Lilous Geburt

Zauberkind heissen die Notizen zu der Schwangerschaft mit Lilou, der Ort wo ich seit Beginn des Jahres, alles festhalten konnte, was mich bewegt hatte. Am 1. Januar begann ich dort zu schreiben. Viele Monate später enden dort meine Gedanken mit einem detailliert beschriebenen Tag im September, es wird der 15. sein. Wie ein sich schliessender Kreis, vielleicht komme ich später darauf zurück…

„Rose“ war der Name, der mir sofort in den Sinn gekommen war. Dieser und ein alter männlicher Vorname, so der Auftakt zu meinen Erinnerungen an über neun lange Monate Schwangerschaft. Wie ein Gefühl dafür haben, wen ich unter meinem Herzen trug… Und nun trägst du „Rose“ als einen deiner Vornamen… ich liebe das so. Wie bei Zelda der Vorname „Marie“ sofort in meinem Kopf und Herzen gewesen war… und so fanden sie ihren Platz in euren Namen…

Es wird so im Nachhinein seinen Sinn haben, dass die nächsten drei Einschulungen und Lilous Geburtstag nicht so nahe bei einander sind, sondern wir etwas Zeit haben werden, alle Ereignisse zu geniessen, das kam mir aber erst später in den Sinn… Zwischen Noahs damals zehnten Geburtstag und Zeldas Geburt hatten wir auch immerhin dann fünf Tage Abstand…

Ich hatte einen eigentlich schönen Abschluss der Schwangerschaft. Am Mittwoch ging es mir ja noch so extrem schlecht nach der Vorsorge im Kreisssaal, dass ich gar keine Ambitionen gehabt hatte zu gebären, nicht in dieser Nacht zumindest. Jetzt so im Nachhinein denke ich auch, dass war alles so viel: die Einschulung noch gerockt und dann war mir für Mittwoch einfach keine Kraft mehr übrig geblieben, ein Klassiker- immer, wenn die ganze Anspannung von einem abfällt, sackt man in sich zusammen.

Donnerstag hatte ich beim Abholen von Anton Zeit für mich gehabt, durch einen Riesenzufall unterwegs eine Freundin getroffen, einfach mal wieder atmen können, mein eigenes Schaffen anerkennen und auch annehmen, dass ich in sechseinhalb Wochen Ferien und Familienzeit, hauptsächlich Zeit mit dieser verbracht hatte und ich dabei am Ende etwas zu kurz gekommen war.
Auf der anderen Seite genoss ich es am Abend nochmal mit Emil zum Bäcker zu gehen, dort kauften wir Brot und Gummibärchen und hatten uns dabei auf dem Weg hin und zurück so toll unterhalten können, wir wetteten auch, ob wir klitschnass oder trocken Heim kämen, denn es wurde dabei immer dunkler am Himmel. Mein Erstklässler überraschte mich so, dass er alle Zahlen an den Häusern benennen konnte, an denen wir vorbei kamen.
Jedes Mal merke ich in solchen Momenten, wie kostbar gerade diese Zeit mit den drei mittleren Jungs ist und dabei wie viel schwieriger im Alltag zu finden. Die Grossen finden ihre Wege dazu eigentlich immer, man muss nur mal das Handy weglegen und die Kleinen fordern Zeit einfach nochmal ganz anders ein und ich hatte hier so noch einmal eine schöne Zeit mitten im Alltag mit meinem Kind, umgeben von absoluter Unspektakulärität, dass es schon mega spektakulär war, für mich und ihm tat es sicher auch gut, man muss diese Momente nur sehen können und zupacken, das ist nicht immer so leicht.

Abends hatte ich nochmal Zeit mit dem Mann genossen, nachdem alle Kinder schliefen, ausserdem war ich fürs Homeoffice extrem dankbar, konnte tagsüber immer mal wieder Kraft tanken, musste nicht zusehen, dass ich alles komplett allein schaffen muss und so startete ich eigentlich gut gelaunt in den Freitag, obwohl ich nicht zur Vorsorge beim Frauenarzt wollte, aber ich fühlte mich danach erstaunlich selbstbestimmend und guter Dinge, klar auch hier wieder dank dem Mann, der seine Telko mit Zelda auf dem Arm machte, während ich im Sitzen mein CTG schreiben lassen konnte, ohne auf Zelda Acht geben zu müssen. Auch wollte ich keine Untersuchung, weil ich keinen Grund dafür sah, die wollte mein Frauenarzt auch nicht. Ich hatte ausserdem irgendwie so ein Gefühl, das lag ganz sicher nicht an der einen Wehe auf dem CTG und war gespannt auf das Treffen mit meiner Hebamme am Samstag. Ich hatte nochmal Zeit für mich genossen, war durch den Schlossgarten gelaufen, durch den Botanischen Garten und nahm die Treppe, die ich mit Nils damals gemeinsam hochschwanger mit Zoe im Bauch genommen hatte, war einkaufen, flitzte dann mit Wrap in der Hand zur Haltestelle, um schnell daheim zu sein, aber da wartete sogar schon Oma mit den beiden Kleinen und der Mann war im Keller in der Homeoffice- Höhle. Ich hatte anschliessend Mittagessen gekocht, konnte danach sogar ruhen, Noah war währenddessen mit seiner Oma unerwarteter Weise beim Zahnarzt wegen dem gebrochenen Bogen seiner Spange und danach noch mit ihr einkaufen… Nachdem Ruhen, kochte ich noch Lasagne vor und machte Tiramisu, falls es los ginge hätte ich gleich gutes Essen fürs Babyversorgen und wenn nicht, dann eben nur gutes Essen. Was ich mir damit für einen Gefallen getan hatte, konnte ich da noch nicht ahnen…Abends gabs leider einen Tiefschlag in diesem eigentlich perfektem Tag, meine Hebamme war unsicher, ob sie es morgen zu mir schaffen würde, genau genommen klang es gar nicht danach, denn sie schrieb auf einmal von einem Sommerfest. Es traf mich so, ich hab mich so sehr über mich gewundert, versucht heraus zu kriegen was genau mich wieder so durchschüttelte, hinterfragte alles und ging ratlos ins Bett. Aber es war wie „morgen also nicht“… klapp. Ich war dann abends im Bett trauriger als den ganzen Tag, schrieb Nils noch um eine Minute nach Mitternacht „und wieder ein neuer Tag, hurra oder so“…

Ich schlief aber gar nicht gut. Wachte immer wieder auf, hatte Schmerzen, die in den Rücken zogen und es gab erste Geburtszeichen. Ich wusste nur leider, dass das nichts heisst, keine wirklich genaue Zeitangabe wäre. Je näher der Morgen kam, desto wacher wurde ich und desto mehr lauschte ich in mich, müde wie ich war, hoffend dass es vielleicht jetzt doch ganz schnell geht, mal was anderes, eine Geburt vor dem Frühstück?! Also meinte ich nur zum Mann, er solle Gas geben beim Einkaufen, stritt noch fast mit ihm, weil er nicht schnell genug los ging und stellte dann ernüchtert fest, dass trotz Schmerzen, trotz dem mich echt schon elend fühlen, nichts in Gang kam, also weder die Abstände kürzer, noch die Wehen stärker… und erwartet hatte ich das auch nur, weil ich das Gefühl hatte, dass es kurz im Bauch geknackt hatte, gegen acht Uhr. Knacken war zwar nichts Neues im Bauch, aber danach war es kurz in die Toilettenschüssel gelaufen. Es war nur so wenig gewesen und gefühlt kam nichts nach… Nun wusste ich ja seit Wochen, dass Lilou schon im Becken liegt, tief. Ich erklärte mir das also so, dass selbst wenn das bisschen Fruchtwasser vor ihrem Köpfchen abgegangen wäre, hätte sie den Raum sofort eingenommen, wäre nur ein Stück tiefer gerutscht und hätte alles wieder abgedichtet. Soweit meine Theorie. Und bei Zelda waren es von Blasensprung bis zu ihrer Geburt nur 90min gewesen. Ich scherzte also noch mit Nils, falls es jetzt doch schneller ginge, würde ich ihn anrufen, aber ich glaubte, er hätte nun doch etwas mehr Zeit, mittlerweile waren ja schon zwei Stunden vergangen. Und er antwortete: „Ja bitte! Damit ich die Nabelschnur durchbeissen kann!“ (wie Ragnar Lodbrok in Vikings, Anmerkung der Ehefrau).
Ich machte die Fenster zu, stellte die Heizung an, damit es später nicht so kalt hier oben wäre, duschte und machte mich allgemein doch auch fertig für den Tag. Nils brachte mir neben dem Ausräumen des Einkaufs sogar meine Kerzen und Tee hoch zur Entspannung, aber ich gab dann auf und ging mit dem Tee wieder runter an den Frühstückstisch gegen 10Uhr, aber ich hatte gar keinen Appetit, zwang mich ein Knäckebrot zu essen und war einfach so im Autsch, dass ich nicht lange sitzen konnte, ging wieder hoch, Schloss die Türe hinter mir, ging in die Hocke und hoffte, hörte dabei bei verschiedenen Positionen wie morgens schon „Intro“ von The XX, legte mich ins Bett, las… aber kapitulierte, die Stimmung im Haus war angespannt, denn der Mann versuchte die Kinder von mir fern zu halten, was weder gut klappte, noch richtig nötig war… ich hatte mich als Trostpflaster am Vorabend noch auf einen Samstags- Spaziergang mit dem Mann gefreut und nun würden wir das eben versuchen…
Alles was mir blieb, war einen Weg zu finden das auszuhalten. Und so gingen wir eben raus in Richtung Krankenhaus, hinten übers Feld, quatschen… Paarzeit verbringen, wir wären ja ganz in der Nähe. Und dort angekommen, gönnte ich mir eine Bionade und ein Panini. Das war nach dem bisschen Knäckebrot ein Festmahl. Es schmeckte wirklich gut und ich genoss es mit Nils zusammen zu sein, es zog und tat zwar die ganze Zeit weh, doch dann zog es heftig. Einmal längs über den Bauch. Und ich weiss noch, dass ich dachte, wenn mir morgens tatsächlich die Fruchtblase gesprungen war, dann sollte ich auf keine fremden Toiletten mehr gehen, wenn sich das hier so zieht, schon gar nicht im Krankenhaus, als musste ich wohl oder übel nach Hause laufen und konnte das hier mit dem Mann, diese Zeit nicht in die Länge ziehen, mein Körper rief nach Rückzug…
Auf dem sich schleppendem Rückweg kurz vor 13Uhr, pflückte ich mit dem Mann ein paar Blumen und legte meine Instagram Zahl 5 für ET plus 5, um eventuellen Spekulationen aus dem Weg zu gehen, unser Baby wäre schon da, was blanker Hohn gewesen wäre. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass in einer Stunde das Sommerfest der Hebammenpraxis beginnen würde…
Ich ging mal wieder auf meine beschlagnahmte Toilette für diesen Tag, ruhte mich aus, hatte sogar noch neue Wäsche angemacht, trockene zusammen gelegt und mit nach oben genommen, „wer weiss wann ich das nächste Mal…“, las, ruhte, ging in die Hocke, auf den Ball…umgeben von Schmerzen, in Rücken, Po oder mal eine Wehe, irgendwann später war die Lasagne fertig… also wieder Essen, diesmal griff ich einfach zu, aber lange Sitzen konnte ich wieder nicht… es tat einfach zu weh…

 

Das war ja kein Marathonlauf, bei dem ich einer Route folgen kann, einen klar definierten Startpunkt habe, auf der Karte immer sehen kann, wo ich mich gerade jetzt genau auf meinem Weg befinde und bei der ich mein eindeutiges Ziel immer vor Augen habe… genau sehen kann wie viele Kilometer mir fehlen und ich einschätzen kann, wie viel Puste ich noch brauchen würde…
Nein, das war wie bei 40Grad Fieber oder einem schlimmen Magen- Darminfekt, es half definitv nicht nur das Wissen, dass es mir in einigen Tagen besser gehen würde, wann genau auch immer das sein würde, es ging mir schlicht richtig beschissen. Und ich wollte eine Veränderung in die eine oder in die andere Richtung- und zwar sofort. Ich war nicht Herrin meiner Sinne, nicht in meiner Haut, ich war einfach nicht ich selbst. Es war furchtbar.
Geburtsarbeit ist für mich auch etwas, das man aktiv tut, man leistet sie in regelmässigen Abständen, man erduldet sie nicht passiv, aber das war genau, was mit mir an diesen Tag passierte, etwas auf das ich überhaupt keinen Einfluss zu haben schien. Ich war dem Schiessen und dem Drücken total ausgeliefert, ich konnte dem keine Atmung entgegensetzen, weil es eben nicht wie in einer Wehe oder Welle kam, einen Höhepunkt gab und dann wieder verebbte, ich konnte mit Haltungswechseln gar nichts erreichen, da war einfach nichts, an dem ich mich festhalten, entlanghangeln und womit ich mir selber helfen konnte.
Ich glaube diese Art der Ungewissheit, die mich ja auch schon beim Thema „warten“ gequält hatte, machte mir zu schaffen.
Wenn du nach Stunden merkst wie deine ganze Muskulatur Stück für Stück verkrampft, du in Abwehrhaltung gehst… alles was du gelernt oder dir angeeignet hast an Wissen über die Geburt sich in Luft auflöst. Was war das hier? „Es fällt mir schwer die Situation als gegeben hinzunehmen, so dass am Ende weder die Schwangerschaft, noch die Geburt so verliefen oder starteten wie ich mir das erträumt hatte. Also annehmen. Daher mache ich trotzdem meinen Kram, hangele mich an Mahlzeiten und Routinen entlang und verstehe die Welt nicht mehr.“

 

„Das nach wie vor gleiche Problem. Ich muss zur Toilette und kann nicht, kommt uns das bekannt vor? Ich hab grad so geheult. Ich geb hier echt mein Bestes, aber so hab ich mir das nicht vorgestellt.“  Ich musste dann doch an Bens Geburt denken, auch damals hatte es keine richtigen Wehen gegeben, bis fast zum Schluss. Keine Wehen, die regelmässiger kamen oder in kürzeren Abständen oder intensiver wurden, etwas was man klar als Geburt bezeichnen hätte können…
Ich hatte nach dem Mittagessen sogar noch etwas geschlafen, ich sah beim Blick in den Spiegel etwas zerknautscht aus, aber ich dachte, das bisschen Kraft würde ich noch brauchen, es war mittlerweile 16Uhr, zwei Stunden vom Hebammen- Sommerfest waren geschafft. Unten stritten gerade der Große und sein Papa, woraufhin es dem Mann reichte und er selber einkaufen fuhr. Keine halbe Stunde später war er sogar schon wieder hier, die Kleinen stritten währenddessen laut im Garten, vielleicht war die Stimmung in der ganzen Familie angespannt. Ich dachte nur, so in einem Reihenhaus, neben Nachbarn von denen man die Kinder gross hat werden sehen (wie unsere Großen auch), Nachbarn die keinen Kinderlärm mehr machen, ist es komisch so lange und über Jahre hinweg noch immer Schimpfwörter, Zank und Streit im Minigarten zu generieren, so nahe zu haben und als einzige auszusenden. Die Nachbarn machen dafür anderen Krach, das ist mir klar, ob nun Freunde, Feste, Feuer oder rauchen im Garten, was im Sommer ins Schlafzimmer kriecht, aber es fiel mir so ganz bewusst auf an diesem Nachmittag bei offenen Fenster, vielleicht auch, weil ich gerade dabei war einer neuen Krachmacherin auf die Welt zu helfen.
Kurz vor 17Uhr kamen meine beiden Töchter ins Zimmer, die Große legte sich neben mich und erzählte mir etwas, die Kleine hüpfte erst auf dem Bett, dann auf dem Pezziball und brachte uns so zum Lachen. Der Mann machte die Kinder sowas wie Bettfertig, weil wir „Infinity War“ mit den Kindern gucken wollten, vor Zoes Abreise. Ein weiteres Zeichen an diesem Tag, denn die liegende Acht für unser Kind war so mein Zeichen für diese Schwangerschaft, ein sich schliessender Kreis, die Unendlichkeit… Nils hatte extra Chips und Süsskram für diesen Anlass zusammen mit dem Wunschfilm der Kinder gekauft, Zelda war leider auf dem Sofa schon eingeschlafen und umgebettet worden… ich hatte mich auf diesen Film gefreut, aber ich tippte auf meinem Handy, spielte Candy Crush, ging zwangzigtausend Mal auf Toilette, stöhnte wegen Rückenschmerzen, hatte Bauchweh, mir war schlecht, also kochte ich mir Magen- Darmtee… vom Film bekam ich soviel gar nicht mit. Aber das Sommerfest war geschafft.
Zelda war aufgewacht und ich dachte noch: „Oh nein! Wie soll man denn so ein Kind bekommen?! Wenn immer jemand getröstet werden muss?“ Aber konnte Anton überreden etwas eher mit mir hoch zugehen.
In der Hoffnung er würde dann schneller einschlafen. Ich war so fertig und schon wieder so müde. Wir lasen „Der Geburtstag“, davon wie der kleine Hase mit dem blauen Elefanten seinen Geburtstag feiert (noch so ein Zeichen, es lachte mich morgens beim Aufwachen mit Lilou an…) und im Anschluss gab Anton das Buch beim nochmal angucken mit eigenen Worten wieder, das war so süss, eine weitere Zauberminute für diesen Tag. Ohne Schmerzen, ohne Wehen wäre das noch besser gewesen. „Ich kann nimmer. Ich kann nimmer. Ich kann nimmer. Ich bin völlig ratlos und weiss nicht, was ich tun soll. Ich hab den ganzen Tag schon solche Schmerzen und Krämpfe. Ich kann echt einfach nicht mehr. Ich bin kraftlos und müde und ein Schatten meiner selbst, das bin nicht ich.“ Und dann schrieb ich das dem Mann…

 

Es war genau halb neun, als ich schrieb „Ich werde irre! Ich schwöre es!“– „Irre wegen Wehen oder Anton?!“– „Schmerzen!“ Und so kam er hoch in unser Schlafzimmer und dort pustete ich, denn Anton schlief. Emil würde heute keine Mama brauchen, der war bei Noah am Schlafen.
Ich heulte. So bitterlich. Ich hab an diesem Tag ohnehin soviel geweint, vor Schmerzen, vor Frust, vor Angst, ich dachte mir, lass es einfach laufen. Unten lief es wie oben. Es zeichnete den ganzen Tag schon, jetzt kam etwas Blut hinzu, was mich nicht sorgte, weil Lilou sich noch viel bewegte. Und fragte mich, ob sie den Ausgang aus dieser Schwangerschaft genauso suchte wie ich!?
War ja nun egal, lass laufen. Was ein Tag! Über 14Stunden ging das nun schon! Wo sollte das enden? Ich war fix und fertig. Und Nils nahm meinen Kram mit runter, meine Matte und meinen Ball. Und nach einem Toilettengang, die xte… war es fast schon unheimlich, nun da ich wusste, die Kleinen schlafen, legte sich ein Schalter einfach um und alles passierte so schnell, aber ich bekam noch alles mit. Ich hockte vorm Sofa und veratmete Wehen, echte und richtige Wehen. In diesem Alleingeburtsbuch hatte ich von dem Mantra „Ich bin weit wie der Ozean!“ gelesen, aber ich war eher der „Lilou im Weidenkörbchen auf hoher See und ich schwimme bei Wellengang zu ihr hin“- Typ… ich dachte noch an die armen, grossen Kinder und das ich auf einmal so laut geworden war, hoffentlich kamen die damit klar und in einer Pause von den Wehen sah mir der Mann in die Augen und meinte: „Sie kommt gleich, also entweder rufe ich noch deine Hebamme an. Oder du möchtest, dass ich deine Hebamme nicht anrufe.“ Und ich dachte verwirrt noch kurz „Wer kommt? (Er meinte Lilou.) Hat er sie schon angerufen? Und ja vielleicht besser, das dauert so lange, vielleicht ist sie ja ein Sternengucker!“ und somit ging ein weiterer Teil Balast ab, Hilfe würde kommen. Alles klar. Also schrieb Nils um 20:45Uhr rum eine WhatsApp.
Und während ich noch hörte, wie meine Hebamme am Telefon mit Nils diskutierte, „Bist du sicher?! Ich bin gerade angekommen…“ stöhn… pust… fragte ich mich, ob es noch Zeit genug wäre Oma Heide anzurufen, falls die Kleinen aufwachen… Nils kam wieder vom Telefonieren kurz vor 21Uhr, sichtlich zufrieden, wollte wissen, bleiben wir hier oder ziehen wir um? Hmm. Gott was hatte ich Angst, Anton würde aufwachen beim Umbetten. Aber hier bleiben? Im Wohnzimmer? Bei offener Treppe? Auch nicht so schlau, oben könnte man die Türe zumachen… also ging ich hoch, irgendwie zwischen zwei Wehen, so zwischen 21.10Uhr und 21.15Uhr muss das gewesen sein, nachdem der Mann Anton zum schlafendem Ben getragen hatte, dabei blieb mein Blick an den wunderschönen Kerzen hängen, die der Mann angezündet hatte. Oben war Tom bei Zoe im Zimmer. Nils legte mir die Matte vors Bett, das höher war als das Sofa und ich kreiste das Becken und stöhnte, angefeuert vom Mann. Und der Mann war der Beste. Er weiss Dinge zu sagen, mit einer Sicherheit, wie könnte ich die nicht glauben? „Ich kann nicht mehr! Ich kann nicht mehr!“- „Doch, du machst das alles ganz grossartig! Du hast es gleich geschafft! Sie ist gleich da!“ (Und er redete von der Fruchtblase, aber das fand ich Quatsch, überhörte ich einfach, denn die war ja morgens aufgegangen, dachte ich noch.) Und er merkte auch, genauso wie ich, dass die Wehen sich veränderten, ich fing an zu schreien. Von U zu A. Ich schrie ins Kissen. Ich wollte gar nicht so laut sein, die armen Kinder. Ich glaube, wir wussten beide, dass wir mitten in der Übergangsphase waren und der Körper fing an zu schieben… diesen Luxus gönne ich mir immer im Bett, dauert ja meistens nur ein, zwei wenige Wehen, auf jeden Fall schnell und bis hierhin war ich immer auf Knien gewesen…  die war unten, die Maus. Ganz sicher. Auf das Pressen freu ich mich ja immer, für andere ist es ein Graus. In den Büchern steht überall man solle der Geburt nur positiv genug entgegen blicken, eine Frage der Einstellung quasi, wenn man sie sich nur kurz und schön genug visualiert, würde die Geburt auch so sein und erlebt werden können. Das konnte ich nicht. Noch nie. Ich hatte bis zuletzt auch Angst vor den Schmerzen und der Geburtsarbeit, nix mit Geburtsreise und orgastischen Gefühlen. Aber dieses Pressen? Da kann ich was tun, dann ist es fast geschafft, seit dem zweiten Kind bin ich da total euphorisch, fast geschafft, gleich ist mein Baby da. Ob es nun daran liegt, dass ich das besonders gut kann und mich deshalb drauf freue oder mich so drauf freue, dass ich es dann gut kann, wird sich nie beantworten lassen, ich begnüge mich damit, dass es hier dankenswerter Weise so ist, gerade nach der endlos erscheinenden Vorarbeit… Aber nun war es soweit, ich hatte es bis hierhin geschafft, ich zog um auf mein Bett. Und der Mann fragte noch, mit Decke oder ohne? Ohne, die stört ja nur, dachte ich noch. Hose noch ausziehen, die letzte Unterlage aus dem Krankenhaus von Antons Geburt schnell unter den Po, Nils wischte kurz nochmal sauber und dann waren wir auch schon bereit. Ich glaube, wir beide hätten das auch ohne Hebamme geschafft, hätten wir keine Wahl gehabt sowieso, so ein Baby lässt sich dann ja nicht mehr aufhalten, wir wussten jetzt sind wir in der letzten Phase, jetzt kommt die Maus und dann kam meine Hebamme zur Türe rein und wollte mich untersuchen: „Darf ich kurz!? Wann ist denn die Blase gesprungen? Oh ja, die kommt gleich!““ Bist du sicher?!“ Ich wollte es nur nochmal hören „Ja!“ Dann ging der Mann was holen oder nach Anton un den anderen Kindern sehen und kam gerade rechtzeitig um 21:31Uhr ins Zimmer. „Komm schnell! Mach die Türe zu!“,  sagte Elke sanft zu ihm. Und ich schrie. Erstmal kurz nachdenken, dahin, da weitet es sich, es britzelte dort… kurze Pause und bei der nächsten Wehe schrie und schob ich dank Erinnern wie das nochmal wieder und trotz lieber die Energie irgendwohin Pressen, statt schreien und sie war da… schwupps… lag auf meiner Brust, meinem Bauch um 21.34Uhr. Und sie roch so unverschämt gut und sie schimpfte und schrie. Ich weiss nicht genau, wie lang meine Hebamme da schon da war, aber es können nicht mehr als ein paar Minuten gewesen sein. Wir kuschelten Lilou in Handtücher und ich sah erstmal nur ihren kleinen Kopf, ihre Händchen, hielt sie fest und streichelte ihre weiche Haut, die das erste Mal Luft fühlte ausserhalb meines Bauchs und ich weinte Freudentränen, weil sie da war, das alles echt und kein Traum war, weil es ihr gut zu gehen schien der Stimme nach und auch weil ich es geschafft hatte. Und dann kamen recht schnell, erst Zoe und Tom, weil die Plazenta noch nicht da war und alles hübsch sauber und trocken war (hatte ja nicht wie sonst Unmengen Fruchtwasser), da war Zoe ja bei Zeldas Geburt ganz anders geworden. Als die beiden im Zimmer waren wurde geguckt, ob Lilou wirklich ein Mädchen ist, mir war wichtiger, ob der Hebammenblick schon das Gewicht gescannt hatte, aber eben weil mir wichtig war, ob alles okay wäre mit ihr, ich hatte mir ja noch sehr Sorgen gemacht, um das Menschlein, wegen weniger Wasser und weniger prophezeitem Geburtsgewicht. Alles war so auch etwas anders. Bei Zelda war es hektischer gewesen, ich hatte eine Spritze für die Nachwehen bekommen, Zelda wog ja auch mehr mit ihren 4790g, da wollte sie damals keine Blutung riskieren, jetzt wirkte meine Hebamme entspannter, wir warteten dass die Nabelschnur auspulsiert hatte, das durfte ich selber fühlen, so lange blubberte sie noch nach der Geburt, Zoe und Tom gingen und Noah kam hoch, aber da merkte ich die erste Nachwehe, da meinte ich noch, jetzt solle er aber schnell gucken und küssen und wieder raus in seinem eigenen Interesse…
Und schwupps, war die Plazenta da… da war also auch alles prima, die Geburt vollständig geschafft, der Mutterkuchen wurde auf eine Wickelunterlage ausgebreitet, es gab keine Verkalkungen zu sehen, der sah perfekt aus und war komplett. Und Lilou selber war nicht wirklich übertragen, sie hatte zwar relativ lange Fingernägel, aber sie hatte noch gut Käseschmiere an sich und auch im Fruchtwasser waren wohl noch Flocken davon gewesen. Das mit dem Anlegen war nicht so einfach und die Handtücher waren kalt geworden, weil nass, die Nabelschnur wurde erst nochmal gekürzt und mit Heilwolle trocken gelegt und wir Eltern zogen Lilou das erste Mal gemeinsam an, nackig bleiben wäre toll gewesen, aber sie sollte nicht frieren, das war mir wichtiger. Danach ging ich erstmal duschen (unter den Augen meiner Hebamme wegen dem Kreislauf und so, aber obwohl ich ja immer einen niedrigen Blutdruck aus der Hölle habe, selbst hochschwanger, kann ich nach so einer Leistung „einfach“ aufstehen und duschen gehen) und mein Lieblingsnachthemd anziehen.  Wir stiessen kurz an, Anton kam hinzu und wich nicht mehr von unserer Seite, der war vom Krach schon vor einer Weile wach geworden und musterte kritisch dieses Bündel, schlief lange nicht mehr ein, was später das Elternglück geniessen etwas schwieriger gestaltete, nachdem unsere Hebamme schon wieder auf dem Heimweg war, aber in dem Moment sprachen wir Frauen noch bei Kerzenschein, während Nils ein paar Dinge aufräumte, runter brachte, das sind ja nach einer Geburt immer so magische Momente… „Hättest du mal gedacht, hier zu liegen und acht Kinder zu haben?!“- „Nein.“ Und das stimmt, nicht nach diesen Fehlgeburten nach Bens Geburt, ab da war jedes weitere Kind nur noch wie Magie, nie im Leben hätte ich damals als vierfache Mama gedacht, dass ich in diesem Leben nochmal doppelt so viele Kinder haben würde… und das war auch nie der Plan. Obwohl wie schon so oft nieder geschrieben, bei und mit Nils war von Beginn an alles anders. „10Kinder? Ja, okay.“ Bis dahin wollte ich keine. Ich als Mutter? Wer könnte bekloppter als Mutter sein als ich? Aber mit diesem Jungen in meiner Wohnung? Alles schien möglich und dann erzählte ich ihr, erst von Nils, dann von Zoe, Noah, Tom, Ben, Emil, Anton, Zelda und nun Lilou…

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