Ihr Kinderlein kommet, oh kommet doch all, zu uns, wenn der Schuh drückt oder so…

Jetzt sind wir seit etwas mehr als zwei Wochen wieder zu Hause und schon so tief versumpft im Alltag des neuen Jahres. Neue Sorgen tun sich auf und Alte sind noch nicht einmal so richtig bewältigt und verarbeitet.

Unsere Art zu Leben macht manchmal etwas einsam, da fehlt der Austausch an vielen Stellen oder schlicht die Zeit dafür. Zeitgleich gibt es aber mit den Kindern nie so richtig abgeschlossene Phasen, alles beginnt von vorn mit jedem neuen Menschlein und neue unbekannte Abschnitte beginnen. 

Aus dem Netz sind oft erst viele Fotos von Kindern verschwunden und irgendwann auch die Themen rund um die älteren Kinder, beide Male mit der Begründung sie schützen zu wollen. Aber so fehlen auch Role Models, gerade an Stellen wo man sie bräuchte und vielleicht die eigene Erfahrung fehlt oder zu ungenügend ist: Mental Health, Neurodivergenz, Gender Fragen, Schulsorgen, Ausbildungsabbrüche, PartnerInnen im Leben der eigenen Kinder. Zudem kommt: Wir sind eine Nation, in der man nicht „scheitern“ darf, immerzu erfolgreich sein muss und keine gute Fehlerkultur hat. Zwei Irrglauben ziehen da auch gleich mit, Nummer 1: Ältere Kinder machen keine „Arbeit“, laufen mit, lösen sich quasi in Luft auf und „helfen“ uns Eltern und Nummer 2 der allseits beliebte Satz: „Kleine Kinder- kleine Sorgen, große Kinder- große Sorgen“. Ich glaube, dieser Satz ist geprägt durch erschöpfte Eltern, die eine alte Lebensphase verklären, sich nicht mehr gut an Ängste und Hilflosigkeit samt Sorgen erinnern können, und die durch den Dauerlauf, der Elternsein ist, die aktuellste Phase immer als die Fordernste ansehen oder es so empfinden und so wird schnell ein Lacher aus früherer Überforderung und die Kinder erst richtig anstrengend, nach acht bis zehn Jahren, wenn dann Worte wie Vorpubertät fallen.

Dabei kann es genauso schwierig sein Zugang zu einem wütenden Dreijährigen zu finden, wie zu einem wütenden 17Jährigen. Ich kürze das radikal ab und sage in meinen Augen ist dieser Vergleich, diese Phrase absoluter Blödsinn. Denn wenn ich neben meinem Kleinen liege und Angst habe er kriegt keine Luft mehr, ist das mehr als existentiell. Läuft mein Kind los und rennt zur Strasse, besteht die Chance, dass es sich ernsthaft verletzt oder gar stirbt. Ich fand schon immer und finde immer noch, mit kleinen Kinder geht es schnell um Leben und Tod. Wenn mein großes Kind seine Ausbildung abbricht oder keine Lehrstelle findet, ist das ganz sicher kein Grund zu feiern (vorallem wenn es dem Kind damit nicht gut geht), aber es ist nichts Lebensbedrohliches. Und auch eine Verantwortung, die man mit den Jahren (nicht bei Kindern von 15/16) auch lernen muss abzugeben. Ich würde meine Kinder nie hängen lassen, aber ich glaube, ich bin wirklich irgendwann(!) nicht mehr ihres Glückes Schmied und ja ich weiss wovon ich spreche. Wenn ich hier gerade von solchen Themen wie Schulsorgen oder ihre Zukunft schreibe(n würde). Ich finde keine Phase einfach. Und Elternsein ist und bleibt ein Marathon.

Ich hatte ja darüber schon geschrieben, wie nervenaufreibend und kraftzehrend diese Wochen und Tage vor Weihnachten waren. Ich hab einfach nur noch funktioniert, schlecht geschlafen und war total fix und fertig. Als wir dann grad angekommen waren an der Ostsee und Weihnachten anstand, hatte ich nicht plötzlich neun dankbar strahlende Kinder vor mir unterm Weihnachtsbaum sitzen. Nein, eines sagte, es wäre gar keine richtige Weihnachtsstimmung aufgekommen, ein anderes Kind lief telefonierend und grummelnd durch die Flure, des für uns doch recht kleinen Hauses am Meer. Es tropfte nur so die Unzufriedenheit und das Unglück heraus, jeder zugegeben klägliche Versuch Kontakt aufzunehmen, scheiterte. Ich fühlte mich hilflos. Und wusste wirklich nicht, was zu tun sei. Das Kind wollte keine zwei Wochen mit uns am Meer sein, sondern vermisste seinen Partner. So eine Konstellation aktiviert sofort eingefahrene Muster, dass man das nur aussitzen muss zum Beispiel. Das fühlte sich schnell nach keiner Option an. Dann bekam ich noch gar nicht richtig an Ort und Stelle angekommen, am ersten Weihnachtsfeiertag schon Nachricht vom tollen Partner des Kindes, er könne zu uns kommen, wenn es denn ginge. Also wieder Chaos im Kopf, mit den Kindern gesprochen und schweren Herzens entschieden, dass das da oben einfach nicht geht. Die Schlafplätze sind rar. Das betroffene „Kind“ wurde immer mürrischer. Und wir versuchten unser Glück noch an eins, zwei Stellen, um an einen Schlafplatz zu kommen, so dass sich alle anderen nicht einschränken müssen, aber keine Chance. Was jetzt? Zusammenleben so viele weitere Tage unmöglich, der Mensch schlecht gelaunt, verteilte diese Gefühle auch grosszügig unter den jüngeren Geschwistern. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass ich das hier in keiner Silbe bewerte wie das Kind sich gefühlt hat. Es war überhaupt nicht einfach. Ich erzähle lediglich mit den Worten, die mir zur Verfügung stehen von einem Struggle aus unserem Grossfamilienalltag. Irgendwann natürlich als die Kleinen dann schliefen, gegen 23Uhr nach einem langen Tag, kam das unglückliche Kind dann doch auf uns zu. Endlich! Es wollte gern Heim. An dieser Stelle muss man so Sätze, die sich automatisch abspulen sofort aus dem Hirn niederkämpfen: „Dieses Verhalten nicht auch noch belohnen“, ploppte da auf… führt nur zu absolut gar nichts, keinen macht es glücklich. Aber es sind so Standardsätze, die reflexartig an die Oberfläche kommen. Also nahmen wir das Geld in die Hand und kauften eine Fahrkarte und der Mann und liebevolle Vater spazierte am 02.01. an der Ostsee mit dem jetzt halbwegs glücklichen Kind um 6Uhr(!) morgens zur Bushaltestelle, kaufte noch ein Busticket und winkte dem Kind, das dann eine Stunde zum nächsten Bahnhof fuhr und am Abend mit einer Stunde Verspätung in der Heimat ankam und liebevoll begrüsst wurde. Krise gelöst, aber ich merkte, mir fehlt an dieser Stelle die Erfahrung. Ich habe vorm Kaufen der Fahrkarte die ganze Nacht wach gelegen und mir überlegt, was ich dem Kind an Worten mit auf den Weg gebe, was ich mir wünsche. Denn in der Paartherapie wurde sehr schnell klar, dass ich ganz wunderbar die Bedürfnisse der Kinder wahrnehme und die des Mannes und denen nachkomme, aber weder gut auf mich achte, noch wirklich spüre, was ich brauche. Also die ganze Nacht wach gelegen und mir die Worte zurecht gelegt, dem nachgespürt was ich ausdrücken will. Dass es eben nicht offentsichtlich war, dass das Kind so empfinden würde. Ich verglich das in etwa mit der Idee, man würde die Türe aufmachen und mir mitteilen, dass es regnet. Was man von mir oder uns als Eltern erwartet hatte, kam da nicht so wirklich rüber, wenn das Kind sagt „zwei Wochen sind lang“= „Regen ist nass.“

Ich hätte mir gewünscht, man hätte wegen so einer Lapalie das Gespräch mit uns gesucht und war auch verunsichert in meinem Elternsein, weil das nicht passiert war. Gleich mal vorab: Es klappt immer noch nicht gut, aber es wird hoffentlich irgendwann. Es ist ein Prozess, fordernd.

Mittlerweile bin ich so an einem Punkt im Elternsein, an dem ich glaube, es gibt so etwas wie Pubertät und danach kommt so eine Ablöse- und Loslösephase, in dem man unangenehme Gespräche mit den Eltern führt, sich abgrenzt und verschiedener Meinung ist, was ich auch wichtig finde auszuhalten, dass man nicht zu jedem Thema die gleiche Meinung hat, aber dem anderen nicht gleich aus seinem Leben verbannt oder bestraft durch Liebesentzug. Das geht übrigens in beide Richtungen. Und in diesem Loslassen, diesem Ablösen habe ich selbst keinerlei Erfahrung. Ich spule zurück:

Als ich 17Jahre alt war, packte ich meine Sachen und verliess mein Elternhaus. Ich erzähle auch diese Episode ohne Wertung und nur aus meiner Perspektive. Es war eine schwierige Zeit, meine Mama arbeitete oft von 4Uhr morgens bis 22Uhr abends, ich war oft mit unserem Papa und meiner Schwester allein, die so viel taffer und frecher war als ich. Für meinen Vater war es ein beschissenes Jahr, sein Vater war plötzlich verstorben und dann hatte er noch einen Unfall, musste operiert werden, kurz es war auch für ihn nicht einfach. Wir gerieten aber immer öfter aneinander, zumindest fühlte ich mich in die Ecke gedrängt, er war ja der Einzige, der da war. Ich hätte gar keine Zeit gehabt mit meiner Mama zu streiten. Und ich konnte anders als meine kleine(!) Schwester nicht zurück feuern. Ich hab mich sowas nicht so ganz getraut, zumindest eben wie eingangs erwähnt, war das so in meiner Erinnerung. Ich hielt diese Streiteren nicht aus, gar nicht und ging lieber, unwissend ob ich meine Eltern wiedersehen würde, als weiter in so einem Streithaushalt zu leben, dafür hatte ich damals keine Kraft. Spoiler: Ich sah meine Eltern natürlich wieder. Aber ich zog an diesem Tag dennoch für immer aus. Die Mutter meines damaligen Freundes war besorgt, wollte verhindern, dass wir zusammen ziehen oder war schlicht nett und besorgte mit in Berlin eine eigene Wohnung in Rekordzeit. 40qm, Kachelofen als Heizung. Wie ich mich mit dem Ofen nicht umgebracht habe und der Brickets, ist mir bis heute ein Rätsel. Ich stand dann also auf eigenen Beinen, genährt durch das damalige Kindergeld und Schülerbafög, zudem Toilettenpapierdiebstahl. Es gab aber keinen Loslöseprozess. Ich könnte noch im Detail schreiben, was ich in den kommenden Monaten gemacht oder nicht gemacht, erlebt oder nicht erlebt habe, Fakt ist nach toxischen Beziehungen, Lebensstruggel, traf ich noch 18- jährig im August 2002 meinen zukünftigen Mann im Reallife, der von _dem_ Ostseeort nach Berlin gefuhren kam, es folgte ein Antrag einen Monat später, ich suchte mir auf die Schnelle einen Ausbildungsplatz, zog einen Tag nach meinem 19. Geburtstag von Berlin Friedrichshain nach bei München, mit ihm am 01.11.2002 zusammen, heitatete am 23.02.2004 und stellte in den Flitterwochen die Schwangerschaft fest. Kurzgefasst und warum ich das erzähle: ich war dann einfach 600km von meinen Eltern weg, auch von jetzt auf gleich. Nichts mit Loslösen, Streiten, sich Abnabeln. Wenn jetzt also meine Kinder so strugglen, mit uns wichtige Gespräche zu führen, den Kontakt zu uns nicht finden, es Unstimmigkeiten gibt, zwangsläufig oder ich mich in Emotionen wiederfinde, die ich nicht erwartet hätte, in eigenem Strugglen mit Begebenheiten, die von Aussen immer so sonnenklar und easy schienen, dann haut mich das gleich zweifach um, weil ich ab hier keine Erfahrung mitbringe, weder von der einen noch von der anderen Seite. Und Himmel, es gab schon so viele Herausforderungen. Und ich merke und fühle, dass das jetzt eine wirklich herausforderne Zeit wird, in der ich geduldig mit mir sein muss, denn für meine Kinder hab ich immer ganz viel Verständis, auch wenn ich mir wünschen würde, sie würden sich mehr trauen ins Gespräch mit uns zu gehen, am Besten zu humanen Uhrzeiten 😅

PS: Die oben ausführlicher beschriebene und gewählte Situation ist nur ein Beispiel, wir haben aber mehr Kinder, ich fand das nur am unverfänglichsten, um das Thema das mich umtreibt -meine mangelnde Erfahrung-, aufzugreifen.

Kommentare deaktiviert für Ihr Kinderlein kommet, oh kommet doch all, zu uns, wenn der Schuh drückt oder so…