einmal in der Woche ein Klo, waschen keine Wäsche (lehne ich allein schon aus logistischen Gründen vollkommen ab), sie können das zum Teil auch gar nicht leisten neben den Prüfungen gerade. Sollen sie auch nicht und ob mir das nun so geholfen hätte, als ein Kind sich Freitag (und heute) erbrach oder ein Malheur mit Pipi auf der Treppe passierte, stelle ich in Zweifel, denn neben dem Aufwischen startet ein Film im Kopf, „Was wenn wir jetzt wirklich Magen- Darm im Haus haben? Wie soll ich das allein schaffen? Was mache! ich als Erstes, am Klügsten und danach und danach…“ und wieder fehlt der Partner an der Seite, der in diesen Situationen all die Jahre mitgewirkt hatte. 

Und die Kinder sind natürlich auch in ihren eigenen Welten gefangen, ist ja auch nicht so als wären die davon nicht belastet, dass der Papa auf einmal für sechs Wochen weg ist, erklär das mal einer Vierjährigen oder einem Zweijährigen, auch mit den grossen und kleinen Kindern macht das was. Und auch das muss ich auffangen, völlig irrelevant wie ich mich fühle. Ich bin nicht alleine davon betroffen, ich muss Fragen beantworten und Auffangen, dass die Kinder sich Gedanken machen und Überraschung Gefühle haben. Und dieses Hilfe holen bei den Kindern muss wohl dosiert sein, gerade jetzt in der Prüfungszeit, aber auch generell, sie haben sich ihre vielen Geschwister nicht ausgesucht und auch nicht entschieden geboren zu werden, der Hauptteil muss immer bei mir liegen, das ist mein Job, ich bin die Mutter, das Familienoberhaupt. Ich würde mir natürlich manchmal mehr wünschen, dass sie sehen was ich tue, auch für jeden einzelnen, aber auch das ist im Endeffekt auch nicht ihre Aufgabe, mir ein schönes, warmes Gefühl zu geben. Und es gibt so viele Momente, in denen ich total gerührt bin, weil sie da sind ohne das ich etwas sagen musste, dann sehe ich auch, dass ich nicht alles falsch gemacht habe, nur weil sie ihre Wäsche nicht selber machen. Und wenn sie mir helfen mit einer Spülmaschine oder beim Putzen, wie Freitag Nachmittag beim Verrücken des Sofas, schreibe ich das auch genau so auf, und versuche mich zeitnahe für die Hilfe zu bedanken, wenn Noah zum Beispiel Pfand wegbringt oder das Obst und Gemüse aus der Altstadt holt, Emil Brötchen kauft, Anton mit Zelda Pappe wegbringt oder den Tisch eindeckt oder Ben kommt und mit Zoe und mir zusammen den Amazon Fresh Lieferung verräumt. Punktuelle gute Hilfe, über die ich sehr froh bin. Aber ich organisiere eben alles noch alleiner als sonst schon, kann mich mit keinen Partner absprechen, mich nicht austauschen, kann mich nie wirklich ausklinken, selbst wenn ich kurz das Haus verlasse.

Mit den Kindern möchte ich ein respektvolles Miteinander, sie helfen so sie können, aber an anderen Stellen eben nicht. Anton hat vorhin Zeldas Haare geföhnt, weil ich noch mitten beim Kochen war, sie aber aus der Wanne wieder herauswollte, das sind alles so Zuarbeiten, die gut tun und so wertvoll sind und die ich wahrnehme und alles andere Regelmässige würde schon gar nicht funktionieren, ist ja nicht jeder jeden Tag um die gleiche Uhrzeit da, es gibt Routinen, aber nicht jeder ist jeden Tag gleich mental fit.

Und das ist auch oft so einen Frauen- Shaming: „Ja, das musst du dir dann besser organisieren, dir die Kids da ranholen!“, immer schön wieder die Verantwortung zur Mutter schieben, der das aber auch wieder nur noch mehr Care-Arbeit macht, sich zeitintensiv hinzusetzen und einen Plan sinnvoll auszuarbeiten, der bei jeder kleinen Eruption eh am Wackeln ist. Und allein diese Geschwister- Dynamiken sorgen für die Unberechenbarkeit des Alltags, ob nun zwei Teenagerjungs einen Abend komplett aneinander geraten, aus dem Nichts oder die Kleinen sich einen Tag besonders ausdauernd piesacken und immer einer hysterisch kreischt. Grossfamilienmutter sein heisst vor allem flexibel zu sein. Es gibt andauernd im Grossfamilien-Alltag etwas Unerwartetes, das um die Ecke kommt und das muss ich dann flexibel Auffangen, und zwar von jetzt auf gleich, ob es nun „nur“ Streit oder ein Referat ist, das vergessen wurde und mir dann mehr Stress macht, weil ich meinen „Plan“ vom Nachmittag im Kopf hatte, mit den Sachen, die ich gern abgearbeitet haben würde wollen, muss dann aber darauf jetzt akkurat reagieren und ja auch helfen möchte, denn Grossfamilie heisst eben auch füreinander da sein und nicht „Idiot, schau halt wie du allein klar kommst, hast es halt verkackt, viel Spass, nicht mein Problem!“ Kleine wie große Ausserordentlichkeiten, auf die du anpassungsfähig sein musst, als Grossfamilienmutter. Das Leben was ich mir aufgebaut habe und gern lebe, aber das ist grad eben nicht mein alltägliches Leben, es ist Ausnahmezustand. 

Kommentare deaktiviert für Ausnahmezustand