Lagebericht- aus der vierten Woche
Nach schrecklich schlimmem Streit am Freitag kam überraschend gestern der Mann für eine Nacht aus München zur Ostsee, für ein paar Stunden. Wir hatten somit ein ganz wenig Zeit nach zwei Wochen, in denen wir uns nicht gesehen hatten. Zuletzt hatten wir uns am Ammersee getroffen, jetzt nach 14 Tagen einander in die Augen zu schauen und etwas (wie es die Kinderschar zuliess) miteinander zu (be)sprechen, war jetzt irgendwie nötiger als gedacht.
Dinge, die nie aufgearbeitet wurden, auch Schicksalsschläge, die da Schlag auf Schlag kamen seit (und auch schon vor) dem Tod meines Schwiegervaters Ende 2019, der Tod meiner eigenen Mama Anfang 2020, die Pandemie, die dadurch resultierende Dauerbelastung und Daueranspannung, dazu das letzte Jahr, was mir besonders viel abverlangte, die Fehlgeburten insbesondere aber auch dieses Zahn- Trauma, jetzt der Tod unser Tochter, eine weitere Fehlgeburt, dazu aber auch der nun existierende Liebeskummer, all die über Jahre großen und kleinen eingefahrenen Ehe(kommunikations)probleme, die einander auf die Palme bringen, kann man grad nicht gut miteinander begleiten, sich abends versöhnen und zueinander finden, denn zuviele Kilometer liegen zwischen uns, er allein in der Klinik, ich „allein“ und oft einsam, obwohl umgeben von neun Kindern- keine gute Kombination.
Ich fühle mich gerade wieder wie ein streit- und dramasuchender Teenager, was mir wirklich unangenehm ist, nicht wie eine erwachsene Frau, die seit fast 20 Jahren mit diesem Mann verheiratet ist. Situationsbedingt ist meine Zündschnur kurz und meine Impulskontrolle praktisch aufgelöst, so sehr stehe ich seit Wochen unter Dauerbelastung und Druck, ja schon viele Monate, in denen ich auffangen und funktionieren musste, etwas, an dem ja der Mann gerade arbeitet. Aber während er gesundet, tut er das quasi auf meinem Rücken, es ist und bleibt schwierig. Aber die Liebe ist da und ich glaube und hoffe, dass das das Wichtigste ist. Dennoch habe ich Angst, vor dem nächsten Streit, der kommen wird. Denn die drei Ältesten sind nun zusammen mit dem Papa abgereist. Was ein Glück, dass das ungeplant jetzt wie gegossen gepasst hatte. Er fliegt nach einer Nacht ausserhalb der Klinik zurück, sie fahren Bahn nach Hause, aber alle Vier sind sie heute Mittag die erste Wegstrecke gemeinsam gefahren.
Mir bleiben hier sechs Kinder, zwischen 13 1/2 und fast 3. Ich war noch sie so lange von so vielen Menschen, die ich liebe gleichzeitig getrennt und so weit weg, das macht ganz viel mit mir und ich vermisse sie eigentlich schon seit gestern Abend, als wir aufgeräumt haben, ich gepackt und nochmal Wäsche gewaschen hatte und wir irgendwann auf dem Sofa saßen und zusammen noch einen Film geschaut hatten. Sie fehlen mir alle ganz schrecklich. Mein Körper hat nach ihrer Abreise auch gleich mal rebelliert, so viel Verantwortung wieder allein, so viel das mich daran erinnert, was ich in dieser Woche noch tun muss und auf den ersten Blick: Überforderung. Wie soll das alles gehen?
Und ich habe natürlich wirklich Respekt vor dieser vor mir liegenden letzten Woche Urlaub an der Ostsee. Heute habe ich noch mit dem Mann das bestellte Leih- E- Lastenrad abgeholt, das mir hoffentlich Kraft und Möglichkeiten gibt für die kommenden Tage, zwischen Pappe und Pfand wegbringen, Geld holen, Bäcker, Einkaufen, Mahlzeiten planen, herrichten und zubereiten und aufräumen, Putzen und Wäsche, aber nebenbei es den Kindern (und mir?) noch schön machen, dabei fehlen mir natürlich gerade jetzt nochmal mehr, die wachsamen, aufmerksamen Augen meiner großen Tochter, die anpackenden Hände auch den ältesten Sohns und die oft fürsorgliche Art des drittältesten Kindes. Aber eben auch der Austausch mit genau diesen drei Kindern. Die Gespräche mit ihnen, mein Herz ist wirklich schwer und gleichzeitig wünsche ich ihnen eine gute Zeit allein daheim zu Dritt, sturmfrei. Und hoffe, sie geniessen diese Woche ein Stück weit Unbeschwerheit, vielleicht noch einmal mehr, nach dem sie uns Eltern jetzt noch ein paar Stunden zusammen (erlebt) hatten, auch die gelöstere Stimmung und ohne dieses Treffen hätte eines unserer Kinder seinen Papa sechs Wochen am Stück gar nicht gesehen, das ist so eine lange Zeit, auch für ein Teenanger Leben, also bin ich mehr als dankbar gerade. Ich wünschte dieses Gefühl könnte ewig anhalten, aber die Erschöpfung, Anspannung und Verantwortung werden mich schneller einholen, als mir lieb ist. Dafür hab ich das hier festgehalten.

Ein Kommentar
Ulli
Mein Herz ist so schwer, wenn ich das lese. Es tut mir alles so leid und ich lasse ganz viel ???? hier!