Von Truhen

Eine Freundin der Familie, selbst Familientherapeutin sagte mir mal an anderer Stelle, unsere
Gefühle und Erinnerungen lägen alle in einer Truhe und man nimmt immer nur soviel heraus,
wie man auch verarbeiten kann. Man hätte zwar das Gefühl dann unter der Portion zusammen
zu brechen, aber letztendlich bekäme man nie das ganze Paket auf einmal zu Verdauen.
Was soll ich sagen? Ich fühl mich taub. Teilweise fühle ich nichts, oder nur kleine Portionen,
die dann aber sofort wieder weg sind.
Wir bekamen soviel Anteilnahme von Menschen, die mit uns trauerten. Es gab Emails, die
ich erst gar nicht, nicht eine einzige beantworten konnte, weil mir die Worte im Halse stecken
blieben, später beantwortete ich nur noch vereinzelt welche. Es ging nicht. Ich konnte und
wollte nicht. Was auch schreiben? Danke?! Dann erfuhr ich nach meiner OP, dass tatsächlich
ein paar Menschen, ein paar viele Geld überwiesen hatten, für die Beerdigung. Um zu zeigen,
dass sie da sind. Und als ich das erfuhr. Da war ich so gerührt, aber dann so getroffen, dass
ich zusammenbrach und fortan, fühlte ich nichts mehr, wenn ich daran dachte. Ich konnte
mich bis heute nicht bedanken und alles in mir sträubt sich auch danach und ich weiß nicht
wieso. Es gab liebe Worte dazu und die Menschen, vor allem Karla haben sich Gedanken
um und für uns gemacht, aber ich konnte mich nicht freuen. Nicht mehr. Es war nur dieser
Blitz da. Ich schäme mich dafür. So sehr. Weil es so eine unglaublich tolle Geste war. Über
400 Euro sind zusammen gekommen und ich fühle nichts, wenn ich daran denke. Mein
Verstand weiß, dass es toll ist und wie froh wir darüber sein können, aber all das liegt da
in dieser Truhe und ich komme nicht ran. Einfach weil es falsch ist. Es ist nicht richtig. Am
liebsten hätte ich das Geld aus dem Fenster geworfen. Nicht aus Undankbarkeit, sondern weil
alles, alles so nicht sein sollte. Und dieses Geld macht es so verdammt real. Es wird keine
Karten zur Geburt geben, es wird keine Strampler, Schnuller und Co geben. Es gab Geld für
eine Beerdigung, die ich organisieren musste, die ich nicht wollte.
Dann kam hier Ende letzter Woche etwas von Frau Schokoperle an. Und ich war total aufgeregt.
Ich fuhr heim und packte es aus. Und es war genau das Gleiche. Ich blätterte, war total gerührt.
Ein total schöner Brief, der mir wirklich nahe ging und dazu ein Fotobuch mit Fotos, die mal
nicht eben eine Woche alt sind, sondern da wurde richtig gestöbert, da steckte Herzblut drinnen
und ich las, die Texte und war wirklich gerührt. Bis ich einen ganz bestimmten las und da
verschwand all das, was ich eben noch fühlen konnte wieder in dieser Truhe. Ich kann nicht.
Ich kann nicht. Ich war so durch einander. Auch als ich hier ankam, ich fühlte mich aus meiner
Trauerarbeit heraus gerissen, es lenkte so ab in Berlin zu sein, und ich hatte mich selbst wieder
mitten rein ins Lebens geschnipst, mit all der Trauer, die da war, all dem Kummer und es war
alles wieder so frisch.
Ich packte an dem Tag all das weg, was im Wohnzimmer stand und an unser Kind erinnerte und
tat es aus meiner Sichtweite. Ich konnte es nicht mehr sehen, es tat einfach nur noch weh: Das
letzte Ultraschallbild, wo unser Baby lebte, die Beileidskarten, die eine Kerze, das von Zoe selbst
gebastelte Kreuz- alles weg. Ich wollte es nicht mehr sehen. Ich schlug auch das Fotobuch bis
heute nicht mehr auf. Ich schaffe es nicht. Ich versuche mit aller Kraft, mich an die schönen
Momente zu erinnern, als ich glücklich guter Hoffnung war, weil ich das nie nie missen würde
wollen. Ich möchte mir all das Gute bewahren und nicht nur all Sehnsucht- ich versuch es. Aber
die ist da. Auch wenn ich das gar nicht will- all die Sehnsucht, all den Kummer, all den Schmerz,
dieses Gefühl in der Brust, dieser Herzschmerz.
Und dann ist er da, der Moment, wo ich denke, ich werde darüber nie hinweg kommen. Ich
dachte ganz zu Beginn noch unter Schock, dass ich das schon einmal geschafft habe und wieder
schaffe. Aber mein Herz brach einfach. Und ich klebe noch immer zusammen, was ich bisher
auflesen konnte, manche Teile sind verschwunden und ich finde sie nicht mehr. Ich fühl mich
kaputt und löchrig. Einfach nicht mehr ich.

Es tut mir von Herzen leid, für all die Menschen, die uns Gutes tun wollten und das auch getan
haben, aber ich kann es noch nicht an mich heran lassen. Ich brauch noch Zeit. Trotzdem
möchte ich diese lieben Menschen nicht unerwähnt lassen:

Karla, Eva W., Pia, Patricia, Eva D., Carola, Jacqueline, Lena, Tina K., Tanja, Elisabeth, Barbara,
Judith, Kristin, Katharina, Melanie, Meike, Sabrina, Janin, Claudia, Stine, Nikola, Svenja,
Tina S.- Danke. Wirklich Danke! Und es tut mir leid, dass ich mich nicht schon eher rührte.

Und Verena, noch lieben Dank für die Post, dass hab ich auch vergessen!

Ich möchte mich bei Maria bedanken, die mir Mut gegeben hat unseren Weg zu gehen und
mir wirklich mit Rat und Tat zur Seite stand.
Ich möchte mich für die Mails bedanken von Karin, Barbara, Pia, Silke, Meike, Svenja, Kati,
Isabella, Diana P., Susi, Ragna, Jacqueline, Karla, Anja, Martina, Lena, Astrid, Friedrike, meiner
alten Freundin Tina, Sabrina, Diana, Stefanie, Katja, Stephanie, Eva, Gabriela, Fabienne und im
besonderen Ulrike und Melanie, die mir mehr als beistanden.

Nicht zu vergessen, alle anderen Menschen, die sich getraut haben, hier einen Kommentar
zu hinterlassen und uns begleitet haben. So manches Wort trug mich wirklich eine Zeit lang!

Danke. Von ganzem Herzen.

Und jetzt ist es doch da. Das Gefühl dazu… Danke. Auch wenn ich das so nicht wollte.

12 Kommentare

  • Mairlynd

    Ach Du…

    Ich glaube nicht, dass irgendjemand von diesen Menschen etwas getan hat, um ein Danke zu hören. Das waren gute Gedanken und Worte, die in Deine Richtung geschickt wurden, ohne die Erwartung einer Antwort. Und mit dem Geld, da wollte Dir wohl niemand eine Freude mit machen, sondern einfach eine kleine Sorge abnehmen.

    Nimm es, wie es ist. Denk nicht drüber nach.

    Irgendwann vielleicht, ja ganz bestimmt, da kommt der Tag, an dem es einfach gehen wird.

    Ich kann die Dinge, die mich an mein erstes Kind erinnern, heute noch kaum ohne Tränen in die Hand nehmen. Aber es macht nichts – es ist halt so. Es ist, wie es ist.

    Ich drück Dich!

  • Janine

    Ach Jeanine,
    wieviel unendlich mal lieber hätte ich Dir etwas zur Geburt geschenkt, und nicht einen Beitrag zur Beerdigung geleistet… :‘-(

    Wie Mairlynd schreibt – es war einfach, um Euch diese Sorge und Last des Finanziellen ein wenig zu nehmen, nicht mehr und nicht weniger. Es kam von Herzen, aber es fühlte sich trotzdem insofern „falsch“ an, weil ich mich doch kurz zuvor noch so mit Dir freute. Dich begleiten wollte durch diese Schwangerschaft und mich irgendwann mit Euch über Euer 6. Kind freuen wollte. Und dann dieser traurige Tag. Es war einfach das bisschen, was zu tun mir möglich war. Ich wäre so gern anders für Dich da gewesen!

    Es tut unendlich weh, Dein Herz ist gebrochen. Wer sollte da von Dir Dank erwarten, für etwas das Du doch garnicht gewollt hast. Keiner, der auch nur ein wenig ♥ in seiner Brust trägt.

    Ich umarme Dich und bin in Gedanken so oft bei Dir!

  • agi

    unnötig sich darüber gedanken zu machen, liebes. der sinn und zweck war nur euch vor dieser einen finanziellen sorgen zu bewahren. nur der. ich glaube nicht, dass jemand erwartet hat, dass ihr euch dadurch besser fühlt. es sollte euch nur nicht noch schlechter gehen (auch wenn es vermutlich sowieso keinen großen raum eingenommen hätte).

  • Fraumuemmel

    Du musst dich nicht schämen. Wir alle haben Verständnis für dich und deine Situation. Du trägst eine riesige Last, mit der es umzugehen heißt. Wie Mairlynd schon scgrieb ging es nicht um ein Danke, sondern darum dir zu zeigen, dass du nicht alleine bist. Dass da Menschen sind, die dich vielleicht nicht kennen, aber viel an dich denken!
    Ich kennen dieses Gefühl der Leere und Taubheit sehr gut (aus anderen Gründen, aber dennoch) ich wünsche dir, dass du sie bald hintern dir lassen kannst, denn ich finde, dass Trauer und Schmerzen leichter zu ertragen und verstehen sind als dieses Nichts.
    Fühl dich lieb umarmt, wenn du willst!

  • kassiopeia

    Ich weiß das doch eigentlich, aber so sang und klanglos wollte ich das eben nicht stehen lassen! Denn es hilft ungemein, unser Konto sieht wirklich fies aus und es würde noch viel, viel fieser aussehen ohne eure Anteilnahme! Aber ich will mich nicht beschweren, es sind nur Zahlen und uns geht es eigentlich gut, wenn man bedenkt was anderswo auf der Welt gerade passiert. Wir haben Menschen, die uns lieben und an uns denken, ein Dach übern Kopf, was zu essen und was am Leib, mehr braucht es eigentlich nicht.

  • FrauPerle

    Weißt Du,

    es gibt Sonnen und Regentage. Beide kann man so oder so sehen. Aber ohne beides kann man nicht auskommen. Die Sonnentage geben dir Kraft, mut und Vertrauen für die Regentage. Und in den Regentagen, da kannst du ein bisschen los lassen, raus lassen. Platz machen. In der Truhe.

    und dann kommen die Tage, wo wir mit dir wieder gemeinsam lachen können und da freue ich mich drauf.

    Und bis das soweit ist, halten dir hier einige einen Schirm hin. Egal ob für die Sonne die dich blendet oder als Schutz vor dem Regen.

  • Eva

    Du Liebe, ich bin sicher, niemand steht in der Erwartungshaltung an Dich. Dennoch ein liebes Danke für Dein Danke!

  • Wolfram

    Nur nichts überstürzen! Trauer ist ein langer, beschwerlicher Weg zurück ins Leben. Nicht nur das, es ist eine Treppe, die man wirklich Stufe für Stufe gehen muß. Mit aller Zeit, die dafür nötig ist. Und nicht genug, daß es eine Treppe ist: es ist eine Wendeltreppe. Man hat immer wieder den Eindruck, man wäre noch kein Stück vorangekommen, man wäre noch an derselben Stelle wie einige Zeit vorher – nur wenn man genau hinsieht, erkennt man, man ist schon ein Stück höher.

    Ich wünsche dir immer die Kraft zum nächsten Schritt, und immer dann jemand an deiner Seite, in deinem Rücken oder vor dir, wenn du ihn nötig hast.