Die vorletzte Woche
Bis in die Nacht zum Montag war ich mit den Kindern allein, in manchen Momenten kam ich mir vor wie eine Heldin, in anderen Augenblicken wie eine Versagerin, weil ich etwas vergessen oder nicht geschafft hatte oder gestresster war, als ich sein wollte. Oder beides gleichzeitig. Ich wollte nicht die Heldin spielen. Deswegen hatte ich mir vorab genau überlegt, was ich wann mit den Kindern machen möchte und wo ich ganz bewusst Zeit für mich abzwacken könnte, einplanen kann.
Denn dieses Wissen macht sich in mir breit: Es passt niemand auf mich auf. Da kommt keiner angeschwebt, macht mir Tee, ne Wärmflasche, schaut ob ich genug Schlaf bekomme, dass es _mir_ gut geht. Das muss ich selbst tun. Selbst für mich sorgen, ist unfassbar schwer. Nach all diesen Jahren Selbstaufgabe, ist ein scheiss Wort aber man guckt doch wirklich immer zuerst nach den anderen als Mutter, immer schauen wollen, dass es allen gut geht, immer wissen wollen und nachspüren, was alle anderen brauchen, immer all die anderen Bedürfnisse ganz vorn anstellen. Jetzt damit anzufangen, zu versuchen zu spüren, was _ich_ brauche und wo meine Grenzen sind, ist so fordernd. Und damit bin ich in allerbester Gesellschaft. Ich lese das überall von Frauen mit heranwachsenden Kindern. Allen geht es da gleich. Zumindest wirkt es auf mich so, sich Abgrenzen, seine Bedürfnisse wahrnehmen, sich Zeit für sich nehmen, das steht ganz oben auf der Lernen Seite.
Und ich sehe das aktuell wie diese Flugzeug- Not- Situation- wenn Mutti keinen Sauerstoff mehr hat, kann sie den Kindern, die scheiss verfickte Maske nicht mehr aufsetzen. Ich hatte schon immer mal wieder das Gefühl an manchen Tagen zu „ersticken“ oder zu ertrinken und ich bin wohl die Einzige, die das ändern kann.
Ich frage mich also in letzter Zeit ganz oft, worauf habe ich Lust? Womit kann ich mir eine kleine Freude machen im Alltag. Worauf hab ich Appetit? Was tut mir grad gut? Das ist unfassbar schwer, ein langsamer Prozess, der auch Rückschläge mit sich bringt.
Sagen wir mal so, von meiner Planung, hat Vieles gut geklappt, bei manchem musste ich mich spontan anpassen und annehmen. Aber oft war ich willig, aber die Umstände schwach, mal wachte Junebug eher auf, mal machte das Wetter nicht was eigentlich angedacht war, ein anderes Mal fehlten Zutaten, um vor der Schlafzeit von June zu kochen, um dann wirklich entspannt zu Lesen, statt angespannt zu wissen, ich muss gleich noch zu Ende kochen. Es mangelte also hier und da an der glückenden Umsetzung, nicht in meinem Willen, es mir angenehmer zu machen.
Und Koordination ist alles. Samstag, nach der erster Nacht allein, ging ich morgens Brötchen holen, machte dan üppig Frühstück, verräumte parallel eine Knuspr Bestellung, machte Hausarbeit, begann zu kochen, aber wartete noch auf das fehlende, lieber Weise zu liefernde Gemüse, um meine Lasagne zu enden zu kochen. Und wusste, ich muss, weil ich den Kinder versprochen hatte mit ihnen nachmittags noch Schwimmen zu gehen. Ich lasse mir schon bewusst Zeit gerade am Wochenende. Und ich hatte mir dieses Wochenende so geplant, dass wir nicht nur daheim aufeinander hocken, aber ohne das ich zu gestresst bin, auch was die Mahlzeiten anging, angepasst ans Wetter- eigentlich. Zum Schwimmen musste ich Will noch mal bitten mitzukommen, was er lieberweise machte, dort konnte ich dann durch ihn 20Minuten Schwimmen, aber hatte immer mit langem Hals alle immer wieder im Blick. Ein Baustein Seelenzeit. 20Minuten hört sich toll an, das war es auch, ich habe es definitiv genossen, aber das sind, wenn du 24h Stunden mit deinen Kindern verbringst, was ich tue- 20Minuten von 1440Minuten am Tag und dann klingt das nicht mehr ganz so aufregend. Eine Sprache, die sogar klassiche Ehe- Männer in einer Hetero- normativen Partnerschaft verstehen, Logik & Zahlen. Das sind 1,39%.
Ich beendete also die vierte Woche zwischen Pfingst- und Sommerferien allein mit unseren Kindern, was noch einmal eine Herausforderung war. So aus der Anspannung, (der Mann hatte on top mal wieder Rücken bevor er fuhr,) rein in dieses Wochenende, in dem ich auf mich gestellt war, da wieder raus und hinein katapultiert in eine weitere volle Woche, die sich verdammt nahe an Abreise anfühlt. Es ist ein bisschen als würde ich von einer fahrenden Regionalbahn, auf einen ICE springen, um dann mit Ankunft des Mannes wieder hier, zurück auf einen Regio zu springen, der sich aber irgendwie als weiterer ICE entpuppt.
Ich kam gar nicht mehr rein in die Entspannung, da wo mein Mann einfach abends zocken, einfach basteln kann und an nichts denken, richtig loslassen, unterbreche ich im Minutentakt alle pseudoentspannenden Dinge, um mir etwas aufzuschreiben, bevor ich es vergesse und irgendwie auch damit es „raus“ kann aus meinem Kopf und da nicht herum schwebt.
Ich merke die Daueranspannung an den wenigen sozialen Kontakten, an steigendem schlechtem Gewissen samt dazu parallel ansteigendem Stresspegel.
Meine Freundin schrieb… „einfach mal alles fallen lassen, in jeder Hinsicht, abschalten… tun worauf man Lust hat… dann wären da auch wieder mehr Kapazitäten für Freundschaften und… anderes, was nur noch auf ein Minimum reduziert nebenher läuft…“.
Und genau das ist es, alles andere wird runter gefahren. Ich laufe draussen in der Natur, praktisch mit dem Handy in der Hand, denke „So, das packe ich jetzt weg und geniesse“… und dann ploppt ein weiterer Gedanke auf, ich hab wieder das Handy in der Hand. Gleiches Spiel von vorn, zwischendrin denken, oh nein meine Schwester, mein Papa, meine Freundinnen, Nachrichten nicht beantwortet… ach fuck, das muss ich den Mann noch fragen, und die Kinder… und… dann bin ich schon wieder daheim und kein fucking Stück entspannter.
Diese Woche fragte mich bei der Physiotherapie- ein Mann und frischer Papa- „Warum bist du denn so gestresst?!, unbedarft, für ihn hat der Juli keine Relevanz, ein Monat wie alle anderen im Jahr. Wie einem Fremden mit mehr Wörtern, als „Sommerfeste“, „Abschiede und Geschenke“, „Geburtstage“ versuchen begreiflich zu machen, was gerade in meinem Leben passiert? Ich musste dann selber lachen, als er fragte, was denn heute so Thema sei, woran wir arbeiten wollen und ich antwortete ich sei so verspannt, im Nacken und Rücken, als würde ich all die Last grad tragen. Oh wait. Ich staune dann immer, wenn ich aus dieser Praxis rausgehe, was mir eigentlich alles so wehtut. Auch symbolisch irgendwie. So viele Triggerpunkte, die ich im Alltag, wie chronische Rückenschmerzen durch die zweifache Skoliose, ausblende. Oder die Schmerzen in der Hüfte, durch die Entzündungen, die mich jetzt wirklich seit einem Jahr begleiten.
Da ist so wenig Sichtbarkeit für das, was ich tue, das was ich gerade leiste. Und dann so viel Selbstverständlichkeit, für das was ich (sowieso schon sonst) tue. Und man sieht es nicht. Wie soll ich jemanden begreiflich machen, was ich jeden Tag mache? Jetzt. Nicht sonst schon, sondern wieviel mehr es gerade ist, so vieles das gleichzeitig passiert, im Augen behalten und getan werden muss. Was da alles auf mich einprasselt, was da alles in meinem Kopf vor sicht geht, was ich alles umsetze und machbar mache. Es ist so viel mehr, als das kleine Weihnachten in der Abstellkammer. Mehr als 50 Geschenke habe ich neben meinem Alltag eingewickelt, in etwa vier Wochen seitdem wir hier sind. Her organisiert hab ich deutlich mehr. Es ist so viel mehr als das alles. Es sind Listen, Aufgaben, Bedürfnisse, Freuden, die man machen möchte, so viele Nachrichten, die man sortieren und managanen muss. Allein für die Orga der Familienmitglieder könnte man zwei, drei Stunden am Tag füllen. Extra Fahrten, weil wir nur zwei Erwachsene sind, ich kann nicht mehr zählen wie oft ich zweimal zum Kindergarten gefahren bin, statt mich anzuwechseln mit dem Mann, weil der woanders feststeckte, auch beim Neurologen, nochmal Check Up, nach dem Krankenhaus Aufenthalt. Daran zu denken, alle Bücher abzugeben, die ich über Tage an einer Stelle im Haus gesammelt habe, seit Wochen häufe ich Snacks für die Reise, Goodies für die Geschwistertüten, wieder Nahrungsmittel für die Kinder, die daheim bleiben, so viel Angefangenes, so viele offene Tabs in meinem Kopf, die ich nicht schliessen kann. Und trotzdem passieren mir Schnitzer, ich vergesse, dass ich Bofrost vorbestellen wollte und der nette Mensch steht mitten beim
Kochen vor der Türe, nachdem ich grad erst vom Impfen heim gekommen bin, ich verstehe die Rechnung der Zahnarztpraxis falsch, und ärgere mich über meine falsche Kalkulation der Finanzen, was einen neuen Tab in meinem Kopf aufmacht, ich wickel Last Minute die Pralinen für die Klavierlehrerin ein, ein bisschen Wertschätzung für die Menschen um uns herum. Das ist uns wichtig. Und dennoch vergesse ich Menschen, denen ich gern etwas Gutes tun würde.
Ich habe meinem Mann nach allem was wir gemeinsam erlebt haben, vor seiner Abreise nach Amsterdam Freitag letzte Woche, kein allzu schlechtes Gewissen gemacht (hoffe ich, dennoch ist mir bewusst, dass er seit Ewigkeiten nicht mehr allein mit den Kindern war), darauf bin ich stolz. Ich habe meine Gedanken und Gefühle für mich behalten, wenn ich hier struggelte und ihn nicht zugetextet wie anstrengend alles hier und da ist, habe immer lieb geantwortet und ihnen viel Spass gewünscht, aus der Tiefe meines Herzens, denn eigentlich hatten wir Tom die Reise versprochen, wenn er nicht nach dem ersten halben Jahr von der Schule fliegt, weil da Menschen waren, die wollten wie wir, dass er das schafft, weil er es kann! Weil er so verflixt klug und toll ist! Und er hats geschafft: Bam!
Und dann kickten die Traumata in der Nacht zum Montag, ich schäme mich nicht zu sagen, dass ich ausgelaugt, -ich war letztes Wochenende zwei Mal im Freibad mit den Kids, davon einmal allein, davor den Tag an der Amper zum Planschen am Ufer, habe zwei Lasagnen zubereitet und Sonntag Pizza für alle ausgerollt, war an beiden Morgenden Brötchen holen, abends das Abendbrot, die Kinder immer erst um 22Uhr am Schlafen und in einer Nacht wurde ich leider länger gebraucht, obwohl ich selbst nicht vor 1Uhr im Bett war,ich hasse nachts wach sein und habe dafür so wenig Reserven wie sonst nie -die Nerven verlor und anfing zu weinen vor Angst, als der Mann nicht wie geplant landete mit seinem Flieger, und die Ankunft der Beiden immer weiter nach hinten verlegt wurde. Mein Hirn wusste noch irgendwo, dass das normal ist, dass wir das schon mal auf einem Flug nach Venedig erlebt hatten, kreisen bis wir landen durften, dass sie gleich heil ankommen würden und die Wahrscheinlichkeit mit dem Taxi auf dem Weg nach Hause zu verunglücken höher wäre, als mit dem Flugzeug abzustürzen, aber mein Herz wusste nichts mehr. Ich habe schon zuviel Unwahrscheinliches erlebt. Ich war dann nur froh, als endlich die tiefenentspannten Nachrichten eintrudelten. Habe gewartet bis nach 1Uhr als sie kamen, durch die Türe kamen, ich sie knuddeln konnte und startete in einen vollem Montag, nach noch weniger Schlaf.
Ein bisschen hatte ich diese Woche eine Ahnung von unserem Urlaub, was mich da erwartet, mit den Kindern, wenn der Mann wieder dort oben arbeiten muss, wir aber fast die ganzen Sommerferien da sein werden. Ich habe nicht unbedingt Angst, aber ich weiss wie schwer es mir fallen wird, in diesen Arbeitswochen Nischen für mich zu finden, ich weiss wie schnell die Tage rum gehen, in denen man sich allein um die Kinder kümmert und sich im Kreis dreht. Nie sitzt. Dazu die vielen Wechsel, die auf uns warten. Will kommt nach, Ben kommt nach. Noah kommt gar nicht mit. Will wird dann wieder abreisen und wir werden nicht hier sein, um Noah gut in diesen aufregenden neuen Lebensabschnitt Ausbildung zu begleiten. Das wird schwer. Mein Papa kommt und feiert wieder seinen Geburtstag mit uns. Henry wird oben Geburtstag haben. Auf uns warten aufregende Wochen und ich versuche mir jetzt schon zu überlegen, wie auch ich gut durch diese Sommerwochen komme, das ist mir wichtig, muss wichtig bleiben und es wird sehr herausfordernd.



Ein Kommentar
Tina Fricke
Danke fürs Teilhaben.
Ich wünschte, ich könnte Dir eine kleine Hauselfe schicken… Ach, eine ganze Mannschaft, die sich mal um alles kümmert und Du mal schwimmen/spazieren/whatever und dabei WIRKLICH abschalten kannst.
Du leistest unglaubliches, ehrlich.
Und Du erzählst da grad nicht mal von all den Gefühlen und Sorgen die man allgemein für jedes Kind und seine Baustellen noch hat. Zu all den Arbeiten noch dazu.
Leider hab ich keine Hauselfe grad frei. Ich wünschte es…
Weiter, immer weiter… Du machst das fantastisch. ❤️