
Einfach schwimmen
Am Schönsten war es so ein paar Tage nach dem Ankommen, als man sich eingelebt hatte und das Urlaubsende noch nicht zum Greifen nahe war, so wie jetzt. In diesen Tagen war ich am erholtesten, entspannesten und vielleicht glücklichsten, als nur die Gegenwart, nur der Moment zählte.
Jetzt sind da mehrere Zeitzonen gleichzeitig, es wird mir eng in der Brust. Ich hab das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Ich habe meinen neuen Taschenkalender mit dem großen A4 Familienkalender synchronisiert. Ich versuche gerade für hier August vorzuplanen, für zu Hause und für die letzten Tage hier, zwei Orte, drei Timelines.
Ich bestelle, räume Sachen in die Schränke. Wir bringen Dinge zurück abgebaut in die Garage und auf den Dachboden, wir haben längst angefangen hier unsere Spuren zu verwischen.
Ich konnte nachts vor zwei Tagen erst nicht einschlafen, war wach bis 3Uhr, was schön ist keine Frage, kurz vor der Sommersonnenwende ist es eigentlich gar nicht richtig dunkel hier am Meer, ich ging mit Henry auf Toilette und sah der Sonne dabei zu, wie sie wieder über das Meer heranrollte, ganz langsam.
Aber es sind nicht nur die Nächte, an denen ich dieses Gefühl merke, auch tagsüber kann ich mich wieder nicht mehr fallen lassen, auf kein neues Buch mehr einlassen, da sind auf einmal wieded so viele Listen, soviele Dinge, die ich hineinquetsche in Momente, wenn ich sitze, wenn ich stille, zwischen Anschubsen auf der Schaukel und Zeitnehmen beim Parcour, schnell was aufschreiben, bevor ich es wieder vergesse.
Für Tom haben wir zum Beispiel noch immer keine Lehrstell und auch Plan B ist bisher nur ein Platz auf der Warteliste und wieder verbunden mit Schulgeld zahlen. Also nach wie vor lose Enden hier zum Schuljahresende, ein weiteres mal aushalten, dass noch nicht alles verknüpft ist, wir gar nicht wissen, wie es hier und da weiter geht. Ich habe ohne den Abschlussball von zwei Kindern, genau fünf grosse Events, die ich planen muss, in den kommenden fünfeinhalb Wochen zu Hause: Emils Geburtstag, Antons Geburtstag, Henrys Geburtstag, Lilous Geburtstag und Lilous Einschulung. Für Emil habe ich bereits alle Geschenke, aber nachdem ich kommenden Montag und Mittwoch eineinhalb Stunden beim Zahnarzt gewesen sein werde, muss ich bis Donnerstag Abend seine Geschenke einwickeln, Kuchen backen, den Tag planen und dekorieren- mit Geschenkpapier, das sich noch nicht in meinem Besitz befindet und Luftballons, die ich von hier oben nach Hause bestellt habe.
Von Anton weiss ich, was er möchte, was er sich wünscht. Aber ich muss es so bestellen, dass ich es auch bezahlen kann. Und er weiss noch nicht was er machen möchte, drei Tage bevor wir wieder hochfahren werden. Henry das Geiche, plus dass wir Henrys Geburtstag hier feiern an der Ostsee, das erste Mal. Wofür ich bereits Luftballons und Deko hier hoch bestellt habe. Aber noch keine konkreten Geschenkideen habe, ausser den angekreuzten 25% des Schleich Katalogs. Lilous Geburtstag das Gleiche, für die Einschulung habe ich den Ranzen, die Schultüte, sammele seit Monaten sinnvolle Geschenke, aber Lilou hat noch nichts anzuziehen und eingepackt ist auch nichts. Und die Tage sind nicht geplant. All das muss aber fertig sein, bevor wir fahren, weil wir Henrys Geschenke mitnehmen werden ans Meer und erst nach Hause kommen, wenn Einschulung und Geburtstag quasi stattfinden. Und bis auf Kuchen keine Zeit mehr sein wird, für Geschwistertüten oder Geschenke bestellen oder einpacken. Zudem bekommen die Jungs Schulabschlussgeschenke.
Und der ganz normale Schuljahresend- Wahnsinn mit zwei kaputten Eltern, die Zahnersatz und Physiotherapie brauchen. Also suchte ich nach einem Bild, wie ich mich fühle, um diese Enge, dieses Gefühl keine Luft mehr zu bekommen malerisch erzählen kann: Ich stehe also auf einem Laufband und soll beim leichtem Trab, ein Puzzle lösen, und zwar schnell, denn währenddessen kommt die Decke immer näher und will mich zerquetschen und damit es lustiger wird, wirft einer Steine nach mir, denen ich sinnvoller Weise auszuweichen versuche. So fühlt sich das an, wieder Heim zu fahren. Ich weiss nicht wie ich das schaffen soll, ich weiss, ich werde das schaffen, ich werde es hinbekommen, weil ich muss, ich gar keine Wahl habe, ich werde sinnvoll einen weiteren Urlaub organisieren, nochmal packen, alle diese Festivitäten planen auch klug mit unserem Geld umgehen, dass wir uns noch was zu essen kaufen können. Denn ich bin ja jetzt total erholt, habe in dem Bruchteil von Tagen ganz tief Luft geholt und kann jetzt ganz lang den Atem anhalten und schwimmen, äh tauchen.

