„Das Netz ist ein guter Ort, wenn…“

„… wir ihn dazu machen…“ so oder so ähnlich schrieb Johannes Korten damals im Internet und es wurde diskutiert. Es war ein Appell, ein Gedankenanstoss. Daran musste ich heute denken, als ich mich wieder einmal maßlos über Menschen in diesem Internet geärgert habe.

Ich bin vielleicht kein Digital Native, wie meine Kinder, aber ich war früh im Netz unterwegs. Verbarg in Websites irgendwo versteckt Gedankenfetzen, Fotos und Gedichte, um meinem (Welt)Schmerz und den Depressionen einen Raum zu geben, wir sprechen hier so von rund um 2000. Ist also schon ne ganze Weile her. 

Und damit war ich nicht allein. Es gab so viele, die es mir gleich taten. Man lernte sich so kennen, las intime Gedanken und Gefühle, schrieb einander in Foren oder Gastebüchern.

Ich möchte nicht nur Schlechtes über das Netz sagen, nicht nur habe ich vor über 23Jahren meinen Mann dort kennen gelernt, auch habe ich so Frauen getroffen mit denen ich teilweise über Jahre manchmal fast täglich oder nur in wertvollen Quintessenzen im Austausch bin, mit denen ich mich verbunden fühle, Intimes teile, die ich aber (meist) noch nie im „echten“ Leben getroffen habe, weil es unser Alltag und unsere Möglichkeiten als (Ehe-) Frauen und Mütter bisher unmöglich machten.

Was würde Johannes Korten zu dem Netz heute sagen? Twitter existiert so nicht mehr. Die Bubble, die ich dort einst hatte, wer mehr als nur ein Haufen Menschen, die benickten was ich tat oder schrieb. Blogs liest kaum noch jemand und ja auch mir fehlt diese wertvolle Zeit, andere so zu begleiten, die Kinder gehen nicht mehr um 20Uhr ins Bett. Und da tut sich keine wertvolle Freizeit mehr auf. 

Als ich 2005 anfing zu bloggen, angestossen durch den Mann, fand ich nicht nur Menschen, die mir nach dem Mund sprachen. Was haben wir uns gefetzt, diskutiert, Stunden und Tage in Kommentarspalten erklärt und mit Worten gespielt und die Menschen, die ich noch heute im Herzen habe, hatten vielleicht ganz andere Lebensmodelle als ich, aber da war doch Respekt. Wieviel konnte ich von der Andersartigkeit anderer mitnehmen? Wurde mir erklärt, offenbart, konnte sich mein Horizont stetig erweitern? Mitfühlen, dabei sein und Anteil am Leben anderer nehmen?

Ganz sicher bin ich nicht stolz auf jeden Satz, jeden Funken, der mein Hirn verlassen und den Weg ins Netz gefunden hat über die Jahre, aber dennoch war da doch stets Wertschätzung und Gleichwertigkeit irgendwo ein Stück weit. Oder rede ich mir das nur Pink? Verkläre ich da alles? War das schon immer so wie es jetzt ist?

Was mir heute Magenschmerzen macht sind Hetze, ungefilterte weitergeteilte nicht in Frage gestellte Halbwahr- und Unwahrheiten, eine Empörungskultur, eine Bewegung der Unverzeihlichkeiten. Oft getarnt als Meinungsfreiheit, nur die Wahrheit sagen wollen, oder gern auch das Totschlagargument „Ja, wenn du das ins Netz stellst, bist du selber Schuld, dann bist du halt Freiwild!“- Und ich sage heute wie damals einfach nur: „!“

Aber ganz ehrlich? Wie kommt ein Mensch darauf, sich die Zeit zu nehmen, aus wenigen Zeilen, die für einen Fremden nicht in Zusammenhang zu bringen sind mit meinem Wesen, meinem Leben, über meine psychische Gesundheit zu urteilen, meiner Kompetenz als Mutter, als Mensch? Wie kann man so mit anderen Menschen sprechen? Mir fehlt _mein_ Twitter, mir fehlt der Austausch, ein Zuhören, ein Miteinander, ein Diskutieren, das Herzen, die Umarmungen, Philosophieren, das Auskotzen, Lesen oder Überlesen werden… 

Jetzt ist da allzu oft kein Raum fürs nochmal Nachfragen, ob man was richtig verstanden hat oder für Diskutieren, da sind nur schnelles Urteilen, verletzende wirklich unfassbar herablassende Worte, die doch kaum jemand so jemand Fremdes ins Gesicht sagen würde. Diese Verrohung macht mir Angst. Und ich sehe sie überall. Ich kann das für mich Richtige tun und schauen, welche Räume im Netz mir wo noch wie lange gut tun, das kann ich. Und ich kann weiter im Netz meinen Werten nachgehen, simple Dinge, wie wenn ich nichts Nettes zu sagen habe, lasse ich es oder aber ich muss nicht alles kommentieren, was andere sagen oder tun… ich muss mir auch nicht jeden Schuh anziehen und alles nur so hinnehmen. Und ich kann weiterhin mein Bestes tun, weniger judgemental, dafür weiterhin freundlich und empathisch zu sein. 

2 Kommentare

  • Tina

    <3
    Ich hab Dir ja schon was dazu gesagt :-)

    Ich fühle da wie Du.
    Ich verstehe es absolut nicht was Menschen dazu bewegt solche Dinge ins Netz zu schreiben. Ich kann das so absolut gar nicht nachvollziehen. Und dann auch noch einfach so bei fremden Menschen, ohne annähernd irgendwelche Hintergründe zu kennen. Warum??? Ich würde nie auf die Idee kommen. Wenn ich etwas lese, was mir so völlig widerstrebt, denke ich mir meinen Teil und lese woanders weiter. Fertig.
    Warum habe so viele Menschen das Bedürfnis unbedingt solche Dinge kommentieren zu müssen und auch noch so negativ, provozierend, gehässig und feindselig.

    Ja, der Hass, die Hetze wird gefühlt immer mehr im Netz.
    Warum ist das so? Sind alle mehr agestumpft? Gibt es mehr Möglichkeiten? Haben sich die Nieschen zu sehr vermischt?

    Ich hätte auch gern Klein Bloggersdorf und die angehme Twitter-Blase zurück….

    Und wie ergeht es jungen Menschen, die nur dieses Internet von heute kennen? Die gar nicht wissen, wie kuschlig es mal war?

    Ich liebe das Internet sehr. Es begleitet und bereichert mein Leben auch genau seit dem Jahr 2000. Ich habe so unfassbar viel dadurch dazugewonnen und gelernt, erlebt und so viele Menschen kennen gelernt, die ich nicht mehr missen möchte (<3).

    Aber es fängt an wirklich keinen Spaß mehr zu machen.

    Ich drück Dich. Es tut mir leid, dass Du das erfahren musstest.
    Komm, wir gründen ein neues Internet. So. :-)