Blau

Die Frau am Eingang sah mich an, als wäre ich geistig nicht ganz auf der Höhe: „Aber der Bademeister hat gerade durchgesagt, dass in 15 Minuten die Badezeit um ist.“ Aber nun war ich da, genau jetzt und ich hatte eine viertel Stunde Zeit! Ich trug bereits meinen Badeanzug und war so etwas wie frisch rasiert, ich hatte die Ansage selbst gehört, war nicht begeistert, aber ich würde nicht gehen, ehe mein Körper das kühle, blaue Nass berührt hatte. Mir war warm, ich hatte mich gefreut! Es ging um mein Seelenheil, ein Stück von mir, quasi um Leben und Tod. Und das für den lächerlichen Preis von einem Euro! Lasst mich durch!
Und so liess mich die Frau ins Freibad- kopfschüttelnd, denn sie hatte ja keine Ahnung wie viele Wochen und Monate ich am anderen Ufer der Amper entlang gegangen war, mit Blick zur anderen Seite und Erinnerung an das letzte Jahr, den letzten Sommer.
Auf wie viel hatte ich verzichtet in den Monaten zuvor, wie wenig hatte ich für mich getan und wie wenig Zeit blieb mir nun, bis mich wieder ein kleiner zauberhafter Mensch brauchen würde -rund und die Uhr- und sich wieder nicht an Schliesszeiten von öffentlichen Badeeinrichtungen halten würde…
Wasser ist einfach meines, es erdet mich, allein dieses Blau ist ein Traum, zusammen aber im Freibad mit dem Wind, dem freien Himmel über mir, umringt von alten, grünen Bäumen ist es noch einmal viel schöner und das eben stark begrenzt auf ein paar Tage und Wochen im Jahr- anhängig von Wetter, Öffnungszeiten, Mann und Kindern und mein Wochenbett schmeiss ich in diesem Jahr auch noch in den Topf. Es war eine Wohltat, ein Befreiungsschlag, ein Anknüpfen, ein sich Fallenlassen und Abschalten, ein Krafttanken, ein Trösten über Meeressehnsucht hinweg, ein Aufatmen und in einjährigen Erinnerungen abtauchen, während man dabei ist neue Erinnerungen zu erschaffen.
Wie sehr hatte ich davon geträumt im letzten Jahr, aber es nie für möglich gehalten in diesem Jahr eine der Frauen dort mit Kugelbauch zu sein, heute mein Bauchbaby mit unter Wasser zu nehmen und ein Stück von mir zu zeigen.
Es waren nur vier Bahnen, die ich langsam schwimmen und geniessen konnte bis der Bademeister, die Gäste aufforderte das nasse, kühle Blau zu verlassen, aber es waren meine vier Bahnen und die kann mir niemand mehr nehmen- ein erstes Mal und es war einfach schön.