Ein Jahr ohne Hazel


TW: Blut, Fehlgeburt, Stille Geburt, Sternenkind

Naiv vielleicht, aber ich dachte der schlimmste Tag, würde der Geburts- und Todestag sein, aber ich habe seit heute Nacht schlimme Flashbacks und da liefen dann auch schon die Tränen… ich denke das ist normal, wenn es sich das erste Mal jährt und so kamen die Erinnerungen, die ich vor einem Jahr das erste Mal niedergeschrieben hatte, schon in der Nacht… 

Vor einem Jahr lief ich morgens mit dem Mann zum Frauenarzt und diesen Weg lief ich danach nicht noch einmal, ich nahm Monate später immer den Bus… Zur Vorsorge waren wir gekommen, angespannt nicht nur wegen der Placenta Praevia Totalis, das große Kind wusste nicht warum wir zusammen beim Arzt waren, aber passte zu Hause lieber Weise auf die Kleinen neben dem Online Unterricht auf.

Dort beim Arzt brach meine Welt endgültig zusammen, ich hatte recht gehabt, nachts war meine Fruchtblass geplatzt und unser Baby lebte nicht mehr. Ich blutete schon ganz leicht. Mein Frauenarzt war total ruhig, erklärte uns alles, kündigte unser Kommen auf der Station an und im Schock ging es mit dem Mann zu Fuss direkt weiter ins Krankenhaus. Dort angekommen wurde ich detaillierter aufgeklärt, was mich erwarten würde, unter anderem auch eine Tablette fürs Abstillen. Ich musste in so kurzer Zeit so vieles entscheiden, ein wenig half mir, dass ich vor zwölf Jahren schon mal ähnliches erlebt hatte. Wir wollten zum Beispiel ein eigenes Grab und eine Untersuchung. Ich wollte nicht noch einmal nach Hause, hatte keine Ahnung wie ich das den Kindern erklären sollte, wollte nicht funktionieren müssen, obwohl gerade gar nichts mehr so war, wie es sein sollte. Also bezog ich ein Zimmer, anders als vor Jahren ganz für mich allein. Ein Segen! Alle waren bis hierher sehr lieb und einfühlsam gewesen, eine Schwester hatte Tränen in den Augen und machte mich darauf aufmerksam, dass sie nach ihrem Verlust eine Urkunde beim Standesamt abgeholen konnte, fürs Familienstammbuch. Ich bin noch heute dankbar dafür, ein Zeugnis für die Existenz meines Mädchens. Ich redete mit den Mann, wir legten sowas wie eine endgültige Version für den Namen unserer Tochter fest. Ich schickte den Mann Heim fürs Mittagessen, der bald nach Hause kommenden Schulkinder und damit die Kinder nicht so lang allein sind und sass Stunden wie gelähmt nur durchbrochen von Schmerzen und Wehen vor der Anmeldung zum Anästhesie Gespräch. Montags sei immer viel los, hiess es. Aber ich hatte nichts anderes zu tun, ich starrte vor mich hin, versuchte zu verstehen. Nils brachte mir nach etwa zwei Stunden meine Sachen, sass noch bei mir, schrieb mit zu Hause. Misoprostol sollte den Weg zur Geburt ebnen. Ich hatte vorher schon Wehen gehabt, als hätte mein Herz nur darauf gewartet, dass der Verstand die Nachricht bekam, unser Baby würde nicht mehr leben. Der Mann fuhr abends nochmal nach Hause, sah nach den Kindern, verabschiedete seine Schwester, die am späten Nachmittag gekommen war um das große Kind zu unterstützen, aber erst nachdem er ihr erzählt hatte, warum ich wirklich im Krankenhaus lag, danach brachte der Mann noch Henry zum Schlafen. Abends kamen auch zwei meiner Kinder noch ins Krankenhaus, um zu sehen wie es mir geht, sie machten sich Sorgen und wollten mich auch unterstützen, dachten ich wäre wegen einem spontanen simplen gynäkologischen Eingriff im KH, wussten ich muss noch irgendwann in den OP. Das alles stimmte irgendwie. Ich musste das alles erst durchstehen, dann würde ich die Kraft haben, es ihnen zu sagen, die Wahrheit, ich hatte ihre Schwester verloren. Warum?! Ich hatte keine Antworten. Ich stand selber noch so unter Schock. Wir hielten den Besuch relativ kurz, ich hatte Angst vor dem Sturm, den die nächste Tablette lostreten würde. Ich musste mich gar nicht so arg verstellen, ich freute mich wirklich die Zwei zu sehen, meine Liebe für sie zu spüren. Aber Ich wusste nicht wie ich das alles durchstehen sollte. Doch es wurde Nacht. Den Mann schickte ich notgedrungen Heim, ich lag im Bett und versuchte durch den Schmerz zu kommen und irgendwann nahm ich wieder die dritte Tablette. Durch das Fenster in meinem Zimmer hatte ich einen schönen Blick über unsere Stadt und etwas Grün, während der Wehen sah ich den Schnee fallen… kämpfte mich durch diese Geburt. Verlor viel Blut, was mich verunsicherte. Immer wieder sah eine Schwester nach mir, wollte das ich esse, aber ich wollte danach direkt in den OP, wollte nüchtern sein und ich hatte absolut keinen Hunger, sie gab mir die ganze Zeit über in den Tropf etwas gegen die Schmerzen und versuchte in ein Gespräch mit mir zu kommen. Ich weiss noch dass sie unbedacht so etwas sagte wie so viele Andere/ „Vielleicht soll es einfach nicht sein?! Vielleicht will Ihnen Ihr Körper etwas sagen?!“- Natürlich wird „die Schuldfrage“ zu den Frauen geschoben, wie so oft. Weil wir scheitern, weil wir verlieren und nicht halten können.  Andere merken das vielleicht nicht, aber diese Sätze verletzen in diesem Ausnahmezustand. Wenn mein Körper mir etwas sagen würde wollen, dann wäre ich wohl nicht schwanger geworden. Niemand weiss mit Gewissheit, was passiert ist. Warum das passiert ist. Vielleicht war sie doch nicht gesund, obwohl sich bei der Obduktion kein Hinweis darauf fand, vielleicht lag mein Frauenarzt richtig und die Nabelschnur hatte sich um ihren Hals so unglücklich verdreht, denn die lag mehrfach um ihren Hals gewickelt nach der Geburt, vielleicht war die Versorgung durch die Plazenta nur nicht mehr optimal gewesen. Aber es liegt nicht daran, dass ich von Babies nicht genug bekommen kann, Frauen haben keine Schuld an dem was geschieht, durch zuviel Stress verliert man auch kein Baby, das sind alles Mythen. (Dazu findet man mehr, in dem von mir letztens erst empfohlenen Buch „Mutter ohne Kind“.)

Ich war in diese Krankenhauszimmer, versuchte dadurch zu kommen, ich hatte Schmerzen, ich hatte Angst, ich war so unfassbar traurig und ich war allein.

Ich fuhr mit dem Infusionsständer immer wieder zum Bad und zurück zum Bett. Dort im Bad fing ich nach einem langen Tag nach Mitternacht auch mein kleines Mädchen auf. Ich vergass auf die Uhr zu sehen. Dafür wischte ich das Blut wie in Trance auf und von den Beinen, nahm mein Kind und ging zum Bett, betrachtete sie, streichelte sie. Ich hatte vorher gegoogelt, wie sie ungefähr aussehen würde. Hatte versucht mir meine eigene Angst oder Unsicherheit zu nehmen, aber ich fand sie perfekt und schön! Jetzt machte ich ganz viele Bilder von ihr. Ich klingelte dann, erst kam nur die Schwester und die alarmiere dann alle anderen, wieder der junge Arzt, der mir versichert hatte, der Blutverlust sei in Ordnung so, eine ganz liebe Hebamme, diese Schwester. Vielleicht war noch jemand im Raum. Es kam mir damals so viel vor, irgendwie seltsam, so viel Leben in einem Raum, neben ihrem leblosen, kleinen erloschenem Körper. Ich schrieb irgendwann meinem Mann, nach einer Weile gab ich mein Baby ab, gebar zuvor die Plazenta, die Nabelschnur wurde durchtrennt und dann ging es in der Nacht durch ein ruhiges, dunkles Krankenhaus direkt noch in den OP. Und es war okay für mich, dass dieser Eingriff noch bevorstand, nichts konnte so schlimm sein, wie mein stilles kleines Mädchen zur Welt zu bringen. Nach dem Aufwachen schrieb ich wieder dem Mann und lag im Bett. Wartete auf den Morgen. Wieviel konnte in 24Stunden passieren? Irgendwann war der Mann auch wieder wach, versorgte die Kinder, schickte sie zur Schule und kam mich dann abholen. Eine Schwester brachte uns mit verzogenem Gesicht im abgedeckten Körbchen nochmal unser Baby. Die einzige Person, die mir mit ihrem Verhalten verletzt hatte. (Was ein großes Glück war, denn was habe ich mir in all den Jahren alles höen müssen und was erleben andere Frauen in dieser schrecklichen Situation, in der Mann so verletzlich ist.) Nils betrachtete den Körper unseres Kindes, der jetzt drapiert in einem hübschen gehäkelten Körbchen lag. Ich hielt sie, ich ging mit ihr in die Sonne, fragte mich wie ich mich jemals von ihr für immer verabschieden sollte, diese Zeit, die Fotos und Erinnerungen müssten mein Leben lang reichen. Ich küsste sie zum Abschied. Und liess aie dort. Zusammen mit viel Informationsmaterial in den Händen verliessen wir das Krankenhaus zu Fuss und leerem Bauch und kamen zu Hause an, wo wir Schritt für Schritt jedem Kind versuchten zu erzählen, was geschehen war…

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