Abreise Fuck Up

Ich habe in dieser Woche viel darüber nachgedacht, inwiefern man eigentlich von „uns Frauen“ erwartet, dass wir unseren neuen Alltag als frisch gebackene Mama, genauso sensationell gebacken bekommen wie zuvor. Gefühlt erlebe ich das häufig, dass man gerade Grossfamilienmüttern dieses Straucheln nicht zugesteht, weil „sie ja schon wissen wie es geht“, gerade die, die noch mehr erleben wie alles durchgeschüttelt wird, weil sie viel mehr Menschen im Blick haben und verschiedene Stadien des Lebens gleichzeitig erleben. Und das über Jahre, manchmal Jahrzehnte hinweg. Ich störte mich diesmal daran, wie ein jeder nun davon ausging, ich würde das schon wuppen, das mit dem Packen, den zwei Anreisen, den zwei Haushalten, alles mit drei Monate alten Baby (und neun eigenen natürlich grandiosen Kindern und einem lieb gehabten Schwiegerkind). Alles muss laufen wie immer. Ich bin wirklich unfassbar dankbar, dass meine Schwägerin uns da sieht und gestern vier Kinder mit in den Indoorspielplatz nahm, es war daheim mit den anderen sechs Kindern plus Schwiegerkind, den Planen, Packen, Putzen und Aufräumen, schnell noch dies und bloss nicht vergessen das, nicht wirklich langweilig. Ich war total fix und alle, aber nicht fertig, das war ich erst nach 23Uhr. Ich hatte sogar was „für mich“ gemacht und war mit Baby beim Geburtstag einer Freundin, natürlich nur wieder eine Stippvisite bis June keine Lust mehr hatte und meine Packpanik zu gross wurde und im Stechschritt ging es heim, am Rücken wie jeden Tag in dieser Woche einen vollen schweren Rucksack und vorn dran im Tuch, die kleine June.
Ich hab mich in dieser Woche auch gefragt, was eigentlich passiert, wenn ich streike. Wenn ich nur meinen Alltag machen würde, so wie viele Männer „nur“ arbeiten gehen. Statt zu Packen und mich um den Abreisekram auch noch zu künmern, denn das tun die meisten Frauen, die ich kenne. Die wuppen die Zusatzbelastung noch „nebenher“, während der Mann arbeitet, es wird einfach erwartet das Frauen das tun, und wenn man dann nicht pünktlich abreisen kann, wird noch gemeckert, der Mann gernevt im Auto. Mànner sind die Helden, wenn sie einen Koffer schliessen, den sie gepackt hat. Natürlich erst nachdem kommentiert wurde wie viel unnötigen Kram man wieder mitnehmen müsse. Oder lassen sich beklatschen, wenn sie die Koffer und Taschen kunstvoll innerhalb weniger Minuten ins Auto verräumen, die wir tagelang Stück für Stück gepackt haben. Während sie das Haus putzt und ein schlechtes Gewissen hat, weil die Kinder eine Runde zuviel Medienzeit haben, ist er genervt weil er eine Reise-Route raussuchen oder eine Fahrkarte kaufen muss, in eine Ferienstätte, die sie gefunden hat. Und auch das stiess mir sauer auf, während mein Mann sich jetzt einarbeiten darf, ich sehr happy um die neue Stelle bin, hat meine Arbeit sich verändert, ein neuen Schwierigkeitsgrad erreicht, da ist einfach eine Person mehr. Während also die Männer ganz geschäftig nach der Geburt wieder arbeiten gehen, um die Familie zu ernähren, meistens zurück in einen Alltag den sie kennen, in ihre alte Arbeit, ist für die Frauen alles anders, aber man gesteht ihnen das kaum zu. Alles steht Kopf, muss neu organisiert werden, aber die Männer knüpfen den Grossteil des Tages dort an, wo sie aufgehört haben. Bei uns dagegen: alles höher, schneller, weiter. Das schwache Geschlecht. Ich hatte zuletzt vor über dreieinhalb Jahren ein Baby zu Hause, das ist eine Riesenumstellung, zudem bin ich vier Jahre älter und meine Kinder übrigens auch, was es mitnichten leichter macht und lange Schonfrist gabs jetzt auch keine. Und so stellte mich diese Woche nochmal sowas von hart auf die Probe. 

Es machte den heutigen Tag nicht besser, dass wir so eine krasse Fahrt hatten. Für die Kinder waren es eben auch anstrengende Wochen bis hierher. Sie sind zum Teil angeschlagen und wenn dann im Zug alles kommentiert wird, was die Kinder tun oder eben nicht tun, zerrt das so an den Nerven! Ich weiss nicht, was Paare im mittleren Alter erwarten, wenn sie Fahrten für einen Zug buchen, anscheinend, dass sich alles nur um sie und ihre Bedürfnisse dreht und ein jeder wissen möchte, wie es ihnen gerade zu jeder Minute geht. Ich hab da keine Lust mehr drauf. Ich hab kein Auto, keinen Führerschein, wenn ich den hätte, würde ich nie mehr mit der Bahn fahren, genau deswegen, weil es zusätzlich so belastend ist, so unter Beobachtung zu stehen und verurteilt zu werden. Aber es gibt gefühlt so Menschen, die fahren einmal in ihrem Leben mit der Bahn irgendwohin und erwarten, dass es gefälligst so still ist, wie sonst in ihrem eigenen Auto und sind empört und irrtiert, dass es andere Lebeswesen gibt, die ebenfalls in diesem Transportmittel sitzen und fühlen sich von jedem und allem gestört, wollen das alles leise ist und keine anderen Menschen um sie herum ein Geräusch machen. Und ich versuche schon immer, das auszublenden, versuche mich nur auf meine Kinder zu konzentrieren, aber es kostet so viel extra Kraft, (die ich sowieso nicht habe) und es setzt mich so unter Druck, ich will dann erst Recht irgendwann alles leise haben und das klappt dann noch viel weniger, weil alle nur noch mehr unter Strom stehen.
In dieser Anekdotenfahrt fehlen glatt: Kiffer- Jo, der jetzt wo es geht, alle 20min zum Klo flitzt, um sein THC zu geniessen und die Fahrt zu bewältigen und unser Quoten- Deutsches- Durchschnittpärchen mit 1,6Kindern, die total genervt sind, weil man nicht via Gedankenübertragung vier Reihen weiter sitzend weiss (bevor jemand fragt, weil es keine anderen freien Sitzplätze Monate vorher buchend mehr gab), wann das Kind die Kopfhörer braucht und Hilfe beim Suchen und Anstecken und sich beim Joggen zum Kind mit Baby auf dem Arm anhören muss: „Ja, ich wollte auch schon was sagen!“ und zum Ehegatten: „Sowas hätten UNSERE Kinder ja nie gemacht, nech Schatz?!“
Und da es für uns Eltern, eh schon anspruchsvoll ist, weil den Kids langweilig ist, sie sich bewegen wollen, aber nur während sie am Besten alles mit Mama machen möchten, hier und da Hilfe brauchen und so eine Fahrt von 6Uhr morgens bis nachmittags um 17Uhr, nach nur wenigen Stunden „Schlaf“ auch für beide Eltern wohlgemerkt, (weil Henry abends das Bett vollgekotzt hatte und der Wäschetimer unerbittlich den Mann aus dem Bett klingelte und meine innere Uhr und June mich sowieso alle halbe Stunde weckten) und wir in Summe alle zusammen heute über 11Stunden unterwegs waren mit vier mal Umsteigen, echt anstrengend ist. Dabei ist man so gut und nach all diesen Jahren so routiniert als Team, spricht mit den Kindern, agiert statt nur zu reagieren, bereitet die Kinder auf niedertrampelte Passagiere vor, bringt ihnen bei hinter der Linie zu Laufen, zu warten bis Züge ein oder ausgefahren sind, manöviert sie durch verstopfte Rolltreppen, volle Züge, bereitet sie auf Trennungen im Vorfeld so gut vor, so wie heute, spricht Worstcase Szenarien durch, als würden sie nie eintreten, vertröstet und ermutigt schier unermüdlich und versucht Sicherheit im Chaos zu vermitteln.

Durch unsere Verspätung mussten wir alle Pläne über den Haufen werfen, wie immer waren wir gut organisiert, hatten im Lebensmittelladen hier im Ort via Mail vor Tagen bestellt, aber es musste abgeholt werden, wie auch das Lastenrad. Die Läden schliessen aber um 18Uhr, wir waren aber erst kurz nach 17Uhr hier im Ort, also stieg der Mann unterwegs beim Fahrradladen aus, um das vorbestellte Lastenrad noch abholen zu können, fuhr dann die Lebensmittel einsacken und wir fuhren derweil mit den Taxen weiter ins Haus. Hiess ich war wieder allein mit sieben Kindern, drei Koffern, drei Kosmetikkoffern, neun Rucksäcken, einer Wickeltasche, einem Maxi Cosi, einem Tuchbeutel. Um den Schwierigkeitsgrad zu erhöhen, wachte June kurz vor den Tor weinend auf, obwohl ich sie umständlich im mitgeschleppten Maxi Cosi gestillt hatte und Henry wollte auch schlafend ins Haus getragen werden. Ich bin froh, zum Einen über unsere sozial kompetenten Kinder und zum Anderen um die wahnsinnig lieben und kompetenten Taxifahrerinnen hier vor Ort, auch die Leute beim Metzger und im Lebensmittelladen kennen uns schon und ermöglichen Vorbestellungen und sind wahnsinnig lieb.

ich stand dann aber hier im Haus, mit all unserem Kram, auf der Treppe die bestellte Spezi, unter der Treppe vier Kartons von DM, mit unseren Windeln und anderem Krams, den wir brauchen, auf meinem Handy eine Liste mit Basics, die ich schnell checken musste, wie Öl, Backpulver, Nudeln usw weil der Mann gerade noch einkaufen war und der Laden gleich schliessen würde. Die Kinder derweil angekommen, wollen an den Strand, suchen ihre Spielsachen, möchten Kakao, wo doch die Milch in den DM Kartons ist, das Kakaopulver im beschriftetem Koffer, June weint, die Kinder ihre Badesachen wollen, es aussieht als wären drei Koffer und vier Kartons explodiert. Der Mann kommt, mit den ersten von vielen Giganto Einkäufen, die Kinder kaum im Wasser, das Erste schon wieder raus, in die Wanne, aus der Wanne, während man grad mit Weine- June im Sling völlig fertig die Kommode einräumen will, die einem entgegen fällt, es schallt: „Mir ist kalt, wo ist mein Pyjama (deswegen räumt man ja die Koffer aus), ich brauch eine Wärmfflasche…“ und man sitzt einfach nicht bis die Kinder kaltes Abendbrot mit Schnittchen- und Obstteller hatten… nur noch Betten richtig zu Ende beziehen, davor ausziehen, nur noch schnell die Wickelstation aufbauen, die Sandalen aus dem Koffer zu den Halbschuhen und die Jacken und wohin jetzt mit den Badesachen, was von Dachboden holen, nur noch schnell die Flaschen fürs Bett, nur noch Vorlesen, nur noch Einschlafstillen, nur noch aufräumen… wieso ist es schon wieder 22Uhr?

Und dennoch, sobald das Taxi an dem Zugang zur Strandpromenade an unserem Strand vorbei fährt, wir unser Meer sehen, die leuchtenden Kinderaugen, verbunden mit vielen Jahren schönen Erinnerungen, weiss man warum man den Weg gemacht hat, und wenn dann nachts irgendwann die Anspannung abfällt und Erschöpfung sich breit macht, schleicht sich auf die Dankbarkeit an, weil man hier sein kann und darf, erinnert sich an die tollen Gespräche und schönen Momente, mit der allerbesten Mannschaft, wenn auch nur noch zu Teilen und nicht mehr im Ganzen.


6 Kommentare

  • Tina

    Es ist so eine unfassbar krasse Leistung die Ihr da jedes Mal vollbringt! Allein die Planung vorher und dann die Umsetzung. Wahnsinn!
    Ihr habt meinen größten Respekt und voller Demut plane ich unseren Ostseeurlaub mit uns gerade Mal 5 Hansels…

    Habt eine schöne Zeit <3

  • Kunstliebe

    Ich finde es auch so unglaublich was ihr bzw. du so stemmst. Mir wurde beim Lesen schon schwindlig und bei uns vergeht die Zeit auch so schnell, aber mit nur drei Kindern. Irgendwas läuft bei uns falsch mit der Planung.????????.Diese komische und gespenstische Stille kenne ich auch nur in Deutschland ( DB), denn letzten Sommer haben wir Interrail mit den Kindern gemacht und sind 7.500 km durch Frankreich und Spanien gefahren. In den Zügen war es so angenehm. Jeder hat geredet, gelacht usw. In Deutschland hab ich jedes Mal das Gefühl , dass sogar mein Atmen stört. Soooo seltsam und ungemütlich. Wenn ich Großfamilien bei Ausflügen sehe hab ich nur den größten Respekt und Bewunderung übrig. Tut mir leid, dass ihr so einen Stress hattet. Liebe Grüße

  • kassiopeia

    Danke für diesen Kommentar! Einfach danke! Ja, es gibt so coole Reisen mit Kindern und hier in D fragt einen immerzu jemand, ob man nicht wüsste, dass es ein Kleinkindabteil gibt- ja für fünf Hanseln und eben bitte schön weit weggesperrt- mit Tür zu. Neuerdings sind ja auch Ruheabteule mit Milchglas geplant, was ich ja sogar noch gut finde, bevor man andere anmotzt oder wenn man unter social anxiety leidet.