Existentielle magische Momente

Mit Kindern wird es ja oft existentiell. Nur drei Stunden Schlaf sind kein Problem, wenn das Babymädchen in 1000km Fahrt vier Mal auf schreit, vor lauter keine Luft mehr bekommen, weil die Nase zu und kein Einschlafstillen möglich ist oder hochschreckt, obwohl sie gerade eingeschlafen war, weil der kleinste große Bruder so laut ist…
Oder abends völlig erschlagen im Schlafzimmeer, mehrmals auf und ab hüpfen, das Ablegen missglückt und somit von vorn anfangen, weil Stillen noch nicht geht, bis die Tropfen abschwellend wirken und dann im Bett einen halben Herzinfarkt bekommen, weil das Babymädchen würgt, nicht mehr atmet -mitten in der Pampa- und dann Zähes ausspuckt und während ich es schreibe, wieder hoch rennen, weil das gleiche Geräuch aus dem Schlafzimmer kommt…
Existentiell – alles aber auch alles tritt in den Hintergrund, nur dieses kleine Menschenwesen zählt. Nur sie.
Egal der fehlende Schlaf oder das sie schon wieder aus dem Schlaf hoch schreckt, es geht nur um sie, darum für sie da zu sein, denn dieser eine Schreck geht durch Mark und Bein!
Alles tritt in den Hintergrund, der gesunde Menschenverstand und das rationale Denken sind vermutlich zwischen Würzburg und Hannover abhanden gekommen, denke ich, vielleicht wäre dann alles weniger dramatisch in diesem Moment- eine Nacht drüber schlafen, dann sieht die Welt wieder ganz anders aus… wenn das doch nur so einfach wäre, ich werde diese Nacht mehr schlecht als recht den benötigten Schlaf bekommen und trotzdem weiter machen…, das weiss ich aber beim beim ersten Aufschreiben noch nicht…

Vor über sechs Wochen haben wir, als meine Eltern bei uns zu Besuch waren entschieden: wir wagen es! Lange haben wir davon geträumt hier oben zu feiern und nun hatten wir das Okay meiner Schwiegereltern und dennoch sehr lange hin und her überlegt, das Für und Wider abgewogen und während die Einen fragten, wie das gehen soll, meinte meine Ma als sie bei uns war und davon hörte nur: „Oh, was für eine schöne Idee!“ Und so nahm alles seinen Lauf, noch in den Tagen als sie hier waren, begann ich eine ellenlange Liste und daraus wurden Listen in Listen… und jetzt sind wir hier. Mit abgehakten, unvollständigen und „noch zu erledigen“- Listen.
So wie meine Eltern mir Anfang/Mitte Novmber den Tipp gaben, jetzt anzufangen zu backen und etwas zu dekorieren, obwohl ich noch ganz in Herbststimmung war, um rechtzeitig und langsam in Stimmung zu kommen, denn die klopft tatsächlich nicht einfach so an der Türe, die muss man sich selber basteln, so gab mir meine Freundin Alex vor fast neun Jahren den Tipp kurz vor unserem Umzug ins neue Heim, damals mit vier Kindern davon ein Baby, geboren im selben Monat wie Lilou und mit nur zwei Monaten Zeit: „Fang gleich an zu packen! Irgendwas, das du nicht brauchst. DVDs, CDs, Bücher, Geschirr, das steht. Fang einfach an! Und du kriegst das hin!“ Und ich fing an zu packen und es war mit einer der besten Ratschläge, weil ich Zeit hatte mich einzufühlen und Stück für Stück alles wegschaffte und deswegen legte ich die erste Liste an genau dem Abend an, als wir beschlossen hatten, wir würden an die Ostsee fahren, um dort Weihnachten zu feiern…
Was wir, was ich hier geleistet habe, ist ein Irrsinn, eine Choreographie, ein komplexer Tanz- dort Feiern im für uns Nirgendwo, ohne Auto- morgen kommt der Baum, der wird geliefert, ein Tiefkühllieferant bringt vieles, ein letztes Mal Einkaufen steht auf dem Plan, Dekorieren des Hauses. Den Baumschmuck für hier musste ich kaufen, denn unserer war im Einsatz, ein Essensplan musste her, der Mann hat ewig telefoniert, denn was so lustig kurz klingt wie: „Tiefkühlware bestellt“, ist in Wirklichkeit Warteschleifen, Weiterleitungen und Wiederholungen, dann ausbasteln was wir brauchen und von vorn bitte. Das gleiche Spiel mit dem Baum. Muss nur noch alles klappen. Eine lange Nacht sass ich über dem Warenkorb der Drogerie und hoffte er würde nicht gelôscht werden und alles hat geklappt, ich habe hier Windeln, Putzmittel, Zahnpasta, Seife, Papierware und vieles mehr, ja sogar Meersalz und mehrere Kilo von zwei Sorten Mehl- alles was wir nicht an einem einzigen Tag schleppen können und dennoch hier sein muss- wie ein grosses Puzzle, das Stück für Stück unser Weihnachtsfest wird.
Nacht um Nacht hab ich in einer kleinen Kammer gesessen und Geschenke heimlich eingewickelt, die ja nicht vom Himmel fielen, sondern, die mussten erdacht und oder bestellt, zugeordnet werden, denn die Oma und Tante und ein paar Paten wollten auch etwas schenken, sofort bei Ankunft wie Alex mal ganz anders meinte, jeden Neuankömmling direkt verpackt. In alten Papieren der letzten Jahre, die wir noch hatten, jedem Kind sein eigenes Papier zugewiesen, das ich mit ihm verband, das macht es wie schon oft erprobt an Heilig Abend deutlich einfacher, noch ohne Namen sind sie nun alle hier vereint, von ein paar Geschenken hatte ich mal zwischendrin ein Foto gemacht, sie dort im Foto beschriftet mit Inhalt, weil sie auf die Reise gingen, diesen einen kleinen Teil nahm der Opa schon mit nach oben, der Rest kam in einen Koffer und so kam es, dass wir heuer vier statt wie sonst zwei Koffer dabei haben, das war nur zu wuppen dank unserer fabelhaften großen Kinder! Vier Koffer klingt vielleicht nach wenig Gepäck, dennoch bleibt es ganz schön viel Zeug, denn wir sind es weder gewöhnt, noch ist es einfach auf der langen Reise mit einem Rucksack pro Nase (die ich mit Priviant liebevoll bestückt hatte) zusätzlich und einem Kinderwagen samt Babyschale fürs Auto, darauf auch noch zu achten, wenn man schon immerzu einen Blick auf acht Kinder haben muss. Wir sind eben eine große Reisegruppe und bei jedem Ausstieg und Umsteigen sind wir Eltern sehr nervös, aber auch am Ausgang sehr unterhaltsam für alle wartenden Mitreisenden bis wir in den Bahnhof einfahren.
Es war das erste Mal, dass wir in der Dunkelheit angereist kamen, es hat so geregnet, aber dennoch brachten die hellen Lichter, die Bäume- private wie städtische Dekoration nicht nur die Augen zum Leuchten…
Ich war nach einer Woche packen nebst allen (kranken) Kindern daheim sehr ko, ich hatte alle Päckchen die Woche zuvor auf den Weg gebracht, einen Berg Kekse liebevoll -und dahin wo sie hingingen mehr als verdient- verschenkt, einige wenige Karten geschrieben, Geschenke für andere verpackt, mit den Kindern eine wirklich schöne Zeit verbracht, Listen vervollständigt und abgearbeitet, gefühlt eine Sache gestrichen und gleichzeitig zwei Dinge hinzugefügt, nachts vor der Abfahrt eben noch weniger als sonst geschlafen, weil Lilou krank war und zu Hause morgens mit zugeschwollenem Auge aufwachte, daher fuhr der Papa heute Morgen noch mal eben um 8Uhr zum Kinderarzt und holte ein Rezept für antibiotische Augentropfen, morgens hatte sie nochmal inhaliert die kleine Lilou und abends noch einmal halb schlafend im Sling dank Pariboy, einem weiter gegebenem Geschenk einer anderen Freundin, extra mitgenommen, mitunter dafür brauchten wir einen weiteren Koffer, so erschlagen von der Woche, der Reise, den Gedanken um die kranken Kinder, dem Packen, den Vorbereitungen und Heimlichkeiten und der Anspannung, ob nun alles klappt und nichts mehr passiert und es passierte ja eine Menge zur Zeit, lief ich abends im Schlafzimmeer auf und ab, ich hielt Lilou und gab ihr Halt. Ich hatte Kopfweh, mir taten die Füsse weh, weil ich den ganzen Tag in den Winterstiefeln meine Orthesen nicht fragen konnte und da war sie meine Zauberminute: Lilou ist das erste Mal am Meer, sie kann es nicht mehr sehen, weil es ja schon stockfinster ist, aber hören und ich fühlte die Magie des Augenblicks, trotz allem und gerade deswegen…

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