9+3

Am Anfang der Schwangerschaft habe ich niemanden etwas gesagt. Auch nicht dem Mann. Kurz nach seiner Abreise vom Meer mit den drei Großen muss ich meinen Eisprung gehabt haben, vermutlich in der Nacht als Henry so hohes Fieber bekam. Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass ich große Schmerzen hatte und dann einfach in einem hellen Moment dachte, weil mein Fokus auf diesem glühenden Kind lag, dass ich jetzt nachts auch nicht mehr rausbekomme, woher meine starken Schmerzen kommen und zwei Ibus eingeworfen hatte und derweil nur hoffte, irgendwie würde der Fiebersaft endlich wirken und Henry helfen, tat er aber leider kaum. Es ging ihm so schlecht wie schon lange nicht mehr. 

Dann nur ein paar Tage später lag ich abends kurz in der Wanne und dachte: „Ich bin schwanger!“, ich weiss nicht warum, woher. Es war so ein Gefühl. Ich fühlte mich dabei total bekloppt. So früh wollte ich etwas fühlen? In den ersten Tagen daheim hab ich einen Test gemacht und der war so kurz nach dem vermuteten Eisprung schon positiv. Ich war wieder schwanger und immer noch allein mit den Kindern. Ich fühlte in diesen ersten Tagen erstmal nur Freude! Ich wollte es aber noch niemanden sagen, auch nicht dem Mann, weil ich nur vier Wochen vorher gleich fünf Menschen eingeweiht hatte, um dann schreiben zu müssen: „Stop! Halt! Das sieht nich gut aus!“ Also testete ich eine Woche jeden Tag, um die gleiche Zeit. Dann mit einem Wochenbestimmungstest drei Mal, bis das Stück Plastik erst „2-3“ und dann „3+“, also drei Wochen nach Eisprung anzeigte. Und ich wusste, wir haben ein weites Stück des Wegs geschafft.

Nachdem der Test in den ersten Tagen deutlich positiver wurde und ich den Mann mit den kleinen Kindern am Ammersee traf und wir über das attraktive Jobangebot sprachen, die bevorstehene Probezeit und Co, rückte ich mit der Sprache raus. Er hatte das mit dem Arbeitgeber in spe auch gleich besprochen, auch wenn nichts richtig sicher war, aber es war uns wichtig, da offen rein zu gehen. Der Mann sagte beim Job zu und kam nach sechs Wochen Kur wieder nach Hause. Die letzten gemeinsamen viereinhalb Wochen vor den Ferien waren voll, wurden immer voller und es gab so sehr viel Ablenkung, allein schon diese zwei Schulabschlüsse, diese zwei Abschlussbälle.

Eine Freundin fragte in diesen ersten Tagen immer wieder wie es mir ginge und dann rückte ich irgendwann mit der Sprache raus. 

Und erst in der achten Woche hatte ich meinen ersten Frauenarzttermin ausgemacht, mit Absicht. Ich wollte nicht wieder in der siebten Woche kommen und hören: „Ja, man sieht was, aber keinen Herzschlag! Das muss aber nichts heissen, kommen Sie in einer Woche wieder!“ Diese sieben Tage bis zur Wiedervorstellung sind die Hölle, ich habe das alles erlebt, mal mit dem Traurigsten und einmal mit vorübergehendem guten Ausgang. Ich wollte soviel Gewissheit wie möglich, was natürlich nicht aufging, denn ich hatte nach dem Termin keine Ahnung, ob das Mäuschen zeitgerecht entwickelt war. Und das Ultraschallbild was ich mitbekommen hatte, sah nicht aus wie ein Baby, sondern glich eher einem Fussabdruck. Ich war geknickt und verunsichert. Aber wollte darauf vertrauen, dass für den Moment alles passte, deswegen sagten wir es den Kindern und der Familie.

Eine Freundin fragte mich bei einem Kaffee wie es mir ginge, meine Antwort war: „Schwanger!“ Das Erste was sie daraufhin sagte war: „Du bist so mutig!“ Mutig? Ich fühlte mich so klein, so hilflos, so schwach, körperlich im wahrsten Sinne. Also das komplette Gegenteil von mutig oder stark. Als sie dann später meinte, ich müsste doch irgendwann die Schwangerschaft geniessen, tat ich mich schwer. Wie sollte das gehen? Nach allem? Ich hatte vor wenigen Wochen erst unsere Tochter bestattet, woher sollte jetzt also diese Zuversicht kommen? Die Leichtigkeit? Wenn ich eines brauchte, dann war das Mut! 

Jeden Abend nahm ich seit dem ersten Besuch beim Frauenarzt: noch Blutverdünner, zusätzlich zum Utrogest und der Milchsäure seit dem ersten positiven Test, dazu jeden Morgen noch mein Orthomol Natal. 

Mit all meiner Sorge im Herzen war mir in den letzten Tagen noch viel elender als sonst schon in der Schwangerschaft zumute, bevor ich gestern das zweite Mal in dieser achtzehnten Schwangerschaft auf dieser Liege lag. Bevor er schallte, frage mein Arzt mich nach Blutungen, ich muss einfach sehr nervös ausgesehen haben. Aber so wie ich weiss, dass Blutungen nicht gleich das Ende einer Schwangerschaft einläuten, aber einen das Blut in den Adern gefrieren lässt, weiss ich auch, dass keine Blutung zu haben, kein Garant für eine intakte Schwangerschaft und ein lebendes Kind sind.

Ich glaube, uns beiden Eltern schlug das Herz gestern bis zum Hals und dann endlich wieder Atmen: Ein gewachsenes Gummibärchen, zeitgerecht in der 10.SSW und das mit regelmässigem Herzschlag. Ich fragte den Arzt mit zittriger Stimme, ob er zufrieden sei und er sagte: „Besser geht es nicht.“ 

Ich war so unter Strom gestern Nachmittag und so langsam sickerte es durch: unser Kind lebt! Jetzt heisst es wieder warten, eine Woche. Dann bin ich nochmal da, bevor ich dieses Mal mit allen Lieblingsmenschen fünf Wochen ans Meer kann. Ich hab keine Ahnung wie ich diese lange Zeit mit meiner Angst und Unsicherheit aushalten soll, aber ich möchte und muss durchhalten, ich gehe durch alle Täler- für unser Baby. 

Ich möchte mich nicht schuldig fühlen für meine Angst, auch hat kein Mensch der Welt das Recht mir zu sagen, wie ich mich fühlen sollte, meine Trauer- mein Weg; meine Schwangerschaft- meine Gefühle. Meine Angst hat einen ganz realen Hintergrund von acht Verlusten, zwei davon waren in diesen Jahr, zwei im Letzten. Mein zu tragendes Päckchen ist groß, mein Herz löchrig und gleichzeitig schwer.

Meine furchtbaren Albträume, die ich in dieser Woche hatte, sind Zeugen meiner Liebe. Wenn ich dieses Kind nicht so lieben würde, mich so verbunden fühlen würde und mir meiner eigenen Machtlosigkeit nicht so bewusst wäre, dann ja dann hätte ich auch weniger Angst. Aber so geht alles Hand in Hand, die Freude, wie die Angst. Und so sind es Meilensteine, die gekaufte Babydecke vor dem ersten Ultraschalltermin, die Babyschühchen in dieser Woche… sie sind wie die Gespräche mit dem Baby unter meinem Herzen Zeichen der Zuversicht, der Hoffnung…

Und ich bin dankbar, dass die Kinder es wissen, ich hätte mich und dieses Kind um so viel beraubt, wenn es wirklich die letzte Schwangerschaft ist, wie viel hätte ich uns genommen? Lilous Grinsen gestern beim Blick auf das neue Ultraschallbild: „Ein Baby? Bei dir, da im Bauch?“ war unbezahlbar und all die anderen Erinnerungen, die kann uns niemand mehr nehmen… 

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