Andere Vorweihnachtstage


Ich war jetzt das dritte Mal auf dem Weg zur Ostsee dieses Jahr und wieder war alles anders als geplant, 1000km mit Bus und Bahn und das zweite Mal allein mit ein paar Kindern.

Geplant war eine Anreise Freitag nach der Schule mit allen Familienmitgliedern. Daraus wurde eine Fahrt in zwei Gruppen. 

Denn Dienstag Nachmittag schrieb mir eine Freundin, fragte wann wir fahren würden und schickte gleich einen Screenshot von einer Sturmankündigung hinterher. Diese Nachricht brachte alles durcheinander, vorallem in meinem Kopf war Chaos.

Ich hatte immer mal wieder gesagt, dass es schlau gewesen, wäre wenn einer eher hoch fahren würde, schon mal vorfahren und alles vorbereiten, denn so war alles eng getaktet.

Organisatorisch war das ein Großevent für elfeinhalb Personen. Seit vielen Wochen dreht sich alles nur um Weihnachten. Im Sommer haben wir gut geplant, ich habe unzählige Listen erstellt, schon viel eingekauft, auf dem Dachboden eingelagert. Nils hat einen Weihnachtsbaum bestellt. Ich eine Bofrost Bestellung fertig gemacht, das Essen durch geplant. Ich habe fast alle Geschenke weit vor der Zeit eingewickelt und über eine Woche vor Weihnachten auf den Weg gebracht, nach unserer heimischen Familien- Weihnachtsvorfeier mit Oma und Tante, dazu schickten wir ein weiteres Ess- Paket, drei DM- Pakete brachte ich auf den Weg, die Oma nahm noch ne Kiste mit hoch, auch mit Dekokram und es gab einen vorbestellten Einkauf im einzigen Lebensmittelladen vor Ort, auch dazu hatte ich mir Gedanken gemacht, für uns ohne Auto- weit und breit der einzige Laden.
Zeit einzukaufen, bzw diesen Einkauf abzuholen und noch Vergessenes einzusacken war Samstag nur bis 12.30Uhr, nur etwas mehr als 12 Stunden nach unserer Ankunft in der Nacht zum Samstag. Alles geplant- bis ins Detail. Und dann kam dieser Sturm, durch meine gut informierte Freundin, wussten wir davon bevor gefühlt irgendjemand davon gehört hatte. Würde es so schlimm werden wie erwartet oder hätten wir Glück? 

Der Mann und ich haben innerhalb weniger Stunden alles auf den Kopf gestellt.

Ich habe für vier Menschen auf die Schnelle einen Koffer gepackt, alles andere liegen gelassen, was auf den Plan war und nebenher bitterlich geweint, kurz vor Weihnachten getrennt werden, nicht wissen wie lange, fühlte sich ungut an. Ich war noch nie länger als 48h ohne Lilou und Henry, dazu zweimal der Packstress, allein wieder zu Hause mit allem anderen, den letzten drei Tagen, den anderen sechs Kindern. Ich kam abends runter immer noch hin und hergerissen, ob das die richtige Entscheidung ist, sah den Adventskalender von Zelda und Lilou, den sie sich teilten und fing wieder bitterlich an zu Weinen. Es war wie in einem Horrorfilm: Niemals nicht trennen und genau das hatten wir vor. Waren wir bekloppt? Aber die Vorstellung Freitag mit Kinderwagen, vier Koffern, neuneinhalb müden Kindern, zwei davon noch recht klein, irgendwo zu stranden war der absolute Horror. Weihnachten zu Hause zu sitzen ohne Geschenke? Gar nicht erst hochkommen, alle Geschenke oben, alles Essen… es war ganz rational die richtige Entscheidung. Der Koffer war gepackt, die Wickeltasche, der Kinderwagen, etwas Essen für den ersten Abend, die Tickets gebucht, alles mal eben so zack zack innerhalb weniger Stunden. Das Entscheiden war schlimm. Erwachsensein ist echt scheisse. Ich hab nachts fast kein Auge zugetan, Henrys Anwesenheit eingesaugt und inhaliert, zuvor in der Nacht hatte ich Gott sei Dank neben den beiden Hustemäusen geschlafen.
Ich hatte solch eine Angst, dass wir bis Weihnachten nicht zusammen kommen, nicht wissen, wann ich Mann und die Kids wiedersehe… ob Henry überhaupt mitfährt, Lilou war beim Einschlafen schon von der Idee ohne Mama zu fahren nicht begeistert gewesen. Am Liebsten hätte ich alle eingepackt, wäre gemeinsam gefahren an diesem Mittwoch Morgen. Aber ich hätte das Packen und Aufräumen nicht geschafft, nicht so schnell, nicht in dem Korridor, der noch blieb für eine komplikationslose Reise, ab von Schulpflicht und ein Kind war mit seinem Partner verabredet, das wollte ich ihm auch nicht wegnehmen. Als das Kind mich morgens angrummelte, grummelte ich zurück, ich war so unglücklich. Wie kann was richtig sein und sich gleichzeitig so kacke anfühlen? Ich war so traurig, hab nach dem Abschied morgens nur noch geweint und mich sodann in die weitere Orga gestürzt, um nicht durchzudrehen. Ich hab das Weinen gebraucht, mir auch wenn ich mir irgendwie doof vorkam, weil ich schon mehrmals zwei Nächte von meinen Kindern getrennt war und dachte, woher jetzt all diese Traurigkeit kam, aber das Jahr war doch zuviel, es fühlte sich alles nur doof an. Es folgten zwei Tage Packen, drei Arzttermine, Einkaufen, Putzen usw. Ich war so platt, nur auf den Beinen. Ich sass nie still. Immer noch dies und das, kein Runterkommen möglich, immer unter Strom, nachts schlief ich kurz, unterbrochen und schlecht, wollte nichts vergessen und stand früh auf, um die Schulkinder gut auf den Weg zu bringen.

Dabei bin ich selber seit einer Woche total erkältet. Die Entscheidung war goldrichtig. Der Mann hatte mit den drei Kindern eine ereignislose Fahrt am Mittwoch, alles lief nach Plan und sie kamen sogar um eine humanere Uhrzeit an, als sie es mit uns regulär gewesen wären.

„Unser“ Zug fiel derweil aus, diese Nachricht erreichte mich nach Katzenklos leeren und vor dem Brötchen schmieren, während das Taxi schon um die Ecke bog. Obwohl die Schulkinder noch gar nicht zurück waren, die sich so freuten, auf die anderen, Weihnachten, Ferien- was ein verrückter Tag. Wir Eltern haben schnell ein paar Alternativen durchgesprochen, ob nachts fahren eine Option wäre (no way), einen Tag später zu fahren, hoffend dass alles ruhiger wäre und mein Herz zog sich zusammen, bei dem Gedanken noch eine Nacht ohne die Minis zu sein und dann ploppte da ein Zug auf, wir haben es probiert und gelang. Die Kinder haben wieder von der Aufregung nichts mitbekommen, wir Eltern haben entschieden, gepokert, hätte auch schief gehen können. Wir irgendwo stranden, umkehren müssen, nun waren wir unterwegs. Während der Fahrt war ich total angespannt, klappt alles? Seh ich die Kinder heute noch, wenigstens schlafend? Wir waren später da als erhofft, aber hatten so viel mehr Glück als so viele Andere. Es war eine sehr emotionale Woche. Wieder hab ich ordentlich Federn gelassen. Wenn das so weiter geht, hab ich kommendes Jahr nur noch graue Haare. 

Als wir dann endlich da waren, in ein Haus kamen, in dem schon so viel passiert war, unsere weiteren Koffer geöffnet hatten, Kindern Zähne geputzt und ins Bett gebracht hatten, erfuhr ich, dass Henry gespuckt hatte. Ich wusste schon, dass er hustet, aber ich hab in den ersten Stunden neben ihm kein Auge zugetan, er hat so arg gefiebert, rasselnd geatmet. Ich war so glücklich neben den Kindern zu liegen. Eins im Bauch, eins links und rechts und noch zwei im Zimmer, aber ich hab mir solche Sorgen gemacht. Ich hab mir alle Mühe gegeben, trotz der totalen Erschöpfung alles rational zu betrachten, aber es war so schwer, ich holte Fiebersaft, machte ne Stunde später noch ne Flasche fertig, cremte seine Brust und den Rücken ein, versuchte mein Glück mit Nasenspray. Es erinnerte mich an unser erstes Weihnachten hier, 2018 mit Lilou als kleinem Baby. Sie hatte eine spastische Bronchitis, fieberte und ich dachte damals nur: Warum bist du doofe Nuss hier her gefahren?! Es waren schöne Tage dennoch, Lilou musste zwar zum Arzt damals und bekam Cartison, aber es war immer so eine Unruhe in mir. Wie lange braucht so ein Krankenwagen hier am AdW, wenn das Kind zu schlecht Luft bekommt? Wann ist es zu schlecht? Henry schlief so unruhig, wachte immer wieder auf, spuckte wieder fast, bekam so schlecht Luft… ich hab einfach nur aufgepasst und mich versucht wenig zu bewegen, irgendwann bin ich dann trotzdem eingeschlafen, obwohl June ganz komisch im Bauch lag oder meine Gebärmutter mal wieder einfach nur zwickte und zwackte. Henry heute morgen trotz Fieber und Husten spielen zu sehen, war Seelenbalsam, es geht ihm überhaupt nicht gut, gespuckt hat er heute wieder wegen Husterei (hoffentlich wirklich nur wegen dem Husten!), aber wir sind zusammen und vielleicht gab es heute so einen Moment, in dem hab ich vor Eeichterung und Dankbarkeit ein Tränchen verdrückt, weil wir es geschafft haben und hier zusammen sein können. Und es trotz allem, die richtige Entscheidung war, denn der Mann hat hier ordentlich mit den Kindern was geschafft. Es ist schön. Ich hoffe, das bleibt so. Und vielleicht sind wir ja irgenwann alle gesund, nur den Liebeskummer, den kann ich nicht schön reden. Aber der logistische Aufwand, zwei Orte gleichzeitig im Auge zu behalten ist dann echt zu viel für mich. Das krieg ich nicht auch noch unter, bleibt zu hoffen wir haben hier schöne Tage und schaffen neue schöne Erinnerungen. Nichts hat auf, gefühlt, überall noch Schäden vom letzten großen Sturm an der Ostsee im Herbst, so viele Schilder mit „Betreten verboten“. Alles sieht anders aus als noch im Sommer, aber es hat auch etwas Entschleunigendes, zumindest nachdem dieses Weihnachten geschafft ist, denn ich sass bis gerade eben noch, mal wieder auf dem Boden, hochschwanger einfach nicht schön und nach all den Wochen durchpowern auch nicht, aber wenn das große Kind dann sagt: „Mama, das sieht so schön aus!“ dann lohnt sich das alles doch ganz gewaltig. 💛

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