Mit Herz

Dieses Stück Papier bedeutet mir sehr viel. Und deswegen schreibe ich heute etwas sehr Persönliches von mir auf. Was ich nie gross an die Glocke hänge und aus Scham in Gesprächen oft verschweige oder um mein Leben nicht einfach mal eben so zusammen gestammelt auszubreiten, auch schon schwindelte: ich habe keine abgeschlossene Berufsausbildung. 

Ich bin quasi der wahrgewordene Albtraum jeder Feministin und halte mich dennoch selbst für Eine, erkämpfe und diskutiere mir meine Rechte, weise immerzu auf Ungleichheiten hin. Aber das ist nunmal ein Fakt, ich habe zwar einen Schulabschluss, aber nie „was gelernt“. 

Dabei habe ich von klein auf sehr viel gelernt. Ich bin „im Markt“ meiner Mama grossgeworden, würde man mich heute in einen Supermarkt schubsen, ich könnte wohl bis auf Bestellungen wahre Wunder vollbringen. Wie viele Stunden haben wir als Familie bei Inventuren geholfen, ich durfte als Kind ganze Regale umspiegeln, es ist mir in Fleisch und Blut übergegangen. 

Als ich das Gynasium in der Berliner Plattenbausiedlung besuchte, ich muss so 15 gewesen sein, wollte ich gern Kinder- und Jugendpsychotherapeutin werden. Aber das Leben kam mir dazwischen, ich kam mir dazwischen. Ich war so ein bisschen verloren. Als ich gerade nach einer Pause und nach dem Abbruch der Erzieherschule zurück auf ein anderes Gymnasium wollte, lernte ich meinen Mann „kennen“. Ich kannte ihn zwar schon, aber ich zog erst von Berlin Richtung München zu ihm, als ich eine Lehrstelle gefunden hatte. Ich war zwar etwas verrückt, aber so sehr nun auch nicht. 

Einen Tag nach meinem 19. Geburtstag löste ich den Rest meiner Wohnung auf, übergab sie an einen lieben Freund und zog weg, zu meinem Verlobten, den ich keine zwei Monate „in echt“ kannte. Weniger als einen Monat später zogen wir dann in unsere erste gemeinsame Wohnung, aber so schnell wie ich die Lehrstelle gefunden hatte, verlor ich sie wieder, meine Depression hatte sich mir wieder einmal in den Weg geworfen. Da stand ich nun in einem anderen Bundesland, ohne Familie, ohne Freunde, ratlos. Ich wusste, dass ich mit diesem Mann Kinder wollte, also sagte ich mir, ich bekomme sonst erst Kinder und weiss dann vielleicht, was ich will oder habe dann den Atem dafür. Ich bewarb mich hier und da, als Buchhändlerin zum Beispiel, die Monate vergingen langsam und ich liess mich auf die Warteliste für eine FOS setzen und fing in einem Supermarkt an zu arbeiten. Obwohl ich weit hinten auf der Warteliste stand, bekam ich als Nachrücker den Platz und ging in München wieder zur Schule. Ein Jahr nach der Verlobung. Als ich 20 wurde, teilten wir unseren Eltern an meinem Geburtstag den Termin für die Hochzeit mit. Nach dem Kämpfen durch die Probezeit, gerade Mathe war nur mit einer lieben Mitschülerin zu schaffen, heirateten wir in den Faschingsferien. Die Probezeit hatte ich geschafft! Offen und ehrlich zu mir gestanden. Und nach der Hochzeit, dort in Friedrichskoog stellte ich dann fest, in den Flitterwochen, dass ich nach eineinhalb Jahren doch schwanger geworden war. Ich hatte viel gelernt, auch über mich durch die Praktika dieser Schulzeit, schaffte die elfte Klasse auf der FOS für Sozialwesen, verliess die Schule, bekam mit 21 unser erstes Kind und dann unser Zweites mit 22. Ich hätte genau an dieser Stelle meines Lebens die Möglichkeit gehabt wieder zur Schule zu gehen und die 12. Klasse auch noch zu machen, mein Mann wäre zu Hause geblieben, aber habe mich dagegen entschieden. Mein Mann arbeitete also weiter, ich hielt ihm den Rücken frei und in weniger als 5 Jahren hatten wir vier Kinder bekommen. Das hätte ich nie gedacht, sowas lässt sich auch nicht planen wie ich heute weiss. Klar hatte mein Mann beim ersten Abend im Reallife gesagt, er wolle zehn Kinder, aber nie im Leben hätten wir gedacht, dass wir 20 Jahre später stehen, wo wir heute sind. Wir wurden ja auch ausgebremst. Trotz des Gefühls mittlerweile, dass ich dazu geboren war mehrere Kinder gut ins Leben zu begleiten, verlor ich irgendwann gefühlt nur noch welche, wir machten eine genetische Beratung, weil ich die Schwangerschaften nicht mehr halten konnte. Ich meldete mich irgendwann für einen Kurs als Tagesmutter an. Und als dieser startete war ich erneut schwanger, durch den Kurs kam ich gut, die Schwangerschaft war furchtbar und die hielten wir online bis zur Geburt auch geheim. Als Emil etwas mehr als ein halbes Jahr alt war, begann ich also als Tagesmutter zu arbeiten. Hier zu Hause, und es war eine absolute Vollkatastrophe. Ich hielt ein halbes Jahr durch mit zwei Tageskindern von knapp über einem Jahr nebst meinem Kleinkind und den vier Großen. Nach der Geburt von unserem sechsten Kind machte ich einen Kurs als Trageberaterin, nach meiner Diagnose: Psoriasis Arthritis. Das war auch eine echte Scheisszeit und Monate (nach der Geburt) voller Bangen und nicht wissen, was mit mir gerade eigentlich passiert und vieler schlauer Leute, die mir sagten, ich müsste ja nur mal mehr auf mich achten, mich entspannen, aber ich war einfach nur krank. Durch das Abstillenmüssen fand Zelda, unser siebtes Kind zu uns und an diesem Punkt war ich seliger als selig, denn nie im Leben, habe ich 2010 und 2011 damit gerechnet, dass ich nach drei Verlusten nacheinander, noch einmal ein Kind, geschweige denn DREI bekommen würde können. Zwischen Zelda und Lilou verlor ich nochmal ein Baby, und aus diesem Verlust, nahm ich viel mit, körperlich und seelisch hat es mir in der 12.SSW viel abverlangt, aber auch etwas geheilt, nachdem ich in der 14.SSW ausgeschabt worden war. Dann kam Lilou- unsere Nummer acht- unsere Unendlichkeit. Unser letztes Kind, dachten wir eine Weile. Dann starb mein Schwiegervater, und ich wurde dankbar erneut schwanger und ich kann nicht ausdrücken, was dieses kleine Leben für uns bedeutet hat, nachdem auch noch meine Mama kurze Zeit später so früh und schnell verstorben war und dann Covid über die Welt kam. Alles Leben sonst gefror, man wusste ja nicht wie es weiter geht. 

Meine Mama wahrhaftig mit meinen Augen sterben zu sehen, hat mich verändert. Nach zwei weiteren Fehlgeburten meine kleine Tochter dieses Jahr tot zur Welt zu bringen hat mich verändert. Ich kannte den Tod schon. Gut eigentlich, aber das war etwas anderes. Und so reifte die Idee, dass ich meine Angst vorm Tod, vielleicht bekämpfen kann, wenn ich auf ihn zugehe. Ich war einmal in Garmisch Partenkirchen so getriggert, als ich an einem Seniorenheim vorbei lief, wo oberhalb der Betten diese typischen Steckdosen und Sauerstoff war, schüttelte es mich so arg durch, dass etwas in mir rebellierte, ich wollte das nicht mehr. Nicht mehr so leben. 

Also hab ich mich trotz der xten Therapie beim Grundseminar für die Hospizidee angemeldet. Und war jetzt egal wie es mir ging jeden Dienstag da. Ich werde jetzt aber nicht sofort auf kranke und sterbende Menschen losgelassen, ich habe den Grundstein für diese Weiterbildung gelegt, für den nächsten Kurs 2025 hab ich mich unverbindlich angemeldet. Ich weiss nicht, wo das Leben mich hintreibt.

Mit meiner Arbeit hier zu Hause gewinne ich keinen Blumentopf, auch mit der ehrenamtlichen Sterbebegleitung werde ich keinen Cent verdienen, aber kann vielleicht hier wie da etwas bewirken und vielleicht auch für mich mitnehmen. 

Ich habe immer versucht mich in meinen Möglichkeiten weiter zu bilden -und wenn ich Pampered Chef Produkte verkauft habe- und diese Möglichkeiten waren als treibende Kraft dieser Familie, mit einem Partner, der viele Jahre aushäusig arbeitete und der Alleinverdiener war und ist, nicht immer gross, eher spärlich. Weil ich mich (mit dem Mann) für diese Form der Familie entschieden habe und dafür diesen Weg der Kindererziehung zu gehen, keine Fremdbetreuung unter drei Jahren, danach nur bis 12Uhr, kein Hort für die Schulkinder, keine Ganztagsschulen, kein Nichts. Ich mache alles andere selbst. (Am Anfang nicht aus Überzeugung, sondern weil es zuviel Geld gekostet hätte, das wir nicht hatten.) Wir haben keine regelmässige Hilfe, schon gar nicht für die Care – oder Hausarbeit. Auch wenn wir eine Oma haben, auf die wir uns im Notfall immer verlassen können. Seit vielen Jahren schon mache ich diesen „Job“, und die Arbeit wurde nur mehr, nicht weniger. Es ist der Weg, den ich eingeschlagen habe. Und ich glaube, ich bin gut, indem was ich tue. Diese Arbeit erfährt nur kaum Wertschätzung und entlohnt wird sie auch nicht. 

Aber ich glaube auch, dass ab von möglicher Altersarmut meine Leere an bezahlter Lohnarbeit nicht am Sterbebett meine letzten Gedanken sein werden, nicht nachdem wir die letzten Stunden mit meiner Mama verbrachten, dessen bin ich mir absolut sicher. Sie war eine starke Frau, die immer mit beiden Beinen unabhängig im Leben stand und vielleicht mehr gearbeitet hat, als ihr gut tat. Als Arbeitnehmer sind wir immer schnell ersetzt, als Familienmitglied nicht unbedingt. Das trage ich zu allem im Herzen. Aber es knabbert dennoch an mir, wenn mich jemand fragt „Und was machst du so beruflich?!“ oder der Mann allen ernstes gefragt wird: „Und was macht deine Frau so beruflich?!“ (Sicher aus Neugierde, but how?) Wir sind ein Team, ich trage dafür Sorge, dass er Arbeiten kann. Auch wenn es Zeiten gibt, in denen ich wünschte, ich könnte Finanziell etwas beitragen, damit die Last verteilter ist. So wie es jetzt gut wäre, andere Einnahmequellen zu haben. Aber wer macht dann meinen Job? 

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